Der Fall Wulff: Politiker sollen keine Mietnomaden sein
Häuser sind eine heikle Angelegenheit. Sie sind Wunschbild glücklichen Familienlebens, doch ebenso Orte tragischer Verlustmeldungen. Noch gut in Erinnerung sind Bilder aus der Immobilienkrise in den USA: Verwaiste Straßen, schluchzende Vertriebene.
Im Kapitalismus wurde früh die Bedeutung mittelständischen Hausbesitzes erkannt. Was kann nicht alles passieren, wenn sich Immobilien, die in Inseraten stehen, in Häuser verwandeln, in denen Menschen wohnen – und wieder zurück? Auch Christian Wulff hat bestimmt in seiner Kindheit „Ist das Leben nicht schön“ von Frank Capra gesehen, jenen vorweihnachtlichen tränenseligen Filmklassiker, in dem James Stewart einen Immobilienfinanzierer spielt, eine frühe Version von Fannie Mae und Freddy Mac. Er ist dort ein guter Mensch, der Arbeiter und Mittelklässler aus den dunklen Mietskasernen holt und ihnen ein freundliches Heim mit Garten verschafft.
Auch Politiker kommen oft aus kleinen Verhältnissen. Unser aktueller Bundespräsident und unser früherer Kanzler (Schröder) haben ihren Weg aus kleinen Mietwohnungen in die große Welt der Politik geschafft. Aber auf sie wartete kein James Stewart, der ihnen auf untadelige Weise günstige Kredite verschaffte. Stattdessen wurden sie allein gelassen mit ihrer Sehnsucht nach dem Eigenheim und irrten ziellos umher zwischen Häusern, die anderen Leuten gehörten, zum Beispiel Luxusvillen in Florida (Geerkens, Unternehmer) oder Mallorca (Maschmeyer, Entrepreneur). Und wenn diese Urlaube herauskommen, müssen sie sich aufwendig rechtfertigen und erzählen dann immer treuen Blickes, sie hätten aber doch Miete bezahlt.
Damit sich Politiker wie Wulff oder Schröder nicht länger wie Mietnomaden vorkommen müssen und auch in einem Eigenheim wohnen dürfen, sollte dringend Vorsorge getroffen werden. Auch für führende Politiker soll das Leben schön sein, und deshalb müsste für diese Berufsgruppe eine staatliche Immobilienfinanzierung eingerichtet werden.
Es wäre nämlich sehr fahrlässig, die Verstrickungen und Abhängigkeiten, die von einer Immobilie ausgehen können, zu unterschätzen. Pierre Bourdieu hat in der Studie „Der Einzelne und sein Eigenheim“ den Baukredit als verborgenen Machtmechanismus analysiert. Gerade im Neoliberalismus tat dieser großartigen Dienst. Margaret Thatcher etwa wusste sehr genau, dass Arbeiter, die ein Haus abzahlen müssen, nicht mehr streiken.
Statt über eine ominöse ‚Hannover-Connection‘ herumzurätseln, sollten wir statistisch erfassen, wie viele Politiker, sagen wir, vom Staatssekretär aufwärts, noch in Mietwohnungen wohnen, und wie ihnen mit einem günstigen staatlichen Kredit geholfen werden kann. Schnell. Schließlich wusste schon Frau Thatcher, dass man „lange in einem Haus leben muss, bevor es ein Zuhause wird“.
Mario Scalla in taz
Bild: Schloss Bellevue, Berlin, Germany, CC-BY-SA-2.5 by Stephan Czuratis (Jazz-face)
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