„Barbara“, der erstklassige Film von Christian Petzold mit Nina Hoss erzählt eine wahrhaftige Geschichte.
Sie handelt von der DDR, von Freiheit und vor allem: vom Menschen
Barbara, die Ärztin, liest Stella, der Patientin, am Krankenbett eine Geschichte vor. Barbara wurde aus Berlin hierher strafversetzt, sie hat einen Ausreiseantrag gestellt. Stella ist aus dem Jugendwerkhof geflohen, sie wird bald zurück müssen. Die Geschichte, die Barbara liest ist „Huckleberry Finn“, es ist die Stelle, wo sie ihre Flucht planen, den Fluss hinunter. Eine Flucht ins Irgendwo, wo es anders ist. Eine Flucht, deren Ziel verlassen heißt, nicht: ankommen. So hören die beiden Frauen gleichsam ihrer Geschichte zu und suchen Trost darin.
Bei Florian Henckel von Donnersmarcks „Das Leben der Anderen“ ging es im Grunde nicht um die DDR, es ging um weniger: um einen spannenden Film, um die Folie für einen gut gemachten Genrefilm. Bei Christian Petzolds „Barbara“ geht es im Grunde auch nicht um die DDR, es geht um mehr: um den Menschen. Um die Koordinaten eines guten, eines würdigen Lebens. Um Vertrauen und Verlässlichkeit, um Liebe und Freundschaft. Und um die Freiräume, die sich ein Menschen schaffen kann, um frei zu leben. Und frei zu leben, das bedeutet nicht immer in Freiheit zu leben, es kann auch einfach bedeuten: Leben ohne Angst.
Christian Petzold, der diesen Film schrieb und inszenierte, schafft seinen Figuren diese Freiräume, indem er ihnen die Geschichte schrieb, und er schafft sie seinen Schauspielern, indem er inszeniert. Es geschieht selten im deutschen Kino, dass das alles – die Story, die Regie, die Darsteller und das Sujet – so zueinander findet.
„Ich hasse das Meer“ sagt Barbara zu Andre, dem jungen Chefarzt in dem Provinzkrankenhaus, als er sie zu einem Ausflug einladen will. Das Meer, über das sie fliehen will zu ihrem Geliebten in den Westen. Das Meer, das Freiheit gaukelt und doch eine tödliche Grenze ist. Das Meer, an dem sie am Ende stehen wird und eine Entscheidung zu treffen hat.
Es ist eine kleine Personage, es sind beinahe nur vier Darsteller, die die Mitte des Filmes behaupten: Die Ärztin und der Arzt, das Mädchen aus dem Werkhof und der Mann von der Stasi.
Und es sind Nina Hoss und Ronald Zehrfeld, die den Film tragen. Wie Nina Hoss die Provinz, die Tristesse an sich abperlen lässt, wie man sieht, dass das eine Arbeit ist, eine Leistung, die Kraft erfordert und Energie verschleisst. Man sieht das, wenn sie, und wie es tut, eine Zigarette raucht, wenn sie allein ist. Wie sie einen Sperrgürtel aus höflicher Kälte zwischen sich und diesen Mann legt, der sich um sie bemüht, doch sie weiß nicht, ob er das tut weil er sich für sie interessiert als Mann oder als Auftragnehmer der Stasi. Und wie sie sich wehrt, wie sie ihr Misstrauen nicht verlieren will, weil es sie schützt. Nina Hoss zeigt das beinahe minimalistisch, mit wenig Aufwand hinter der Maske der schönen kühlen blonden Frau.
Ronald Zehrfeld ist ihr ebenbürtig, auch als Mann. Beinahe ein wenig zu attraktiv für die Rolle des Chefarztes, doch Zehrfeld, das ist vielleicht seine eigentliche Leistung, kann diese Attraktivität gleichsam leise nutzen, ohne dass die Figur davon vereinnahmt wird. Ein Mann, der seinen Kompromiss gefunden hat, der seine Art von Freiheit hier lebt, mit einem Labor im Keller und einem Garten mit exotischen Kräutern hinterm Haus. Die Geschichte beider wird offen enden, mit einer Hoffnung und mit einer Frage.
Christian Petzold gewann zur Berlinale den Silbernen Bären für die Regie – und das mit allem Recht. „Barbara“ hat eine sehr überlegte, sehr durchdachte Struktur, deren dramaturgische Konstruktion indessen fast nie auffällt. Petzold kann, in einer authentischen Ausstattung von Provinz-Tristesse, viel Atmosphäre erzählen, ohne dass er DDR-Design zelebriert. Wartburg für den Chefarzt, Lada für die Stasi, Juwel 72 für die Raucher – und 1980 wurde noch fröhlich geraucht.
Petzold inszeniert einen strengen, konzentrierten Kunstraum – und auch seinen Darstellern unterläuft auf dieser Bühne nicht Beiläufiges, Zufälliges und nichts, fast nichts, wirkt dabei angestrengt. In diesem Aufmerksamkeitsraum gewinnen Worte an Bedeutung, Petzold schafft künstlerische Freiräume, in denen Sätzen Gewicht und Kontur zuwächst.
Wenig Episoden am Rande. Das Mädchen, das im Interhotel gerade mit einem Westmann schlief und den Otto-Katalog betrachtet wie einst die Glasperlen betrachtet wurden, Petzold erzählt das sanft, milde. Manchmal ein wenig überzogen im Detail, der Stasi-Mann und seine Möglichkeiten gelegentlich, die Nachbarin, die den Keller der neuen Wohnung zeigt wie eine Gefängniswärterin mit Schlüsselbund, die letzte Szene am Meer ein wenig märchenhaft. Aber die Substanz ist so stark, dass sich das wegspielt.
„Ich freu mich so, dass du da bist“ sagt Andre zu Barbara. „Geh nicht weg“ sagt Stella zu ihr. Und will weg und muss sich entscheiden, die Frau, die den Raum sucht, der Freiheit heißt.
Henryk Goldberg (Thüringer Allgemeine)
Bilder: Piffl
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