Es gehört zum guten Ton, Tom Cruise nicht zu mögen. Zugegeben: Das fällt einem leicht. Seine öffentlichen Auftritte, etwa bei Pressekonferenzen, haben ihn nicht selten in ein alles andere als angenehmes Licht gerückt. Hinzu kommt seine angebliche oder wirkliche Mitgliedschaft bei Scientology. Nur: In diesen Zusammenhängen ist mir das Herumnörgeln an dem Schauspieler Tom Cruise zu wohlfeil. So wie jeder Schneider oder Metzger privat denken und verkünden kann, was er will, darf das auch ein Künstler, so lange er seine Arbeit nicht als Vehikel zur Propagierung seiner persönlichen Ideale missbraucht. Davon kann bei diesem Film nun wirklich keine Rede sein. Außerdem: Wenn wir jede Schauspielerin und jeden Schauspieler für das, was sie oder er im Privatleben – und, ja, damit nicht selten natürlich auch als politisch Denkende und Handelnde tun und nicht tun – schmähen wollten, dann kämen wir wohl nur noch höchst selten ins Kino. Das war schon immer so. Von Cary Grant geht das Gerücht um, er sei ein Hysteriker gewesen, der Frauen geschlagen habe, Marika Rökk wurde und wird nachgesagt, in den 1930-er und 1940-er Jahren mindestens, um es vorsichtig auszudrücken, höchst unsensibel mit dem politischen Wahn in Deutschland umgegangen zu sein, von Marlene Dietrich hieß es das, von Katja Riemann jenes. Na und?! Im Kino strahlten und strahlen sie. Das zählt, sonst nichts, auch im Falle von Tom Cruise. Der mimt nun also zum vierten Mal Ethan Hunt, die Nummer eins eines geheimen Spezialtrupps Washingtons, einen Ober-Weltgendarm im Untergrund. Mit den bisher drei „Mission: Impossible“-Kinoversionen machte der Star gute Kasse. Das wird ihm auch bei seinem neuesten Auftritt als Agent ohne Angst vor großen Tieren und fern von intellektuellem Anspruch gelingen. Der Unterhaltungsfaktor ist nämlich wirklich beträchtlich.
Effektvolle Szenen gibt es einige: da explodiert die Kremlmauer am Roten Platz, Ethan Hunt klettert auf dem höchsten Wolkenkrater der Welt herum, die Natur zeigt ihre düsterste Seite und die Menschen, entweder Spione oder Saboteure, oft beides in einer Person, sind durchweg fies und mies. „Mission: Impossible – Phantom Protokoll“ will nichts als Popcorn-Amüsement sein, und das genau ist der Film. Die Fans dürfen wohlig kreischen.
Action wird versprochen und wird geboten. Die überschaubare Story dreht sich um einen alles vernichtenden Atomschlag, den Hunt und Co. verhindern müssen. Prag, Dubai und Vancouver sind attraktive Stationen der Kampftour für das Gute. Es ist ein unentwegtes Hauen und Stechen. Luft schnappen darf das Publikum – und das ist ein positives Novum innerhalb des Kino-Quartetts der „Mission: Impossible“-Abenteuer – in einigen witzigen Momenten. Die resultieren in der Regel daraus, dass ein technisches Hilfsgerät schlapp macht. Mit klugem Understatement wird damit darauf verwiesen, dass der Mensch nach wie vor das Maß aller Dinge ist. Tumbe Technikanbetung also gibt es keine, ebenso wenig offenkundige Brutalität. Der Film kommt damit seinem Vorbild, der in der ARD Ende der 1960er Jahre als „Kobra, übernehmen Sie!“ bekannt gewordenen US-TV-Serie sehr viel näher als seine drei seit 1996 entstandenen Leinwand-Vorgänger. Die Altersfreigabe 12 der FSK geht also total in Ordnung.
Schauspielerisch hat ausgerechnet Tom Cruise die uninteressanteste Aufgabe. Er macht uns den Kerl. Das funktioniert. Aber es wäre durchaus mehr drin gewesen. Warum seine Fähigkeit zu Komik oder/und Charakterzeichnung nicht ausgenutzt wurde, ist ein Rätsel. Seit er vor 25 Jahren mit „Top Gun“ zum Profit garantierenden Star wurde, hat er mehrfach sein Potential als kraftvoller Charakter-Interpret bewiesen, in „Rain Man“ (1988) zum Beispiel, in „Magnolia“ (1999), in „Operation Walküre – Das Stauffenberg Attentat“ (2008). Diesmal darf er nur die Sportskanone geben. Die gibt er denn mit Vollgas. Dazu passt, dass in der Werbung zum Film unentwegt betont wird, Tom Cruise habe alle Stunts ohne Double selbst ausgeführt, sogar den in mehr als 800 Metern Höhe an der Fassade des weltweit höchsten Gebäudes in Dubai. Ob’s stimmt? Keine Ahnung. Zu einem derartigen reinen Traumfabrik-Produkt passt die Behauptung in jedem Fall gut. Glauben wir’s einfach, das erhöht den wohligen Zauber der Illusion.
Regie geführt hat Brad Bird. Er wurde berühmt mit dem Animationshit „Ratatouille“ (2007). In diesem Fall ist er ein Debütant, hat er doch erstmals einen Spielfilm mit Schauspielern inszeniert. Man spürt, welchen Spaß er daran gehabt hat. Das überträgt sich sofort und zieht einen kräftig in die hanebüchene Geschichte vom Kampf des Guten gegen das Böse. Ein Spaß, mehr nicht, aber auch nicht weniger. Die kleinen Jungs in den Männern und die gar nicht braven Mädels in den Frauen dürfen mehr als zwei Stunden durch einen gigantischen Vergnügungspark rasen, natürlich in der Achterbahn.
Peter Claus
Mission Impossible – Phantom Protokoll, von Brad Bird (USA 2011)
Bilder: Paramount
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