In der populären Mythologie sieht die vorletzte Gemeinheit des Kapitalismus ungefähr wie folgt aus: Die Zocker im großen Casino haben sich übernommen in ihrer Gier, und weil sie „frisches Geld“ zum Weiterzocken brauchten, haben sie die Betreiber des Casinos – die von ihnen abhängigen Regierungen – gezwungen, ihnen welches zu besorgen. Die Regierungen haben es von ihren Bürgern genommen, und die Zocker machen genauso weiter wie zuvor. Da sie allerdings nun wissen, wie „systemrelevant“ sie sind, treiben sie es gerne sogar noch etwas schlimmer. Die Bürger schauen mit fassungslosem Grimm auf das Casino. Sollen sie zornig sein, dass es so weitergeht wie bisher? Oder darüber, dass sie nicht mitspielen?
Fast nichts habe sich geändert nach der Krise, sieht man von den hilflosen Versuchen der Regierungen ab, das wildgewordene Spiel hier und dort ein klein wenig unter Kontrolle zu bringen. Schutzschirme hier, das Verbot von „Leerverkäufen“ dort. Das war doch der Handel mit Aktien, die man gar nicht hat, oder das Wetten darauf, dass etwas an Wert verliert, oder sonst was Unmoralisches. Und dann gibt es noch Hedgefonds. Sinnbilder jedenfalls dafür, dass sich der Casino-Kapitalismus äonenweit vom redlichen Kaufmannsgeist entfernt hat, aus dem er doch einmal entstanden sein soll. Vor der Krise kannten wir nicht einmal die Worte für so etwas.
Sonst hat sich nichts geändert nach der Krise? Doch. Von der Krise geblieben ist das allgegenwärtige Sprechen über die Krise, ein mediales Grundrauschen, ein Verlangen nach Information, Erklärung, Bild: Die Krise hat die Wirtschaftsnachricht auf- und die politische Nachricht abgewertet. Aber natürlich ist da nicht kritische und demokratische Öffentlichkeit entstanden, kein kontrollierender Blick auf das Casino, der womöglich eine Schließung, zumindest strengere Regeln verlangte. Im Gegenteil: Um das Casino vor dem Volkszorn oder wenigstens vor Neid zu schützen, öffnen die Medien seine Pforten. Nur hereinspaziert, sagen die Tickermeldungen, die Börsensendungen vor der Tagesschau, die Wirtschaftsnachrichten der Bild-Zeitung, es ist alles gar nicht so kompliziert, jeder kann mitmachen, jeder kann jedenfalls mitreden, hier dreht sich das Rad des Glücks, und hier gibt es, wie ihr es aus euren Soap Operas und Casting Shows gewohnt seid, die Guten und die Bösen, das gütige Schicksal und das „Shit happens“. Ökonomie ist auch nur ein Reality-Format.
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Das Rating ist die narzisstische Introspektion
eines Systems, das sich nicht mehr entwickeln kann.
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So wird der Überdruck des Krisenzorns eben nicht bloß kontrolliert entlassen, sondern im Gegenteil in die Energiekreisläufe zurückgespeist. Der Zorn auf den Casino-Kapitalismus wird im Vergnügen eines medialen Mitmach-Kapitalismus aufgelöst, in dem durchaus noch Platz genug ist für die Aggressionstherapien. Dazu bedarf es zunächst einfacher Sinnbilder. Warum wirft man nun nach den „gierigen Heuschrecken“ dem Publikum etwa die „Rating-Agenturen“ zum Fraß vor, neben Phantasmen wie den „faulen“ Griechen, die „über ihre Verhältnisse gelebt“ hätten? Es ist sehr einfach: Die Rating-Agenturen sind mitnichten so mächtig, dass sie einen entschlossenen Investmentbanker beeinflussen könnten. Man hat sich zugleich ein Instrument, einen Spiegel und einen Sündenbock geschaffen. Die Rating-Agenturen sind, übrigens auch was die Durchschnittsgehälter ihrer Mitarbeiter anbelangt, die Kleinbürger im globalen Finanzkapitalismus.
