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Nazi ist man, G.I. wird man. Über die Traummaschine Hollywood und ihre stereotype Idee von den Nazis zum Start von Quentin Tarantinos „Inglourious Basterds“

In den Antik- und Bibelfilmen aus dem Hollywood der fünfziger Jahre machte Roland Barthes eine eigenartige Beobachtung: Die Geschichten handelten zwar vom moralischen Sieg der frühen Christen über die Römer, aber die Kameras, die Ausstattung und die Dramaturgie interessierten sich mehr für die effizienten, tatkräftigen und robusten Römer als für jene, die bereit waren, nach einem Schlag auf die linke Backe auch noch die rechte hin zu halten. Die Römer waren einfach amerikanischer als die Christen, und außerdem war man im Kino lieber auf der Seite von Tätern. Dafür bekamen die Römer kecke Haarlocken unter den Helmen verpasst, in denen der Zwiespalt von Faszination und Verurteilung semiotisch aufgehoben wurde. Der Filmhistoriker übrigens kann Barthes’ Beobachtung bestätigen: Erfolgreich beim Publikum waren Filme, die ihre Römerphantasien voll auslebten wie Ben Hur, Flops wurden dagegen Filme, in denen Römer kränklich, tragisch, unentschlossen schienen wie in Cleopatra.

Der Ausweg aus dem Dilemma war einerseits eine Zweiteilung der Römer: In die schlanken, vernünftigen und eben gelockten Soldaten (die im Übrigen früher oder später zum Christentum überzuwechseln pflegten) und in die fetten, dekadenten, glatzköpfigen Römer, die im Liegen Weintrauben verspeisten, halbnackten Tänzerinnen zusahen und gelangweilt den Tod aller Christen verlangten. Andererseits kompensierten die Christen im Antik- und Bibelfilm ihre Schwäche durch Individualität. Die Christen sahen alle verschieden aus und hatten verschiedene Geschichten, der Römer war dagegen Typus. Abscheu und Faszination trafen sich in einer ikonografischen Festschreibung. Anders gesagt: Römer ist man, Christ wird man (auf einer Hollywood-Leinwand).

Etwas Ähnliches findet sich in der Zeichnung der Deutschen im Weltkriegsfilm. Für die faschistische Inszenierung und den Todeskitsch der Nazis (auf den der europäische Film immer wieder hereinfällt) hat der amerikanische Film kaum einen Blick. Stattdessen kommt er nicht umhin, die technologische Effizienz, das Funktionieren, die Robustheit (klammheimlich) zu bewundern. Der Nazi im Weltkriegsfilm ist ein Römer ohne Locken; ausgewiesen durch die Uniform, auf der es keine Spuren einer Praxis des Kriegshandwerks gibt. Auch gegen diese bestialische, indes faszinierende Mensch-Maschine hilft nur: Individualität. G.I. Joe ist ein Individuum, der Nazi, den er bezwingen muss, ein Stereotyp. Das ist die mythische Voraussetzung sowohl für den moralischen wie für den materiellen Sieg. Nazi ist man, zum Soldaten für die Freiheit wird man (und leicht ist das nicht immer).

Jedes Land hat sein Nazi-Bild

Der Einfluss der Emigranten in Hollywood war lange groß genug, um die Nazis zunächst nicht als reine Projektionen erscheinen zu lassen. Es gab eine Phase, in der auf der Leinwand ein unterschwelliger Krieg zwischen Neutralität und Kriegseintritt geführt wurde. Charlie Chaplins Großer Diktator verblüfft noch heute in seiner präzisen Beschreibung der Machtrituale und dem Gebrauch einer Sprache, die mehr einem Gebell als menschlicher Rede gleicht. Er beschreibt Hitler als krankes, spielendes Kind und die Nazis als uniformierte Schlägertrupps einerseits, als kalte Strategen der Macht andererseits. Bei dieser Einteilung blieb es: eine proletarisch-körperliche und eine bürgerlich-technokratische Seite des deutschen Faschismus, böse Lust und böses Interesse, in einem Zeichensystem vereint und unter einem Diktator, von dem letztlich niemand zu sagen weiß, ob er völlig hohl ist oder das personifizierte Böse. Die Nazis in Michael Curtiz’ Casablanca beschreiben einen Wechsel. Es ist nun die Kategorie des Bösen, die die individualistischen Charaktere zu Entscheidungen treibt. Eine Verwechslung von Maske und Mensch, Form und Inhalt ist erst einmal kaum noch möglich (und scheint erst sehr viel später, bei Jerry Lewis etwa, wieder als Klamotte auf).

