Was soll der Geiz – leisten wir uns mal was Schönes. So wie man sich beim Sonntagsausflug einen Eisbecher mit Sahne leistet oder einen neuen Wintermantel, den man eigentlich nicht braucht. Sich was leisten, dabei ein klitzekleinwenig über die Stränge schlagen, das schlechte Gewissen ignorieren und das wohlige Gefühl genießen, an Wirtschaftswunder, Wohlstand und Fortschritt zu partizipieren – das hat doch schließlich die Bundesrepublik seit den 50er Jahren ausgemacht. Leisten wir uns mal was! Ganz in diesem Geist der Geizüberschreitung leistet sich auch die deutsche Kulturnation etwas Schönes: Ein Stadtschloss. Was sind schon 590 Millionen. Schließlich kostet der Neubau des Bundesnachrichtendienstes viel mehr, nämlich mindestens 700 oder 800 Millionen, wie Kulturstaatsminister Bernd Neumann nun vorgerechnet hat. Na also. Das spricht doch für das Schloss. Wir können uns demnach also alles leisten, was weniger kostet als die Betonburg des BND. Das verspricht eine goldene Zukunft.
So ganz ist die Logik Bernd Neumanns aber leider nicht nachzuvollziehen. Was möchte er uns sagen? Wenn an einer Stelle viel Geld für einen Neubau verpulvert wird, dann darf an anderer Stelle auch fröhlich gepulvert werden? Wenn der Überwachungsstaat sich was Schönes leistet, dann darf, dann muss die Kulturnation nachziehen? Oder möchte Neumann zur Beruhigung darauf hinweisen, dass trotz Staatsverschuldung, Eurokrise und Börsendesaster genug Geld in den öffentlichen Kassen ist? Dass Sparanstrengung und Verschleuderungslust sich vielleicht gegenseitig befeuern zu neuem Aufschwung? Schließlich leisten wir uns ja zudem auch noch einen schönen neuen überflüssigen Stuttgarter Bahnhof, der noch viel, viel mehr kosten wird als Schloss und BND-Burg zusammen. Aber was soll’s. Bevor das Weltfinanzsystem, die EU und alle einzelnen Staaten nacheinander Pleite gehen, verjuckeln wird doch besser, was die leeren Kassen hergeben, bevor das fiktive Geld sich selbst vernichtet.
Späteren Generationen wird diese Haltung vielleicht als Untergangsrausch erscheinen. Es ist schon auffällig, dass ausgerechnet in den Zeiten finsterster Finanznot sehr viel Geld für nichts als Symbole ausgegeben wird, anstatt für die bei dieser Gelegenheit immer gern zitierten Kindergartenplätze, um nur ein Beispiel zu nennen. Für das Symbol der Macht und ihrer fragwürdigen Geheimnisse im Falle des BND. Für das Symbol einer restaurativen Kultur, die Sehnsucht nach der verflossenen Monarchie verspürt, ohne zu wissen, was in diesem Gehäuse dann eigentlich stattfinden soll. Und für ein Symbol des technischen Fortschritts und der Beschleunigung wie in Stuttgart, das aber auch nichts anders verkörpert als den Fortschritt von vorgestern. Wir geben – das ist das Paradox – viel Geld aus, das wir nicht haben, um Löcher zu stopfen, die wir ignorieren. Geistige Löcher. Ideenlöcher. Wenn die Zukunft nichts erahnen lässt, muss Beton drauf. Koste es, was es wolle. Das leisten wir uns.
Jörg Magenau
rbb Kultur, 23.8.11
Bild: Berlin plastic model of Stadtschloss; Aufnahme: 21.10.1992, CC BY-SA Robert Schediwy
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