Man stellt sie sich ein wenig wie griesgrämige Buchhalter mit Ärmelschonern vor, die den hochfliegenden Unternehmerträumen immer wieder mit realistischen Zahlen begegnen und eine diebische Freude daran haben, gute Laune mit schlechten Zahlen zu verderben. Aber natürlich sind Rating-Agenturen auch „Erzählung“ genug, um schließlich noch beim ökonomisch Ungebildetsten anzukommen: Wir sind gewohnt, dass in unseren Zeitschriften und anderen Unterhaltungsmedien kaum noch etwas in Storys, sondern viel besser in Rankings und eben Ratings ausgedrückt wird. Die hundert besten Heringsmenüs, die zehn Großromane, die man schon immer als „überschätzt“ eingestuft haben will, das Dutzend allerbester Ausreden fürs Zuspätkommen…
Das Rating ist die narzisstische Introspektion eines Systems, das sich nicht mehr entwickeln kann. So wie jemand, dem nichts mehr einfällt als zwanghaft das Angesammelte immer wieder neu zu sortieren. Ein Rating verstehen wir daher sofort, und das Rating der Rating-Agenturen scheint noch einfacher als das Rating der Heringsmenüs. AA+! CC-! Gibt es etwas Einfacheres? Daher ist auch ihre Schuld sehr einfach festzustellen. Ab heute ist nicht mehr die „Gier“, sondern die Rating-Agentur Schuld an allem, was schiefläuft. Sie stufen ein Unternehmen oder gleich einen ganzen Staat herunter, und prompt geht er bankrott. So wäre eine der Lösungen eine eigene Rating-Agentur. Gute Ratings gegen böse, unsere Ratings gegen die der anderen. Weil: Ohne Rating wäre man ja ratlos.
Rating-Agenturen und ihre offenbar naturgegebene Medialität erscheinen in der Erzählung des Kapitalismus gleichsam zur rechten Zeit, um die Transformation des Casino-Kapitalismus in den Medienkapitalismus zu forcieren. Der Casino-Kapitalismus hatte sich durch drei Elemente geschützt. Erstens durch die Architektur des Casinos selbst. Da kam nicht jeder herein, da war man unter sich. Man musste richtig angezogen sein und die richtigen Freunde haben, um mitspielen zu können, und man musste die sich beständig ändernden Regeln des Spiels verstehen können und auch die richtigen Leute mit kleinen Geschenken gewinnen. Das ist doch viel zu kompliziert für euch, sagten die Zahlentabellen, Kuchengrafiken und Diagramme in den Wirtschaftsnachrichten; da mitzuspielen heißt Sachverstand haben, mathematisches Abstraktionsvermögen, es ist intellektuelle Schwerstarbeit, wenn auch an Mahagoni-Schreibtischen und bei guten Zigarren. Das Spiel des Casino-Kapitalismus verstand sich zugleich als Wissenschaft, und dementsprechend standen gut gekleidete, hochnäsige „Experten“ zwischen den Spieltischen herum und erklärten das Spiel zur Welt und die Welt zum Spiel. Vor allem erklärten sie den Nicht-Experten zum Nicht-Spieler.
So war also zweitens für die Exklusivität der Casino-„Elite“ auf eine semantische Weise gesorgt. Wer zum Mitspielen berechtigt ist, der muss etwas davon verstehen, den erkennt man an der Sprache, der weiß, warum man nicht zu viel Eigenkapital haben darf und wie man ein Portfolio zusammenstellt. Und drittens muss noch dafür gesorgt werden, dass die Spieler eine ausreichende Bonität nachweisen. Wer spielen will, braucht Kapital, egal woher er es sich besorgt. Casino-Kapitalismus braucht den inneren Kreis der Eingeweihten und Verschworenen. Der Casino-Kapitalismus verlangt danach, dass das Kleingeld schon draußen irgendwo gesammelt wird, am besten gleich durch den Staat, und er verlangt danach, dass Kapital, wo immer auch es „erwirtschaftet“ wird, am Ende ins Casino getragen wird. Kleingeld (also das, was noch unterhalb dessen liegt, was unsere Freunde dort drinnen „Peanuts“ nennen) und Casino-Kapital sind nicht nur ökonomisch, sondern auch kulturell, politisch und narrativ voneinander getrennt. (Deshalb darf eine Kassiererin wegen 18 Cents fristlos entlassen und ein Banker wegen 18 Millionen gar nicht erst schräg angesehen werden.)
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Wer spielen will, braucht Kapital,
egal woher er es sich besorgt.
