Zum Gedenken an Anne Frank. Am 12. Juni 2014 wäre sie 85 Jahre geworden
Anne Frank liebte den Glamour der Filmwelt
Heinz Rühmann im Hinterhaus
Ginger Rogers präsentiert sich in feinster Seide, Heinz Rühmann lässt sich seine Zigarre schmecken, und die kleine Shirley Temple lutscht am Daumen. Die Bilder der Filmstars und vieler ihrer Kollegen sind vergilbt, einige sind eingerissen. Fast 70 Jahre ist es her, dass sie sorgfältig aus Magazinen ausgeschnitten und auf die gesprenkelte Tapete geklebt wurden. Bild an Bild, Poster an Poster. Sie sollten den winzigen Raum „fröhlicher“ machen. Denn von der heilen Welt des Films war in dem Amsterdamer Hinterhaus an der Prinsengracht nichts zu spüren. Es war ein dunkles und enges Gefängnis, in dem sich Anne Frank, ihre Schwester Margot, die Eltern Otto und Edith und vier andere Juden 108 Wochen lang versteckt hielten. Ein Gefängnis, dessen Türen von innen verschlossen wurden.
Am 4. August 1944 stürmten die Nazis das Haus Nummer 263 und brachten die Untergetauchten in Konzentrationslager. Ihre Möbel, ihre Kleider, alle Habseligkeiten wurden beschlagnahmt, verkauft oder verbrannt. Geblieben sind Anne Franks Tagebuchaufzeichnungen und die Filmbilder in ihrem Zimmer. Ein Zufall. Und doch bezeichnend. Denn das Schreiben und die Glamourwelt des Kinos waren die Leidenschaft des Mädchens, dessen kurze Lebensgeschichte bis heute die Autoren und Filmemacher in aller Welt beschäftigt.
„Anne ging leidenschaftlich gern ins Kino“, erinnert sich Miep Gies, die seit 1933 in Otto Franks Firma Opekta arbeitete und ab Juli 1942 der untergetauchten Familie half. „Wir unterhielten uns über die Filme, die wir gesehen hatten, und über unsere Lieblingsstars.“ Dies geschah in Annes unbeschwerter Kindheit, als Juden noch die Amsterdamer Filmtheater besuchen durften. Das Tip Top im alten Judenviertel spielte amerikanische, britische und deutsche Filme, dazu die Wochenschau und eine Fortsetzungsserie. Anne las regelmäßig die niederländische Zeitschrift „Cinema & Theater“ und schnitt die Bilder ihrer Stars aus. Die „geschminkten Gesichter“ von Deanna Durbin oder Norma Shearer klebte sie in ihr Sammelalbum.
Ab Mai 1942 verboten die deutschen Besatzer den niederländischen Juden jede Form von öffentlicher Unterhaltung. „Judengesetz folgte auf Judengesetz, und unsere Freiheit wurde sehr beschränkt“, erläuterte Anne Frank am 20. Juni 1942 in ihrem Tagebuch die neuen Restriktionen: „Juden dürfen sich nicht in Theatern, Kinos und an anderen dem Vergnügen dienenden Plätzen aufhalten.“ Auf ihren Kinospaß musste Anne trotz allem nicht verzichten. Otto Frank, der Jahre zuvor einen Werbefilm für seine Opekta-Werke hatte produzieren lassen, besorgte ein Vorführgerät für die Wohnung am Merwedeplein 37. Fortan schufen Anne und ein Nachbarmädchen ihr eigenes Kino im Wohnzimmer. „Wir bastelten kleine Eintrittskarten“, erzählt Jacqueline van Maarsen, die noch heute einige der vergilbten Zettelchen besitzt. Den Text hatte Anne eigens mit der Schreibmaschine getippt: „Jacqueline van Maarsen wird eingeladen zum Film am Sonntag, dem 1. März. Mit Anne Frank, Merwedeplein 37. Um elf Uhr. Ohne diese Karte kein Eintritt. Um Antwort wird rechtzeitig gebeten. Reihe 2, Platz 2.“
Auch an Annes 13. Geburtstag, ihrem letzten in Freiheit, kam der Projektor zum Einsatz. „Nach dem Kaffeetrinken wurden die Rolläden heruntergelassen und ein Filmvorführgerät auf den Tisch gestellt. Eine freie Wand diente als Leinwand“, erzählt Annes Freundin Hannah Pick-Goslar. Die Abenteuer des Schäferhundes „Rin-tin-tin“, der einen Leuchtturmwärter und ein kleines Kind rettet, standen auf dem Programm. Anne und ihre Schulfreunde feuerten den tierischen Helden an, den Bösewicht zu packen und in die Knie zu zwingen. „Rin-tin-tin hat meinen Klassenkameraden gut gefallen“, notierte Anne am 14. Juni 1942 zufrieden in ihr Tagebuch. Sie geriet ins Träumen: „Heute Morgen im Bad dachte ich darüber nach, wie herrlich es wäre, wenn ich so einen Hund wie Rin-tin-tin hätte. Ich würde ihn dann auch Rin-tin-tin nennen, und er würde in der Schule immer beim Pedell oder, bei schönem Wetter, im Fahrradunterstand sein.“
