„Science-Fiction“ heißt im Kino in der Regel, dass Computertricks und viele Effekte die Hauptrollen spielen. Das Menschliche kommt dabei meist zu kurz. Das ist ganz anders in dem in naher Zukunft spielenden Drama „Another Earth“. Wie jüngst in Lars von Triers „Melancholia“ taucht hier ein blauer Planet am Himmel auf und sorgt für Verwirrung. Anders als bei von Trier allerdings entwickelt sich daraus kein Untergangsdrama.
Kann es unsere Erde zwei Mal geben? Sind wir Menschen wirklich einmalig? Ist alles Leben nichts als ein Irrtum der Natur? – Simple Fragen. Doch die Suche nach Antworten ist kompliziert. Die Geschichte des Films dazu ist es zum Glück nicht: Da steht plötzlich ein blauer Planet am Himmel. Wissenschaftler taufen ihn „Erde Zwei“. Die Welt steht Kopf. Ausgerechnet jetzt versuchen Astrophysikerin Rhoda und Komponist John ihren Lebensbahnen einen Sinn zu geben. Was unabhängig der durch „Erde Zwei“ verursachten Turbulenzen überaus schwierig ist. Rhoda nämlich hat John einst durch einen Unfall zum Witwer gemacht. Seine Verzweiflung will nicht weichen, ihre Schuldgefühle wuchern. Trotzdem versuchen die Beiden einen Neustart – mitten im Chaos angesichts von „Erde 2“.
Der Science-Fiction-Thriller fesselt mit unheilschwangerer Sanftmut. Auf leisen Sohlen schleicht der Tod umher. – Gerade der zurückhaltende Ton, den die Stimme des Bösen anschlägt, sorgt für Spannung und Nervenkitzel.
Wer mag, kann genüsslich ein Zukunftsabenteuer bestaunen. Dem für Regie, Kamera, Schnitt und Drehbuchmitarbeit verantwortlichen Debütanten Mike Cahill gelang mit gerade einmal 200 000 US-Dollar Produktionskosten fern aller Hollywood-Routine ein fesselndes Science-Fiction-Abenteuer – ohne aufwändige Computer-Effekte, dafür mit intelligenten Betrachtungen zu den immer wieder gestellten Fragen nach dem Sinn allen Daseins. Was nie vordergründig anmutet, weil sehr subtil gestaltet.
„Another Earth“ entpuppt sich als kluges Kammerspiel. Die Geschichte des um Liebe ringenden Paares Rhoda und John spiegelt dabei klarsichtig grundsätzliche Existenzfragen der Menschheit. Hier gelingt mit Science-Fiction, was Hitchcock einst mit Krimis zur Meisterschaft brachte: ein vielschichtiges Gesellschaftspanorama, unterhaltsam verpackt.
Regisseur Mike Cahill, der das Drehbuch zusammen mit seiner durch ungeheure Präsenz beeindruckenden Hauptdarstellerin Brit Marling geschrieben hat, drehte den Film in seinem Heimatort, tief in der US-Provinz. Freunde haben ihn unterstützt. Gagen gab’s so gut wie keine. Trotzdem sieht der Film nie billig aus. Der Ideenreichtum, die visuelle Originalität und die Präsenz der hierzulande bisher unbekannten Darsteller bieten große Qualität. Für die es beim renommierten Sundance Film Festival im Januar eine ganze Reihe von Preisen gab und bei anderen Festivals, wie im August in Locarno, viel Beifall des Publikums.
Peter Claus
Another Earth, Mike Cahill (USA 2011)
Bilder: Fox
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