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Kurzum: Der Casino-Kapitalismus ist jene Phase in der Geschichte unserer Ökonomie, in der eine gewaltige kulturelle, moralische und politische Mauer das Innen und Außen der Spielclubs, Casinos und Börsen von der „realen“ (Wirtschafts-)Welt trennt. In einem einfachen (aber nicht wirklich treffenden) Sinnbild wurde uns das als eine Trennung von Finanzkapitalismus und Realwirtschaft erklärt. Letztendlich ging es darum, das Casino vor dem Pöbel zu schützen, so oder so. Niemand da drinnen hatte es darauf abgesehen, draußen besonders beliebt zu sein.
Aber immer schon war da diese andere Erzählung im Casino-Kapitalismus. Dem Schlagwort von der Wirtschaft als Wissenschaft (abgeleitet von ein paar Hundert Jahren intensiver Theoriebildung von Kopernikus bis Keynes) stand jenes andere gegenüber: „Wirtschaft ist Psychologie“. Was am Ende nicht nur meinte, dass man im Casino neben Berechnung und Expertenrat vor allem die Kunst des Bluffens, Verführens, Betrügens und Erpressens beherrschen musste, sondern viel umfassender, dass Wirtschaft nicht nur „Kultur“ sondern auch „Natur“ ist. So stehen sich zwei mehr oder weniger gleich anerkannte Aussagen über das Wesen des Casino-Kapitalismus gegenüber: Wirtschaft ist das Komplizierteste, was es gibt. Und: Wirtschaft ist so lachhaft einfach wie fressen, ficken und fernsehen.
Wer es im Casino zu etwas bringen will, der muss verstehen, dass zwischen diesen beiden Aussagen kein Widerspruch, sondern eine dialektische Einheit besteht. Es geht zu wie in einer Maschine, die so kompliziert und selbstreflexiv geworden ist, dass sie in Wahrheit keiner mehr versteht, keiner mehr wirklich kontrollieren kann. Und: Es geht zu wie im Kindergarten. Wie auf der Ghettostraße. Oder auf dem Affenfelsen, solche Vergleiche liebt die einschlägige Literatur, die gerne Bücher mit Titeln wie Managen wie die Wilden oderThe Will to Manage hervorbringt. Das „Hyperkomplexe“ auf der einen Seite, das gnadenlos Komplexreduzierte auf der anderen Seite treffen sich in einer fatalistischen Metaphysik: Da kann man nichts machen, es ist wie es ist. Was zugleich höchste wissenschaftliche Kultur und barbarische Natur ist („der Markt“), das ist mehr der weniger: das Leben selbst. Für euch da drinnen und uns hier draußen.
Die Krise des Casino-Kapitalismus war indes nicht allein durch eine ausgeblendete Logik innerhalb des Spiels selber entstanden – Krisen gehören zum System wie das Gewinnen und Verlieren, sondern auch und sogar vor allem durch jenes an die postdemokratischen Regierungen ausgelagerte „Einsammeln von Kleingeld“. Im Umfeld der großen Casinos wurden allenthalben die kleineren, volkstümlichen Wettbüros angesiedelt, Finanzberater, Makler, Banken, die sich damit beschäftigten, das Kleingeld der Bürger in das vom Casino akzeptierte Spielgeld zu verwandeln, jenes Kleingeld, das vor allem aus dem Versprechen bestand, für den Rest des Lebens immer so weiter zu arbeiten. Hebel dafür waren zum einen die Kleinbürgerträume, das Haus, das Auto, die Familie, und es war das Spiel mit den Kleinbürgerängsten: Postdemokratische Regierungen nennen es „Eigenverantwortung“, wenn sie die Bürger dazu zwingen, ihre Versorgungsansprüche und sogar Teile ihres Arbeitslohnes zu kapitalisieren, also dem Casino-Spiel zur Verfügung zu stellen.
Was das Casino dann erwischte, könnte man paradoxerweise als eine „Kleingeldkrise“ bezeichnen. Die Welt konnte das Geld für das Casino einfach nicht mehr erwirtschaften, und das Casino konnte das Geld nicht schnell genug virtualisieren, um auf einen „Wirklichkeitsrest“ zu verzichten. (Natürlich stimmt diese Geschichte wiederum nur in der „Kindergarten“-Hälfte des Kapitalismusbildes. In der Komplex-Hälfte entstanden neue Subsystem und Sprachen, die sich destruktiv und infektuös zueinander verhielten. Wie auch immer: Die Krise des Casino-Kapitalismus veränderte zunächst vielleicht nicht viel, machte aber manches sichtbar.)