So wie der Römer seine Locke, so hat der Nazi einen erkalteten Blick. Uniform, Totenkopf und Hakenkreuz-Binde geben seinen Bewegungen etwas Uneigentliches. Gesten und Mimik sind bei ihm reine Signifikanten, die sich gleichsam von der Trägermasse des menschlichen Fleisches gelöst haben. Weitere Erklärungen sind beinahe überflüssig. Wo der Nazi auftaucht, bricht das menschliche Leben selbst zusammen.

Jede Kinematografie bildete in den Jahren nach 1945 ihre eigene Kriegserzählung und ihr eigenes Nazi-Bild aus. So wurde der Partisanenkampf in Jugoslawien zum Gründungsmythos, behandelte der britische Film unbeirrt den Krieg als sportlich-faire Auseinandersetzung soldatischer Menschen. In Frankreich träumte man vom zivilen Ungehorsam und einem Widerstand der menschlich-poetischen Art. In Italien blieb nach dem Krieg die Spaltung erhalten: neorealistische Anklage war genau so möglich wie ungebrochene Fortsetzung der Heldenverehrung Mussolinis. Drastisch unterschied der deutsche Kriegsfilm zwischen „guten“ Soldaten und „bösen“ Nazis.

Hollywood aber musste fundamentaler vorgehen, nicht nur weil man in der Traumfabrik die Kriegserzählung und das Nazi-Bild für die befreite Welt als ganzes produzieren wollte. Also tauchen Fragen auf: Inwieweit drückt der Nazi in seiner Uniform und in seinen Gesten und Zeichen sein Wesen aus, oder ist das Maske und Rolle? (Anders gefragt: Ist man ein Nazi oder wird man einer, kann jeder Nazi werden oder kann ein Nazi weniger böse sein als ein anderer?) Und wenn jemand „überzeugend“ einen Nazi spielen kann (die Ausrüstung dafür ist in jeder Ausstattungskammer vorhanden) – können dann nicht auch in der Geschichte selber Menschen überzeugend Nazis „gespielt“ haben?

Das ist das Wesentliche der Versuchsanordnung in vielen späteren Filmen: die Beziehung zwischen Nazi-Erscheinung und Nazi-Wesen. In Deutschland schreckte Carl Zuckmayer bei Aufführungen seines Stücks Des Teufels General auf, da ihm bewusst wurde, dass ein Großteil des Publikums nur gekommen war, um ungestraft Menschen in Nazi-Uniformen zu sehen. Der Genuss des Bildes und der Diskurs der Erzählung gingen im Film noch weiter auseinander. Immer wieder stellte sich auch im Hollywood-Film diese Frage: Der Inhalt ist die historische Wirklichkeit, eingeschlossen das Urteil, das die Nachwelt über die Nazis gesprochen hat. Die Form dagegen ist das unsterbliche Bild, das die Nazis von sich selber hatten und machten.

Die Erscheinung des Nazis vor der Kamera hat sich nicht nur von seinem menschlichen Medium getrennt, sondern auch von der Historizität seiner Untaten. Das hat unter anderem und paradoxerweise mit dem Zugriff des Pentagons auf das Kino zu tun. Zu den Direktiven, die von hier ausgingen (und mit der entsprechenden Unterstützung belohnt wurden) gehörte es, den Nationalsozialismus als verbrecherisches System darzustellen, bei der Beschreibung der Gräuel aber zurückhaltend zu bleiben. Dafür gab es zwei mehr oder weniger gute Gründe: Die wohlgelittenen Filme nämlich dienten immer auch der Rekrutierung, so sollte alles einigermaßen „sauber“ bleiben. Und mit dem Beginn des Kalten Krieges wurden neue, „konkretere“ Feindbilder benötigt. Der Leinwand-Nazi wurde so zur Maske des Bösen, hinter der das eigentliche Wesen dieses Bösen beinahe verschwand. Und zur gleichen Zeit scheiterten einigermaßen kläglich die Versuche „hinter die Maske“ zu sehen, beeindruckend-bizarr etwa Marlon Brandos zweifelnder, blonder Nazi in The Young Lions (1958).

