Symbolische Kampfplätze
Ulrich Horstmann erklärt, warum die apokalyptische Phantasie den atomaren Weltuntergang verhindert
Los Angeles versinkt im Pazifischen Ozean, Las Vegas in einem Ascheregen, eine Handvoll Menschen überlebt die größte Katastrophe der Erdgeschichte in eisernen Archen in Afrika. Als Roland Emmerichs Film „2012“ vor drei Jahren in die Kinos kam, brach eine Unruhe aus wie 1938, als Orson Welles‘ Hörspiel „Krieg der Welten“ eine Invasion der Marsmenschen im Osten der USA suggerierte. Die Nasa musste eine Website einrichten, um den Mythen über einen bevorstehenden Weltuntergang entgegenzutreten.
Viel Erfolg hatte sie damit nicht. Pünktlich zu Beginn dieses Jahres sorgte die von Emmerich verarbeitete Maya-Legende vom Weltende im Jahr 2012 wochenlang erneut für Aufregung. Befeuert von Lars von Triers ähnlich gelagertem Film „Melancholia“. Worin sich etwas von der Wirkmacht des religiösen Topos in säkularen Zeiten zeigt.
Glaubt man Ulrich Horstmann, haben diese zyklisch wiederkehrenden Produkte durchaus ihr Gutes, unabhängig von ihrer Qualität. Den Titel seines neuesten Buches „Abschreckungskunst“ kann man ganz wörtlich verstehen. Er steht für seine These, dass das drohende Ende des Globus bislang deshalb verhindert wurde, weil die Kunst das Unvorstellbare vorstellbar gemacht habe. Horstmann, Jahrgang 1949, ist Professor für englische und amerikanische Literatur an der Universität Gießen. Liebäugelt aber auch mit der Rolle des Schriftstellers. Er beginnt seinen Streifzug durch die Produkte der „apokalyptischen Phantasie“ bei der Literatur des Ersten Weltkriegs und endet beim Film des 20. Jahrhunderts.
Der Leser lernt dabei eine Menge: Den Wechsel von der Lyrik zur Kamera als bevorzugtem Medium zur Dokumentation gewesener Gräuel und zukünftiger Katastrophen. Oder den durch den Vietnamkrieg bewirkten Umschlag von der Propaganda in Aufklärung. Gegen George Cosmatos‘ Film „Rambo“ steht Francis Ford Coppolas „Apokalypse Now“.
Es ist aber nicht nur der kulturpessimistische Unterton, der die Zweifel an seinem historischem Längsschnitt wachsen lässt. Denn Horstmanns zentraler Terminus bleibt ein schillernder Catch-all-Begriff, der die Willensmetaphysik Ernst Jüngers ebenso wie die Antikriegskunst Erich Maria Remarques oder die „postapokalyptischen Computerspiele“ unserer Tage subsumiert. Die Bildende Kunst aber nahezu ausblendet.
Zum anderen steht sich der Autor oft selbst im Weg. „Wenn der Erste Weltkrieg einen Kulturbruch zur Folge hatte, wird der dritte einen Faunenschnitt auslösen, wie er in der Evolutionsgeschichte am Ende des Kambriums, im oberen Ordovizium, an der Per-Trias-Grenze oder im Übergang vom Erdmittelalter zur Erdneuzeit auftrat“, raunt er gegen Ende des Buches. Die kritische Reflexion seiner – plausiblen – Thesen von der „Präventionskraft“ der apokalyptischen Phantasie und ihrer Funktion als „Fremdenführer“ kommt gegen diesen überschießenden Stilwillen deutlich zu kurz.
Einerseits argumentiert Horstmann, der dritte Weltkrieg sei gerade deshalb noch nicht ausgebrochen, weil er in Buch und Film symbolisch ausgetragen wurde. Dann setzt er der „Ohnmacht der Fiktion“ die „Prägekraft imaginierter Welten“ entgegen. Und spekuliert darüber, dass die Kindheitslektüre von US-Präsident Harry S. Truman dessen spätere Entscheidung beeinflusste, in Hiroschima die Atombombe einzusetzen. Wenn Horstmann schreibt, dass „Homo Sapiens ein Untier“ ist, stellt er jene demonstrative Skepsis zur Schau, die dem Autor des Buches „Das Untier. Konturen einer Philosophie der Menschenflucht“ schon 2005 den Vorwurf eintrug, ein Experte der Weltverneinung zu sein.
Vielleicht greifen Onlinekäufer von Horstmanns Büchern deshalb gern zu Werken des Nihilisten Cioran. Seiner Maxime ist Horstmann auch im neuesten Werk treu geblieben. Wie um zu beweisen, dass er die Abschreckungskunst, die er analysiert, selbst am besten beherrscht.
Ingo Arend (taz 17.03.2012)
Ulrich Horstmann: „Abschreckungskunst. Zur Ehrenrettung der apokalyptischen Phantasie“.
Wilhelm Fink Verlag, Paderborn 2012,
196 Seiten, 24,90 Euro
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