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Wirtschaft ist das Komplizierteste, was es gibt. Und: Wirtschaft
ist so lachhaft einfach wie fressen, ficken und fernsehen.
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Nun könnte man vermuten, nach der Krise, die viele Menschen um Hoffnungen und Träume brachte, und die Verhältnisse auf den Märkten und in den Gesellschaften veränderte, in Bilder gebracht wie „das Platzen einer Blase“ oder „die Schuldenkrise“, hätte man sich in der Kleingeldsphäre zusammen getan und dem Casino ein herzhaftes „Mit uns nicht mehr“, oder „Unser Geld werdet ihr nicht mehr verzocken!“ entgegen geschleudert. Doch genau das Gegenteil traf ein. Zwar wird noch ein bisschen gemurrt über das schamlose Weiterzocken, die Manager- und Banker-Boni, aber schon macht sich im Leitmedium Fernsehen die Gegenbewegung breit. Zuerst mag man sich noch über die vielen Werbesendungen wundern, welche die Dienste genau jener Finanzberater anpreisen, in warmen, familiären Bildern, die uns vor ein paar Monaten noch um die Ersparnisse brachten: Es helfen nur Berater, die noch mehr den TV-Idealen entsprechen, wo Beratung so versagte. In den Innenstädten, wo früher Videotheken und Sexshops in die Räume der von den Konzernen ruinierten Einzelhandelsgeschäfte zogen, breiten sich wie eine urbane Peulenpest die Büros von Finanzberatern, Versicherungsmaklern und Investment-Agenturen aus.
Anlageberatung, so scheint es, tut mehr not als frisches Obst. Zeitungen werden nicht mehr vom Sport- sondern vom Wirtschaftsteil aus gelesen, fallende Aktienkurse werden als böse Omen angesehen, „erfreuliche“ Wirtschaftsdaten dagegen scheinen automatisch zu belegen, dass es „uns“ wieder besser geht. Der Morgen beginnt für Leute wie du und ich mit einem Blick in den „Börsen-Ticker“. Unter den Nachrichten aus aller Welt laufen als unendliches Band die Börsenkurse in Echtzeit. Und jeden Tag präsentiert das Erste Deutsche Fernsehen in einer Sendung vor den Nachrichten die Börse als Schicksalsraum und Stimmungszirkus. Moderator oder Moderatorin, so charmant wie Heizdecken-Verkäufer bei Senioren-Kaffeefahrten, preisen das System als so umfassend wie menschlich, nie verabschieden sie sich, ohne die komplexen Aktienbewegungen in einen volkstümlichen Sinnspruch verpackt zu haben. Im Ecotainment dieser famosen Sendung wird in den auftretenden Figuren, den Moderatoren und ihren Experten-Gästen, die dialektische Einheit von komplexem System und Kindergarten mythisch vollendet. Die Maschine der Börse ist hier zu einem Jahrmarktgerät geworden. Im Ecotainment muss nichts stimmen, aber alles stimmig sein. Der populistische Medienkapitalismus erwies sich als perfekte Antwort auf die Krise.
Politisch gesehen also zwingt die postdemokratische Regierung ihre Bürgerinnen und Bürger gleich auf mehreren Ebenen, das geldbedürftige Casino (oder was an seine Stelle tritt) zu unterstützen. Durch die Steuern, durch die „Sparprogramme“, die aus der Gesellschaft Sicherheit und Gerechtigkeit abzieht, und schließlich durch die Privatisierung von Vorsorge und Versicherung. Niemand soll einfach ein wenig „Geld behalten“, jeder soll es so schnell als möglich wieder ins Spiel bringen. Und damit das schneller geht, wird in der Allianz allfälliger Beratung, Werbebildern und dem neue Ecotainment der Medien eine neue Teilhabe suggeriert. An die Stelle des Casinos tritt ein virtueller multimedialer Raum, in dem sich Ökonomie in den Formen der gewohnten Unterhaltung offenbart. Klar kann man hier verlieren, aber man gehört dazu. Alle gehören dazu. Es gibt nichts anderes.
