Che Guevara auf den entblößten Brüsten
Pop-Art: Der japanische Künstler Keiichi Tanaami gilt als Vorläufer der japanischen Pop-Art. Seine frühen Werke, die jetzt in Berlin zu sehen sind, schwanken zwischen Gegenkultur und weiblichem Akt
1969 spielt Keiichi Tanaami mit den Zeichen der Revolte. In einer Arbeit des japanischen Künstlers aus diesem Jahr überragt Ho Chi Minh eine Gruppe von westlich gekleideten Menschen. Ihre Körper sind wie für ein Gruppenfoto postiert, aber die Köpfe sind leer. Zwischen Haaransatz und Hals prangt Weißraum, nur von dünnen Wellenlinien durchzogen. Individuelle Konturen verleiht Tanaami allein dem Gesicht des vietnamesischen Unabhängigkeitskämpfers.
Darin mag zwar eine Kritik am Konformismus der westlichen Konsumkultur durchscheinen. Ein dezidiert politischer Künstler ist der 1963 in Tokio geborene Tanaami, der heute noch in seiner Heimatstadt lebt, aber nicht. Eher prägt seine Arbeiten aus den späten sechziger und frühen siebziger Jahren eine Aneignung von zeitgenössischen ikonischen Motiven: Comic-Superhelden und Cola-Werbung, King Kong und Janis Joplin sind auf seinen Collagen versammelt. Sie sind derzeit zusammen mit Zeichnungen und Storyboards aus diesen Jahren in der Galerie Gebrüder Lehmann zu sehen. Tanaami verarbeitet in diesen Werken seine Erfahrungen in den USA, die er 1967 mit Anfang Dreißig erstmals besuchte. Dort traf er Andy Warhol, probierte LSD und lernte die amerikanische Gegenkultur kennen.
Nicht zufällig rücken in den Jahren der sexuellen Befreiung erotische Zeichnungen ins Zentrum von Tanaamis Schaffen. Angetan hat es dem späteren Art Director des japanischen Playboy der weibliche Akt. Selbst eine Che Guevara gewidmete Collage kommt nicht ohne aus. Sie zeigt das bekannteste Foto des argentinischen Revolutionärs als farbige Maske, die einer mit schwarzer Tinte gezeichneten weiblichen Büste von der Nase auf den nackten Oberkörper rutscht. Frauenporträts garniert Tanaami stets mit kleinen, mehr oder minder entblößten weiblichen Körpern, deren Köpfe entweder nicht im Bild oder verdeckt sind. Seine Aktzeichnungen sind unverkrampft und strahlen zugleich eine bestimmte zeittypische Naivität aus, die schon die Darstellung nackter Brüste als Zeichen der geglückten sexuellen Emanzipation feiert.
Generell arbeitet Tanaami in jenen Jahren viel mit fließenden Formen und integriert geometrische Muster. Auch lässt er deutlich Einflüsse des Pop-Art erkennen, den er später in Japan maßgeblich etablieren hilft. Daneben greift Tanaami wiederholt auf Gestaltungsformen aus dem Comic zurück. So unterteilt er ein Bild über Los Angeles in zwölf quadratische Panels. Sie sind wie auf einer Doppelseite eines Albums angeordnet und führen das Auge des Betrachters ähnlich wie bei einer Graphic Novel. Deren meist lineare Erzählweise übernimmt Tanaami bei dieser Arbeit aber nicht. Die lässt sich auch erfassen, ohne der typischen Comic-Leseweise zu folgen. Erweist Tanaami dieser Kunstform hier eine eher spielerische Referenz, reüssiert er in späteren Jahren mit zahlreichen Animationsfilmen.
Einige jetzt in Berlin gezeigte Arbeiten erinnern schon an Storyboards. So wirkt die Serie „The Portrait of Keiichi Tanaami“ von 1967 wie eine Folge langer, eingefrorener Einstellungen, bei denen die Kamera psychedelische Traumlandschaften, Gesichter und Silhouetten einfängt. Daneben sind einige Skizzen zu sehen, die tatsächlich aus der filmischen Arbeit Keiichi Tanaamis stammen, mit der er nicht zuletzt häufig bei den Kurzfilmtagen in Oberhausen gastierte. Kennern gewährt die Ausstellung einen reizvollen Einblick in das Frühwerk dieses vielseitigen Künstlers. Wer Tanaami noch nicht entdeckt hat, dem begegnet auf seinen hier gezeigten Werken die Popkultur der späten Sechziger mit gelegentlich durchscheinendem japanischem Einschlag.
Text: © Steffen Vogel
Bild 1: Ho Chi Min,1969, Tinte, Rasterfolie, Collage auf Papier; Bild 2: Comic Strip, 1967, Collage auf Foto; Alle Bilder © Keiichi Tanaami, courtesy Galerie Gebr. Lehmann; / Dresden and Nanzuka Underground, Tokyo
Ausstellung Keiichi Tanaami – Zeichnungen und Collagen 1967-1975
Galerie Gebrüder Lehmann, Lindenstraße 35, Berlin – bis zum 21. Januar 2012
Screenshot website Galerie Gebr. Lehmann
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