Dazu kam es nicht. Am 6. Juli 1942 bezog die Familie Frank die geheimen Räume an der Prinsengracht 263. Otto Frank und einige seiner Angestellten hatten das Versteck über Wochen vorbereitet und alles Lebensnotwendige dorthin gebracht. Nun musste es schnell gehen, weil sich Annes ältere Schwester Margot zum Arbeitsdienst in Deutschland melden sollte. Das Zimmer in der zweiten Etage, das Anne zunächst mit Margot und ab November mit dem jüdischen Zahnarzt Fritz Pfeffer teilte, war kahl und leer. Doch Anne wusste sich zu helfen. „Dank Vater, der meine ganze Postkarten- und Filmstarsammlung schon vorher mitgenommen hatte, habe ich mit Leimtopf und Pinsel die ganze Wand bestrichen und aus dem Zimmer ein einziges Bild gemacht“, schrieb Anne am 11. Juli 1942 und ergänzte: „Es sieht viel fröhlicher aus.“
In der bunten Stargalerie fanden sich jene Filmhelden, mit denen Anne die heiteren Kinostunden aus besseren Tagen verband: Paramount-Star Ray Milland, Deanna Durbin, Robert Stack, Rudy Vallee, Norma Shearer, die Holländerin Lily Bouwmeester und die RKO-Schönheit Sally Eilers mit ihrem vierjährigen Sohn. Neben dem verdunkelten Fenster strahlte Heinz Rühmann. Der Publikumsliebling schmetterte auf deutschen Bühnen und im besetzten Paris Propagandalieder und hob den Arm zum Hitlergruß, während die Franks um ihr Leben bangten. Anne hatte davon keine Ahnung, Rühmann war ihr Idol.
In den ungewissen Monaten und Jahren des Unterschlupfs wusste Anne nicht, ob und wann sie jemals wieder ein Kino betreten würde. Dennoch blieb ihre Liebe zum Film erhalten. Helfer der Familie brachten Zeitschriften mit, ergänzten die Starsammlung oder erzählten von ihren Kinobesuchen. Anne war begeistert und nahm sich die nötige Zeit für ihr Hobby. „Obwohl ich außerordentlich eifrig bin, was meine Lehrfächer angeht, widme ich doch viele Sonntage dem Aussuchen und Sortieren meiner großen Filmstarsammlung, die einen respektablen Umfang angenommen hat“, vertraute sie am 28. Januar 1944 ihrem Tagebuch an. „Herr Kugler macht mir jeden Montag eine Freude, wenn er mir die „Cinema & Theater“ mitbringt. Obwohl das von den unmondänen Hausgenossen oft als Geldverschwendung bezeichnet wird, sind sie dann jedesmal wieder erstaunt über die Genauigkeit, mit der ich nach einem Jahr noch präzise die Mitwirkenden eines bestimmten Films angeben kann. Bep, die oft ihre freien Tage mit ihrem Freund im Kino verbringt, teilt mir den Titel des geplanten Films samstags mit, und ich rassle ihr sowohl die Hauptdarsteller als auch die Kritik herunter. Es ist noch nicht lange her, da sagte Mans, dass ich später nicht ins Kino zu gehen bräuchte, weil ich Inhalt, Besetzung und Kritiken bereits im Kopf hätte.“
Miep Gies, die immer wieder Lebensmittel und Bücher ins Versteck brachte, erinnert sich mit einem Schmunzeln an die Auswüchse dieser Kinoliebe: „Manchmal breitete Anne ihre Sammlung von Filmbildern aus und betrachtete die schönen Gesichter. Sie unterhielt sich mit jedem Zuhörer, den sie finden konnte, über Filme und Filmstars.“ Auch Otto und Edith Frank entging nicht, dass ihre Tochter die Langeweile und Angst im Hinterhaus mit dem schönen Glanz der Filmwelt kompensieren wollte. Weil echte Freunde fehlten oder weit weg waren, rückten Schauspieler an deren Stelle.