Eine zweite Finanz-Industrie ist entstanden, mit nichts anderem als dem Einsammeln des Kleingeldes und der Umwandlung in Casino-Kapital beschäftig, sowie eine dritte, die sich der Propagierung und Medialisierung des Spiels widmet. So ist also an die Stelle einer „Mauer“ zwischen dem Casino und dem „wirklichen Leben“ eine „Zone“ getreten, in der in einem fortwährenden Mediennebel das Kleingeld der Menschen in Kapital verwandelt wird, das sich ungehemmt bewegen kann. Die Maschinen, die dieses Ummünzen bewerkstelligen, arbeiten schnell, effizient und erbarmungslos; die Medien aber, die den Prozess umhüllen vermitteln in Fröhlichkeit und Hysterie, dass die Menschen ihn genießen, lustig, bunt und spannend wie er ist, denn in ihm waltet Schicksal, geht es menschlich zu, spielt das Leben. Sinnvollerweise finden in diesen beiden neuen Industrien von Beratung und Propaganda auch wieder Menschen des Krisen-geschüttelten Kleinbürgertums Arbeit und Karriere.
In der Börsensendung des deutschen Fernsehens wird eine mythische Einheit des Casino-Geldes mit dem Spielgeld einer Quizshow zelebriert. Das Geld in der Börsensendung hat einerseits also mit nichts zu tun als sich selbst, und es hat andererseits, wie die anderen Formen der kleinen Orakel zu funktionieren, wie die Ergebnisse der Bundesligaspiele, wie das Wetter, wie die Ziehung der Lottozahlen, wie andernorts auch Horoskope oder Telefonwahrsagerei, magischen Charakter. So entstehen reduzierte Bilder für „gut“ und „schlecht“; uns geht es gut, wenn unser Verein gewonnen hat, wenn die Sonne scheint, wenn wir ein paar richtige haben, wenn die Dax-Kurve nach oben zeigt. Und während man auch hier früher auf so etwas wie einen „unparteiischen“ Vermittler setzte, setzt man, Kachelmann sei Dank, oder auch nicht, in allen diese Orakeln längst Strategien der Emotionalisierung ein. Es mag der größte Blödsinn sein, aber sein Vermittler ist davon ergriffen und authentisch begeistert. So wie Kachelmann das Wetter und seine Vorhersage irgendwie zu euphorisieren schien (wir wollen in diesem Zusammenhang den Begriff der „Erotisierung“ vermeiden, aus Gründen des guten Geschmacks), so scheint die Vermittler der Börsensendung die schiere Erwähnung von steigenden Aktien oder DAX-Werten in einen amüsierten Rausch zu versetzen (wie Verkäufer, welche die Gier des Publikums nach ihrer Ware kennen und es genießen, sie zappeln zu lassen). Zweifellos hat das mediale Ecotainment Züge einer Drogenszene. Überall winken Lust und Gewinn, das „Du willst es doch auch“, „Man sollte es wenigstens mal probieren“, und „Es machen doch alle“.
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Die Antwort des Kapitalismus auf seine letzte Krise
ist die Produktion eines populistischen Ecotainment,
das uns die Zwangskapitalisierung von Alltag und Biographie versüßt.
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So ist aus dem „So geht es nicht weiter“ nach der Krise ein „Wir machen jetzt alle mit“ geworden. Das Casino ist nicht mehr der ferne, prächtige und abweisende Bau, in dem gut gekleidete Herrschaften nach geheimnisvollen Regeln Geldsummen über die Tische schieben, die du dir nicht einmal vorstellen kannst, sondern ein durchlässiges Las Vegas, wo du in den Vorhallen dein Kleingeld verwetten kannst, und keiner dich fragt, ob deine Schuhe auch italienisch genug sind. Auch Kinder sind erlaubt, und wenn du über die Maschine mitmachst, interessiert sich niemand für deinen Dresscode und das Getränk, das du bei dir hast. Jetzt sitzen wir mit an den Tischen der Zocker, wir erfahren in unseren illustrierten Magazinen und unseren Bilderzeitungen alles wissenswerte, wir sind Teil des Spiels, alles kleine Fachleute, wie beim Fußball und bei Germany’s next Supermodell, und hey, das Spiel macht Spaß, es ist eigentlich auch nichts anderes als Quiz-Show,Dschungelcamp und „Wetten dass“: modulare Phantasiewerte, nennt man das andernorts, wir aber wissen: Es kommen Katastrophen und Glücksfälle, aber immer so, wie wir es schon immer gewusst haben.