Abscheu und Faszination

Der Hollywood-Nazi war ein Böses-an-Sich geworden, jenseits der Geschichte, und in weiten Teilen: jenseits von Au­schwitz. Denn wieder tat sich dieses Kino der Aktion schwer damit, sich auf die Seite der Opfer und gegen die Täter zu stellen. Es ist kein Wunder, dass die zweite Welle der Empörung gegen das Nazi- und Deutschen-Bild aus den USA – nach den narzisstischen Kränkungen der fünfziger Jahre – in den siebziger Jahren entstand, als sich in Mitteleuropa eine seltsame Bewegung der ­Psychologisierung und Mythisierung des Faschismus entwickelt hatte, die im Kino von Visconti über Syberberg zu den „Sadiconazista“-Exploitationen reichte. Nach „Differenzierung“ riefen jene, die gerade selber einmal wieder knietief im Sumpf von „Faszination“ und faschistischer Ästhetik steckten. Hier brachte die Fernsehserie Holocaust, was immer man sonst von ihr halten mag, eine heilsame Revision: In dieser Geschichte zweier Familien erfährt man zumindest wieder, für was die Maske des Nazi-Offiziers steht, ob nun die Erklärung dafür, wie ein Mensch in sie hinein gewachsen ist, vollständig schlüssig ist oder nicht.

Zumindest im A- und B-Sektor der populären Kultur blieb diese Rückbindung an die Geschichte erhalten. Aus dem Bösen ohne Inhalt, das aus Impulsen der Faszination und des Abscheus entstanden war, wurde wieder ein historisch Böses, und am Ende dieser Entwicklung stand, wen wundert es, einmal mehr der Versuch, hinter die Maske zu sehen, einschließlich der neuerlichen Suche nach dem „guten Deutschen“. Auch in der Nazi-Uniform.

Das führt zu einer weiteren Frage der Repräsentation: Wie weit ist ein Nazi ein Deutscher und wie weit ein Deutscher ein Nazi? Verkürzt zur Frage: Waren eigentlich alle Deutschen Nazis? Es ist die Frage, die sich dem Gewehrlauf wie der Kamera stellen mag. So entsteht das Nazi-Bild auf der Leinwand durch eine Gleichung von Geschichte und Bild einerseits, von einer Differenzierung andererseits: Der Leinwand-Nazi identifiziert mit den Verbrechen und differenziert von den anderen Deutschen. Dem Bild wird, mit anderen Worten, ziemlich viel zugemutet. Es muss zugleich das historische Verbrechen, zu dessen gerechter Bekämpfung man die Opfer des Krieges auf sich genommen hat, darstellen und verbergen.

Der kategorische Nazi

Das Material für Aussagen war nur scheinbar eindeutig: Die unwiderlegbare – und unertragbare – Realität der Verbrechen der Nazis. Und die Ikonografie der faschistischen Bildwelt, die Propaganda, die Selbstinszenierung, die Überflutung der Alltagsbilder. Das Wesen des Bösen und die Erscheinung des Bösen sind auf der Leinwand in eine eindeutige Beziehung gesetzt, was man durch kleinere Übertreibungen noch wirksamer machen kann: Noch „stählernene Blicke“, noch geschniegeltere Uniformen, noch mehr Befehlsgebrüll und noch mehr Unterwürfigkeit. Fatalerweise verliert der Nazi in dieser Projektion nicht nur seinen Subjekt-Charakter (diese einzige Reaktion auf den gehassten und klammheimlich bewunderten Feind), sondern sein Bild scheint ihn nun von selbst zu erklären. Und damit wird er auf eine Weise tautologisch.

Der kategorische Nazi ist der Abgrund, in den der individualistische Held auf der anderen Seite blickt. So wird verständlich, warum der Gegenspieler des Nazis, der amerikanische G.I., so sehr darum kämpfen muss, nicht zum Spiegelbild des Nazis zu werden, nicht nur im Inhalt, sondern auch in der Form: Er muss, zum Beispiel, seine Uniform betont lässig behandeln, militärisches Grüßen mit einer gewissen Cowboy-Lakonik verbinden, und überhaupt lieber tanzen als marschieren. Vor allem aber muss er ganz generell ein Mensch sein, der sich in seinen Entscheidungen nicht von den Zeichen beeinflussen lässt. Die amerikanische Fahne, zum Beispiel, muss gehisst oder gepflanzt, verteidigt und verehrt werden, aber nie dürfte sie, wie das Hakenkreuz, zur totalen Sprache werden. Während der individuelle Befreier nach seiner Rückkehr ins Zivilleben (wie in die Zivilisation) zurückkehrt, wird das Bild mit dem Hollywood-Nazi in der Mitte blind gegenüber den zivilen Segmenten der symbolischen Ordnung der Nazis.

Möglicherweise verhält es sich allerdings auch so, dass eine Kino-Figur wie der Hollywood-Nazi nie die Aufgabe erfüllen kann, die moralische, die historische und die psychologische Dimension miteinander zu verbinden. Dass also eine Maske des Bösen immer zugleich darstellt und verbirgt – wie man sie auch wendet, bearbeitet und übermalt.

 

Autor: Georg Seeßlen

Text veröffentlicht in Freitag, 19.08.2009

Bild: Universal Pictures