Anne gestand sich dieses Phänomen nie ein, beobachtete es allerdings bei dem scheuen Peter van Pels, der ebenfalls mit seinen Eltern in dem Versteck lebte. Am 16. Februar 1944 schrieb sie: „Wir sprachen über Filmschauspieler, deren Bilder er mal von mir bekommen hat. Sie hängen nun schon anderthalb Jahre in seinem Zimmer. Er fand sie so schön, und ich bot ihm an, ihm mal ein paar andere Bilder zu geben. ‚Nein‘, antwortete er, ‚ich lasse es lieber so, diese hier, die schaue ich jeden Tag an, das sind meine Freunde geworden.’“ Anne erkannte, dass Peter mit den Bildern von Greta Garbo und anderen Stars sein „Bedürfnis nach Zärtlichkeit“ stillte.
Anne setzte dagegen auf ihre Phantasie, um unerfüllbare Wünsche und Bedürfnisse zu verarbeiten. In einer ihrer vielen Kurzgeschichten, die sie parallel zum Tagebuch schrieb, taucht sie sogar in die Studiowelt Hollywoods ein. Die Handlung ihrer „Filmstar-Illusionen“ beginnt mit einem Leben in Frieden und Freiheit, das Anne Frank nicht mehr vergönnt war: Als 17-Jährige (sie starb mit 15 Jahren im Konzentrationslager Bergen-Belsen) findet sie im „Rumpelschrank“ ihren Schuhkarton voller Starbilder wieder und betrachtet die Fotos der Schwestern Priscilla, Lola und Rosemary Lane. Sie schreibt einen Brief an die drei Hollywoodstars und bekommt tatsächlich eine Antwort. Die ungewöhnliche Brieffreundschaft gipfelt in einer Einladung nach Hollywood. Otto und Edith Frank erlauben ihrer Tochter die weite Reise, und so fliegt Anne ab Schiphol für zwei Monate zu den Lanes. Hier bekommt sie ein „reizendes Zimmerchen mit Balkon“, lernt am Strand die Schauspielerin Madge Bellamy („White Zombie“) kennen und begleitet Priscilla Lane zu Probeaufnahmen bei den Warner Brothers. Auch Anne nimmt an einem Casting teil und wird Reklamemodell für einen Tennisschläger-Fabrikanten. Nach vier harten Tagen vor der Kamera ist sie aber derart geschafft, dass sie ihren Job an den Nagel hängt: „Nun genoss ich weiter ungestört meine unvergesslichen Ferien und war für immer von allen Berühmtheitsillusionen geheilt.“
Die Geschichte blieb fiktiv. Anne Frank kam nie nach Hollywood, betrat kein Kino mehr, sah nie wieder einen Film. Auch die Karriere als Schauspielerin war dem Mädchen, das gern an Schulaufführungen teilnahm, nicht vergönnt. Nach mehr als zwei Jahren voller Angst und Entbehrungen im Hinterhaus liebäugelte Anne ohnehin nicht mehr mit einer Kinokarriere. Sie war erwachsen geworden, wollte „später eine berühmte Schriftstellerin“ und kein umjubelter Filmstar werden. Am 7. März 1944 schrieb sie: „Ich will keine Anbeter, sondern Freunde, keine Bewunderung für ein schmeichelndes Lächeln, sondern für mein Auftreten und meinen Charakter.“