Die Antwort des Kapitalismus auf seine letzte Krise ist also die Produktion eines populistischen Ecotainment, das uns die Zwangskapitalisierung von Alltag und Biographie versüßt. Ecotainment besteht aus dem spielerischen Zitieren von „Fachchinesisch“, das in lustige Allerwelts-Bilder übersetzt und in die Dramaturgien der Unterhaltung übertragen wird. Die Angst vor einem Absturz wird in kleine Portionen von Schadenfreude oder Empathie übertragen. Auch wenn es „mir“ schlecht geht, geht es „uns“ gut, und dann geht es „mir“ auch schon wieder besser. Niemand kann etwas gegen Kapitalismus haben, wenn er doch Alltag so sehr wie Vergnügen geworden ist. Und Kapitalismus ist gar nicht so schwierig, da brauchst du dir nur von dieser Moderatorin das mit dem Dax und den Hedge Fonds erklären zu lassen, und die findet das alles auch so lustig und geil. Aber Ecotainment ist keineswegs nur eine Ökonomisierung der Bildwelten und Narrative der gewöhnlichen Unterhaltung, Ecotainment funktioniert auch in den, nun ja, Experten-Medien.
Wenn man, zum Beispiel, den Wirtschaftsteil der FAZ genauer betrachtet, so fällt unmissverständlich die steigende Durchsetzung mit Elementen des Ecotainment auf, die in den letzten Monaten offenbar bis zur Berührung mit dem Kindergarten-Teil des Kapitalismus-Bildes reicht. Da ist einmal das Personalisieren, das ein hübsch komplexreduziertes Gegengewicht gegen das Analysieren und die Zahlen bildet: Die Interviews lösen ein wohliges Gefühl aus: So schlau bin ich auch noch! Und da sind launige Kolumnen der „Wirtschaft ist Psychologie“- Art, der Manager-als-Mensch- oder auch der Ein-Finanzwirtschaftsbüro-ist-nichts-anderes-als-eine-Mischung-aus-Affenfelsen-und-Kindergeburtstag-Art, nur dass die Sauereien heftigere Folgen haben. Und da sind Serien zu „Freizeitmöglichkeiten“ für die Insassen der Finanzwirtschaft wie Ballermann für Banker, wo beschrieben wird, wie sich die Banker in den After-work-Parties die Kante geben und sich abzuschleppen versuchen, wenn sie nicht entweder schon zu blau dafür sind oder insgeheim ihre Geschäfte weiter treiben. Eine Kehrseite des Ecotainment ist zweifellos, dass uns die „Zocker“ ganz ungeschminkt entgegentreten, wie abgehalfterte Promis im Fernsehen. So tritt neben das geile Gefühl des Mitmachens ein zweites, leicht panisches: diesen unappetitlichen Vollidioten sollen wir unser Geld anvertrauen? Unterhaltung ist immer durchsetzt von Begehren und Angst; Ecotainment ist eine Mischung aus Gier und Grauen.
Verändert sich durch die Wandlung des Casino- in den Medienkapitalismus auch das Spiel selbst? Ein endloses Gerede, Gerüchtemachen, Zahlenspielen, Metaphorisieren und Bilderdurcheinander ist da entstanden, das überraschenderweise nicht nur von oben nach unten sondern auch umgekehrt wirkt, wie im übrigen alle Blödmaschinen. Nun ist das Casino nicht nur vernebelt und mit neuem Geld versorgt, sondern dieser Nebel und dieses neue, andere Geld dringt mitsamt seinem menschlichen Anhang nun auch ins Casino selber ein (oder eben das Post-Casino). In der einfachsten Variante pflegen Systeme auf die Produktion der eigenen Bilder hereinzufallen. Das Ecotainment ist nicht mehr nur Propagandabild und Illusion, sondern wird selber Teil des Spiels. Statt Fakten werden einfach Nachrichten geschaffen, die schaffen dann schon die Fakten.
