Meldung Die „Neue Zürcher Zeitung“ schrieb zur Zur Rolle der Medien in der Wulff-Affäre (18.02.12): Moralbuddhas in den Medien
„Und vielleicht könnten jetzt die Moralbuddhas der Medien nach geschlagener Schlacht auch einmal mit ähnlichem Drang darlegen, wie sie sich selbst vom Lockstoff all der Verheißungen und Verführungen betören lassen, denen sie als Journalisten nur allzu oft unterliegen - von Einladungen der tollsten Sorte, Reisen und Rabatten in einem Ausmaß, das bei fast allen andern Erwerbszweigen die Schamröte hochtriebe. (…) Der Fall Wulff ist ein unrühmliches Kapitel politischer und medialer Auseinandersetzung in Deutschland. Ein Trost ist immerhin, dass die Selbstgerechtigkeit der Saubermänner bei der Bevölkerung mit sichtlicher Zurückhaltung quittiert wird.“
Meinung von Achim Szepanski Eine wirklich exzellente Wortschöpfung, diese „Moralbuddhas der Medien“
Wenn der wirkliche Jesus laut Nietzsche schon eine Art Buddha war, „ein Buddha auf einem sehr wenig indischen Boden“, dann setzen die heutigen Moralbuddhas alles um, was Jesus angekündigt hatte, die hohe Kunst eines erleidenden Hedonismus, egal ob es sich um Comedy, Casting, Talkshow oder einen Kommentar im Feuilleton handelt. Diese Events sind Derivate des Melodrams, indem sie unaufhörlich die Moral neu designen. Wahlweise Beifall für die neusten Platitüden der Politiker, Standing Ovations für die Blamage oder Applaus für den schlechten Geschmack oder umgekehrt der radikale Vernichtungszug dagegen, je nach Bedarf und Marktlage, kennzeichnen vor allem eines: hier soll jeder zum wie auch immer vermittelten Teilnehmer werden, auch wenn es bei vielen noch nicht einmal zum Recall reicht. „So gleicht die spätbürgerliche Demokratie dem Schreckgespenst, das sie an die Wand malt: einem kommunistischen Parteitag“, schreibt Eike Geisel 1984. Hierin liegt der wahre Sozialismus des Kapitals (und nicht in der neoliberalen Durchsetzung von Marktprinzipien.) Politik, Ökonomie und Kulturindustrie sind eine einzige Laudatio und Akklamation auf sich selbst, die sie wie ihr Leiden, Verpflichtung und Sauforgie zugleich vor sich her tragen. Dass der Jargon der Betriebsamkeit, der alle fünf Minuten ein neues biopolitisches Experimentierfeld entdeckt, am Design von Derivaten seine Erfüllung findet, ist kein Makel oder gar ein Symptom des Verfalls, sondern zeugt von der erreichten Perfektion der Verwandlungskünste des Geldes: das ehemals Teure oder Exklusive erhält seine spezielle Transzendenz erst dann, wenn es als kommunistisches Event oder Casting durch die Medien gejagt wird. Allenthalben zeigt sich darin auch, wer die wirkliche Avantgarde im Kapitalismus ist: jene Agenten bzw. „Finanzsowjets“ (Marazzi), die die Derivate in Realtime um den Globus rasen lassen. Der wahre Hippster zu sein heißt also, sich im Sinne der Bewirtschaftung von Zukunft maximal zu verschulden. Davon können die Moralbuddhas und ihr Publikum noch einiges lernen, nämlich endlich zwischen Schuld und Verschuldung zu trennen. Dann heißt die Parole nicht mehr, wer nicht mitmacht, ist selbst schuld, sondern ganz im Sinne eines coolen Opportunismus: wer den Erfolg erkämpft, ist dafür niemandem zu Dank verpflichtet, wer verliert, findet keine Adresse, bei der er sich beschweren kann. Erst wenn die deutschen Moralbuddhas dies begreifen, werden sie auch verstehen, was die Kulturindustrie mit dem Berlusconismus an Anziehungskraft gewonnen hat. Dann erst wird der kommunistische Parteitag zur gelungenen Cocktailparty, bei der auch ältere Herren schon mal ins nostalgische Schwärmen geraten dürfen, um das Remake der Bewahrung des Alten anzustimmen. Die gewiefteren unter ihnen werden sich allerdings zu den Tischen der jungen linken Feuilleton-Hipster gesellen, um sich soufflieren zu lassen, dass die kapitalistischen Widersprüche nicht als Mangelproduktion zu definieren seien, sondern als der Gegensatz zwischen dem Wirklichen und dem jetzt schon Möglichen. Das ist eine schöne Idee, die die Finanzsowjets Sekunde für Sekunde in klingende Zahlen umsetzen.
Achim Szepanski
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