Wieder klafften Wunsch und Wirklichkeit weit auseinander. Denn im Hinterhaus nahm sie niemand ernst. In den Augen der anderen war sie zu jung, zu selbstverliebt, zu aufmüpfig, während sie sich selbst als erwachsen und erfahren ansah. Um das Dilemma zu verdeutlichen, verglich sich Anne am 1. August 1944 mit einem Liebesfilm: „Die schöne Seite von Anne, die kennt niemand, und darum können mich auch so wenige Menschen leiden. Sicher, ich bin ein amüsanter Clown für einen Nachmittag, dann hat jeder wieder für einen Monat genug von mir. Eigentlich genau dasselbe, was ein Liebesfilm für ernsthafte Menschen ist, einfach eine Ablenkung, eine Zerstreuung für einmal, etwas, das man schnell vergisst, nicht schlecht, aber noch weniger gut.“
Drei Tage nach diesem letzten Eintrag ins Tagebuch wurden Anne und ihre sieben Leidensgenossen verraten und abgeführt. Über Westerbork und Auschwitz kamen sie ins Konzentrationslager Bergen-Belsen, wo Anne an einem unbekannten Tag im März 1945 starb.
Anne Frank auf der Leinwand und auf der Bühne
Von Kammerspiel bis Zeichentrick
Anne Franks Wunsch, eine berühmte Schriftstellerin zu werden, ist in Erfüllung gegangen. Ihr Tagebuch wurde in 55 Sprachen übersetzt und über 20 Millionen Mal verkauft. Ab 1952 war die englische Übersetzung auch in den USA erhältlich. Sofort erkannten Autoren das dramaturgische Potential in der tragischen Lebensgeschichte. Das Ehepaar Frances Goodrich und Albert Hackett schrieb die erste Bühnenfassung. „Das Tagebuch der Anne Frank“ hatte am 5. Oktober 1955 Premiere am New Yorker Broadway und erhielt Auszeichnungen wie den Pulitzer Preis und den Tony Award. Nach 717 Broadway-Aufführungen am Cort Theater und Ambassador Theater war es nur noch eine Frage der Zeit, bis auch Hollywood den Stoff für sich beanspruchte.
Frances Goodrich und Albert Hackett schrieben ein Drehbuch, das auf ihrem eigenen Theaterstück basierte. Für die Inszenierung nahm 20th Century Fox den Amerikaner George Stevens („Giganten“) unter Vertrag. Von ihm erhofften sich die Studiobosse das nötige Feingefühl. Stevens hatte im Zweiten Weltkrieg einem Kamerateam der Armee angehört und die Befreiung des Konzentrationslagers in Dachau gefilmt. Die Suche nach einer geeigneten Hauptdarstellerin erwies sich als schwierig: Die anfangs favorisierte Natalie Wood („West Side Story“) entschied sich gegen den Part, so dass Millie Perkins, ein 21-jähriges Model ohne Filmerfahrung, nachrückte. Die Rollen von Otto und Edith Frank übernahmen – wie bereits am Broadway – Joseph Schildkraut und Gusti Huber.
George Stevens filmte die Außenaufnahmen in Amsterdam und ließ die Räume des Hinterhauses komplett im amerikanischen Studio nachbauen. Die Kulissen entstanden nach originalen Bauplänen. Auch bei der Einrichtung achtete Stevens auf Genauigkeit. Die Filmstarfotos in Annes Zimmer wurden reproduziert, die Flaschen im Medizinschrank aus Holland eingeflogen, das Brot bei einer holländisch-amerikanischen Bäckerei in Kalifornien bestellt. Der Regisseur setzte Annes Geschichte in ebenso beklemmende wie warmherzige Bildfolgen um. Der Gebrauch des CinemaScope-Formats stand jedoch im krassen Widerspruch zur angepeilten klaustrophobischen Atmosphäre.