Dazu muss man sich klar machen, nach welchen Kriterien eigentlich die Produktion von „Nachrichten“ innerhalb einer Aufmerksamkeitsdramaturgie entwickelt ist: Kampagnen, Krisen, Katastrophen, Skandale in der entsprechenden Folge. Es handelt sich um narrative Zyklen, deren Montage in aller Regel wichtiger ist als ihr Inhalt. Die Hysterisierung des Finanzkapitalismus durch Internet-Ticker, Bild-Zeitungsjournalismus und Fernsehen ist in ihrer Wirkung am Ende noch gar nicht absehbar. Eine Schreckensmeldung von den Börsen ist natürlich mehr wert als eine „Beruhigung“ (wennzwar diese natürlich zyklisch wiederkehren muss); und die Rating Agenturen sind dafür der perfekte Puffer (sie scheinen diese Rolle allerdings auch sehr gern zu spielen, sie fallen auch selbst auf ihren Bedeutungswandel in der Öffentlichkeit herein). Eine Rating Agentur ist daher so etwas wie ein Schiedsrichter; er gibt dem Spiel die Regel, und ist natürlich auch an allem Schuld. Statt also die Zyklen der Wirtschaft zu durchschauen oder gar zu kontrollieren, werden sie im Medienkapitalismus verschärft und beschleunigt durch die eigenen Zyklen der Aufmerksamkeitsstrategie. Das Medienspiel als Parallelwelt der Geldströme entwickelt sich zu eben jenem tückisch inversiven Manipulationsinstrument, als das man die Rating Agenturen stilisiert. Im Medienkapitalismus scheint sich der geäußerte Verdacht, Wirtschaft sei Psychologie, als selbsterfüllende Prophezeiung zu verwirklichen.
Die Komplexreduzierung der Ökonomie in den Medien ist also keineswegs beschränkt auf die dafür zuständigen bunten Blätter und das Fernsehen; sie ist ein Projekt, an dessen Ende ein allgemeiner ökomedialer Gesamtkreislauf stehen mag. Ist der Kapitalismus erst einmal vollständig medialisiert, (Psychologie, „Gerücht“, Legende also nicht mehr Medium sondern das System selbst), dann funktioniert auch er ganz nach der McLuhanschen Idee des blanken Narzissmus: und geradezu gespenstisch mutet dann McLuhans Satz – gegenüber dem Medium (in Die magischen Kanäle) – an, wenn man ihn auf diese Gesamtsituation von Medien/Kapital überträgt: „Er hatte sich der Ausweitung seiner selbst angepasst und war zum geschlossenen System geworden“.
Der Medienkapitalismus ist also nicht nur eine Transformation des Casino-Kapitalismus, durch die einerseits das Kleingeld des realen Lebens abzuschöpfen und andererseits die Dissidenz oder Fremdheit in einem allgemeinen Mitmach- und Mitrede-Empfinden aufzulösen war. Medienkapitalismus bedeutet auch neue Manipulations- und Steuerungsinstrumente, und ebenso neue Krisen- und Katastrophenszenarien. Nun brauchen wir nicht einmal mehr eine „Fehlspekulation“, eine „Blase“ oder einen „Zyklus“, um eine Krise auszulösen, es genügt eine, möglicherweise zufällige, Übereinstimmung der Nachrichten-Wellen in Bild, Spiegel, Online-Tickern und Fernsehen. Im Medienkapitalismus kann am Ende eine Wirtschaftskrise durch eine Nachrichtenkrise ausgelöst werden. Zum Beispiel durch das Zusammentreffen von Bundesligapause, Schlechtwetter und ausbleibenden Terroranschlägen.
Im Ecotainment gibt es keine Unterschiede zwischen Geschehen und Abbild. Fallende Aktienkurse machen Angst; steigende Aktienkurse verleiten zur Anschaffung eines neuen Flachbildfernsehers. Weil aber über das Ecotainment jeder, wenn auch nach den Gesetzen der Unterhaltungsindustrie mit den Bewegungen auf den Finanzmärkten verbunden ist, kann niemand mehr „antizyklische“ Entscheidungen treffen. Die Agenturen, die unser Kleingeld eingesammelt haben, um Kapital daraus zu machen, sehen die selben Fernsehsendungen wie wir, und sie wissen, dass sie, falls sie so etwas wie ökonomischen Sachverstand hätten, diesen auf keinen Fall gegen unsere, der kapitalisierenden Fernsehzuschauer Informationen einsetzen dürfen. So wird im schlimmsten Fall der Finanzmarkt real so infantil und blöde, wie er in seiner Medialisierung dargestellt ist.
