Nude Visions

Die Kunsthalle Erfurt präsentiert eine kurze und kurzweilige Geschichte der Aktfotografie. Und thematisiert so auch die Nacktheit im Wandel der Zeiten.

Eva war schuld. Sie aß von dem verbotenen Apfel, und so erkannten sie einander, so war ihnen ihre natürliche Nacktheit nicht mehr natürlich. Seither war die Sünde in der Welt, das Begehren. Seither war Nacktheit das Besondere. Und die – männlichen – Autoren des Buches Genesis machten sich zu Anwälten der künftigen Generationen von Männern, denen sie Absolution für ihr Begehren erteilten: Eva war schuld, das Weib, der Teufel.

„Weibliche Nacktheit muss man den Männern mit dem Teelöffel geben, nicht mit der Schöpfkelle“. Coco Chanels Satz empfängt den Besucher in der Erfurter Kunsthalle zu den „Nude Visions“. Die weise Beschränkung der Französin, auf die Steigerung des Begehrens gerichtet, ist längst schon ersetzt worden durch, sozusagen, das Schwingen der Schöpfkelle.

Die Welt ist nackt, Nacktheit in jeder Form ist grenzenlos verfügbar. Das ist ein Verlust von falscher Prüderie und schönem Reiz zugleich. Es ist wohl auch ein Verlust für die ambitionierte Aktfotografie, die durch ihre schmuddelige Schwester, die Pornografie, einen Teil ihrer Besonderheit verlor. Die Einwendung, so könne sich die künstlerische Aktfotografie auf ihr Eigentliches, eben die Kunst konzentrieren, ist nur zum Teil richtig. Denn Kunst oder Pornografie dem Akt ist immer, auf diese oder jene Weise, der Sexus eingeschrieben. Und sei es durch den betonten Versuch seiner Negation.

Die Erfurter Ausstellung, eine von Ulrich Pohlmann konzipierte Arbeit des StadtmuseumsMünchen, gibt einen Überblick zur Geschichte der Aktfotografie, die es im Grunde so lange gibt wie die Fotografie selbst – wie es das Abbild des nackten Menschen gibt, seitdem der Mensch sich doch ein Abbild schuf. Die heute in der Tat mitunter eher heitere als erotische Anmutung der sehr frühen Arbeiten, etwa die Stereo-Daguerreotypien, belegt die sich verändernde Wahrnehmung öffentlicher Nacktheit in den etwa 150 Jahren seither. Die ersten hier zu sehenden Akte verhalten sich zur Bildhauerei wie das sich entwickelnde Kino zur Nacktheit: nachahmend.

Da die Nacktheit der jeweiligen sexuellen Zielgruppe für Männer eine größere Rolle spielt als für Frauen, und da Männer in ihrer sozial privilegierten Rolle das leben konnten, ist der weibliche Akt dominant, nicht nur in der Pornografie. Und dass bestimmte Inszenierungen eben tatsächlich nur mit Frauen funktionieren, zeigen zwei Arbeiten von Männern über Männer. Hermann Stamm ironisiert in seiner „Hommage a Helmut Newton“ eine Ikone dieses Fotografen, die gesattelte Frau, indem er die Inszenierung auf einen Mann überträgt. Und das frühe Porträt des Bodybuilders Arnold Schwarzenegger zeigt, dass ein die Geschlechtsspezifik ins Maßlose steigernder Mann viel schneller der Lächerlichkeit anheimfällt als eine Frau was wohl wiederum mit dem Unterschied von männlichem und weiblichem Sehen zu tun hat. Denn wenn Frauen in Betrachtung dieser übersteigerten Männlichkeit mehrheitlich verzückt wären, dann fänden auch Männer diesen Mann nicht albern, sondern beneidenswert.

Wie sehr die Wahrnehmung von Nacktheit sich verändert hat, offenbart auch Bert Sterns berühmte Arbeit mit Marilyn Monroe: Transparentes Material über der Brust, ein heiteres Lächeln. Das ist, ohne Zweifel, ein schönes, ein erotisches Foto, aber es ist auch ein Foto, das nicht überlebt hätte, wäre die schöne Frau ein namenloses Model: Ikonen bleiben auch deshalb Ikonen, weil wir wissen, dass es Ikonen sind.

So wie keine inszenierte Entkleidungsshow je so erotisch sein kann wie der flüchtige voyeuristische Blick auf die fremde Frau hinter der Gardine, so ist wohl auch kein Foto so erotisch wie das mit einer tatsächlichen oder inszenierten privaten Anmutung. Diesen unvergänglichen Reiz verströmen die Arbeiten von T.W. Salomon, dessen „Revuegirls“ von 1935 wohl nicht von ungefähr das Werbeplakat zieren. Dies ist das mit Abstand erotischste Foto dieser Ausstellung – und darauf könnten sich womöglich Angehörige aller Geschlechter verständigen. Was doch immerhin zeigte, dass es ist nicht ganz hoffnungslos ist mit den Männern und den Frauen.

 

Henryk Goldberg, Thüringer Allgemeine 13.09.2011

Bild oben: T.W. Salomon (zugeschrieben), Revuegirls, ca. 1935, Silbergelatineabzug, © Münchner Stadtmuseum

Bild unten: Gerhard Riebicke, Paar beim Ausdruckstanz, um 1930, © Münchner Stadtmuseum

Nude Visions

150 Jahre Körperbilder in der Fotografie

vom 11. September bis zum 27. November 2011 in der Kunsthalle Erfurt