„Das Tagebuch der Anne Frank“ lief 1959 in den USA in einer fast dreistündigen Fassung. Die europäischen Kinos spielten die gekürzte Version von 156 Minuten. Miep Gies und viele andere Helfer der Familie Frank waren am 16. April 1959 bei der Premiere im Amsterdamer City Theater anwesend. Hier wurden sie Königin Juliana und Kronprinzessin Beatrix vorgestellt. Otto Frank, der als Einziger der acht Untergetauchten die Konzentrationslager überlebt hatte, blieb der Premiere fern.
Obwohl einzelne Kritiker dem Film vorwarfen, das Tagebuch allzu großzügig ausgelegt und die Hauptrolle falsch besetzt zu haben, feierte das Drama weltweit Erfolge. „Das Tagebuch der Anne Frank“ wurde für acht Oscars nominiert, erhielt aber nur drei Trophäen in den Kategorien Kamera, Ausstattung und Beste Nebendarstellerin. Die Schauspielerin Shelley Winters schenkte ihren Oscar der Anne-Frank-Stiftung in Amsterdam. Dort ist er noch heute im Anne-Frank-Haus zu sehen.
Die Hollywood-Produktion ist die bislang aufwendigste Verfilmung des Tagebuchs, aber bei weitem nicht die einzige. 1967 entstand eine Fernsehfassung des Goodrich-Hackett-Theaterstückes, in der Donald Pleasence den Part von Annes ungeliebtem Zimmergenossen Fritz Pfeffer übernahm. 1980 inszenierte Boris Sagal für den US-Sender NBC ein zweistündiges Remake des Hollywood-Erfolgs von George Stevens. Melissa Gilbert spielte Anne Frank, Maximilian Schell ihren Vater. Es folgten die Fernsehdramen „Das Tagebuch der Anne Frank“ (England 1987, Regie: Gareth Davies) und „Mein Leben mit Anne Frank“ (USA 1988, Regie: John Erman).
Fritz Leentvaar drehte 1994 in Zusammenarbeit mit der Anne-Frank-Stiftung den Jugendfilm „Ein Buch voller Träume“. Als ein 13-jähriger Junge das Hinterhaus besucht, werden alle Personen aus Annes Tagebuch für ihn wieder lebendig. Er bezieht Anne Franks Ideen, Träume und Hoffnungen auf sein eigenes Leben in der heutigen Zeit, in der es noch immer Diskriminierung und Unterdrückung gibt. Für die Dreharbeiten wurde das leere Hinterhaus kurzzeitig wieder so eingerichtet, wie es aussah, als die Familie Frank dort lebte.
Der Japaner Seiya Araki produzierte 1995 den ersten Zeichentrickfilm über Anne Frank. Mehr als 1000 Zeichner aus Japan, China und Korea arbeiteten drei Jahre lang an 110000 Einzelbildern. Die sechs Millionen Euro teure Produktion unter der Regie von Akinori Nagoaka sorgte in den Niederlanden für heftige Kontroversen. Zum einen verweigerte die Anne-Frank-Stiftung jede Zusammenarbeit mit den Japanern, zum anderen durfte die Premiere nicht im Tuschinski Cinema, dem Erstaufführungskino von Amsterdam, stattfinden. Die Anne-Frank-Stiftung betonte mehrfach, dass sie nichts an dem Medium Zeichentrickfilm auszusetzen habe, wohl aber an dem idealistisch und romantisch verklärten Inhalt. Im Mai 1998 stellte der französische Produzent Stephane Dykman seine Pläne für einen neuen Zeichentrickfilm vor. Die veranschlagten Kosten für das nie realisierte Projekt lagen damals bei über 30 Millionen Euro.
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Als Blair den versammelten Stars die mitgereiste Miep Gies vorstellte
als „die Frau, die Anne Franks Tagebuch fand und aufbewahrte“,
spendeten Tom Hanks, Brad Pitt und die anderen Stars stehend Applaus.
Blairs letzte Worte sorgten bei den Schauspielern für weniger Freude:
„In einer Stadt der Zelluloid-Helden ist Miep ein wahrer Held.“
Der Applaus blieb aus.
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Die bislang prominenteste Besetzung für die Rolle der Anne Frank war Natalie Portman. Die 1981 in Jerusalem geborene US-Schauspielerin („Leon – Der Profi“, „Star Wars“) verkörperte Anne Frank jedoch nicht im Film, sondern im Bühnenstück „Das Tagebuch der Anne Frank“ am New Yorker Broadway. Bei Dreharbeiten in Frankreich hatte Natalie Portman erstmals das Tagebuch gelesen und besuchte anschließend auch das Anne-Frank-Haus in Amsterdam. Das Schicksal erinnerte sie an die Lebensgeschichte ihres Großvaters, der in den 30er Jahren von Polen nach Palästina auswanderte. Dort wartete er auf seine Familie, die nachreisen sollte. Doch seine Eltern wurden nach Auschwitz deportiert und kamen dort ums Leben.
Zugunsten ihres Broadway-Debüts lehnte Natalie Portman die Rolle im Kinofilm „Der Pferdeflüsterer“ an Robert Redfords Seite ab. Die Schauspielerin, die bis heute fließend Hebräisch spricht, spielte die Rolle der Anne Frank bis Mai 1998, bevor sie zu Königin Amidala in den drei neuen „Star Wars“-Filmen wurde.
Ergänzend zu den Verfilmungen und Theaterversionen des Tagebuchs entstanden zahlreiche Dokumentationen. Sie schildern nicht nur Anne Franks Zeit im Versteck, sondern auch ihre Kindheit und die Monate im Konzentrationslager. Der Niederländer Willy Lindwer interviewte Frauen, die in den Lagern von Westerbork, Auschwitz und Bergen-Belsen mit Anne zusammentrafen. Aus diesen Augenzeugenberichten entstand der Film „Anne Frank – Die letzten sieben Monate“ (1988). Im Auftrag des Hessischen Rundfunks drehte Günter Pütz 1987 die Kurzdoku „Das Tagebuch der Anne Frank“ mit Archivbildern, Interviews und einem Bericht über die Arbeit in der Anne-Frank-Stiftung.
Die bislang umfassendste Dokumentation gelang 1995 dem Briten Jon Blair: „Anne Frank – Zeitzeugen erinnern sich“. Der Filmemacher, dessen Dokumentation „Schindler“ schon für Steven Spielbergs Holocaust-Drama „Schindlers Liste“ Pate stand, verband Tagebuchauszüge, Interviews, Archivfotos und neue Aufnahmen zu einem 122-minütigen Film-Mosaik, das Anne Frank nicht als Heilige, sondern als Mensch mit Phantasie und Fehlern zeigt. Zudem enthält Blairs Dokumentation die einzigen bewegten Bilder von Anne Frank: Ein Amateurfilmer drehte 1941 eine Hochzeit in der Nachbarschaft der Familie Frank. Für sieben Sekunden ist auch Anne zu sehen, wie sie lächelnd aus dem Fenster schaut und einen Blick aufs Brautpaar erhascht.
„Anne Frank – Zeitzeugen erinnern sich“, im Original gesprochen von Glenn Close und Kenneth Branagh, gewann 1996 den Oscar als Bester Dokumentarfilm. In seiner Dankesrede vor Hollywoods erster Garde sagte Jon Blair: „Anne Frank liebte die Filme. Im Oktober 1942 schrieb sie sogar, dass sie nach Hollywood kommen wolle. Natürlich war das ein Traum, den sie nie verwirklichen konnte.“ Doch nun sei zumindest ihre Geschichte nach Hollywood gekommen, wofür Blair sich bei der BBC, bei Sony Pictures Classics und bei Steven Spielberg bedankte, die den Dokumentarfilm gemeinsam vorangetrieben und finanziert hatten. Als Blair den versammelten Stars die mitgereiste Miep Gies vorstellte als „die Frau, die Anne Franks Tagebuch fand und aufbewahrte“, spendeten Tom Hanks, Brad Pitt und die anderen Stars stehend Applaus. Blairs letzte Worte sorgten bei den Schauspielern für weniger Freude: „In einer Stadt der Zelluloid-Helden ist Miep ein wahrer Held.“ Der Applaus blieb aus.
Text und Fotos: Michael Scholten
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