Mein Anlageberater wird nun nicht mehr am Erfolg, sondern am Ecotainment gemessen. Wenn die Börsensendung im Deutschen Fernsehen sagt, dass ein Wert sinkt, muss der entsprechende Titel weg. Ecotainment infantilisiert auf Dauer also nicht nur das Bild des Kapitalismus, sondern zumindest einen Teil seiner Praxis. Der Auftritt eines prominenten Vollidioten im Ecotainment wird bedeutender als Preisentwicklung oder Produktivität. Und von der mathematisch-modellhaften Seite der Ökonomie wissen wir nur zu gut, wie beliebig man sie einsetzen kann. Am Ende schlägt die Infantilisierung durch das Ecotainment auch auf die Politik zurück. Kindisch-magische Vorstellungen sind ohnehin genügend vorhanden. So wird der „Investor“ Warren Buffett aus Nebraska mit dem Ehrentitel „Orakel von Omaha“ belegt, unter anderem, weil er in patriotischer Wallung auf die Rating-Agentur Standard & Poor eindrischt: „In Omaha sind die Vereinigten Staaten immer noch AAA. Wenn es eine Bewertung mit vier A gäbe, würde ich sie den Vereinigten Staaten geben“.
Woraufhin S&P Buffetts Anlagen- und Holdinggesellschaft Berkshire (zu der Versicherungen wie Genreal Re gehören) auf die Liste von Unternehmen setzt, die mit einer Herabstufung ihrer Bonität rechnen müssen – nicht ohne zu betonen, dass das natürlich nicht persönlich gemeint sei. Warren Buffett, der in Staatsanleihen eine Menge investierte, ist über Berkshire wiederum der größte Einzelaktionär der Gesellschaft Moody’s (natürlich betont er, keinerlei Einfluss auf die Ratings zu nehmen, und Moody’s war auch tatsächlich die ersten, die Berkshire das AAA-Rating nahm). Wenn wir solche Szenarien fortschreiben (und uns einmal über die Beteuerungen der Protagonisten im Spiel hinwegsetzen), so gelangen wir vom Casino-Kapitalismus über den Medienkapitalismus zu einem neuen geschlossenen System. Die Beziehung zwischen Politik, Ökonomie und Medien darin kann nur funktionieren aufgrund einer allseitigen Komplexreduzierung und einer narzisstischen Rückkoppelung aller Instrumente: Analyse, Geschehen und Vorhersage fließen ineinander über; jede „Diagnose“ ist ihrerseits womöglich bereits neue Krankheit. Die Computersimulation ist kein Modellversuch mehr, sondern bereits die Sache selbst. Ecotainment spielt nicht mehr Kapitalismus sondern ist Wirkkraft gegenüber einem Geld, dessen Bewegung so absurd geworden ist, dass sie mit Logik und „Wissenschaft“ nicht mehr zu erklären ist.
Der Medienkapitalismus verhält sich möglicherweise zum Finanzkapitalismus wie dieser zur „Realwirtschaft“. Der Finanzkapitalismus nun wurde erzeugt durch das Überschusskapital einer Wirtschaft, die dem Wettlauf von Innovation und fallender Profitrate ausweichen musste, der Medienkapitalismus wird erzeugt von einem Finanzkapitalismus, der sich selber nicht mehr versteht und seiner eigenen Beschleunigung nicht mehr gewachsen ist und so seinen Chaos-Überschuss in seine mediale Repräsentation und Erweiterung auslagert. Um sich zu retten, musste er universaler werden, so schrieb er sich zugleich in die Medien und in die Politik ein: Auch wir hier unten wissen, dass nach der Krise die Politik noch abhängiger von der Wirtschaft ist also vorher. Da er im Idiom von Politik und Wissenschaft nicht mehr zu fassen ist, wird der Kapitalismus ins Idiom der Unterhaltung übertragen. So dreht sich das Verhältnis um: Gerade noch schien es, als würde niemand mehr den Kapitalismus verstehen, plötzlich dagegen scheinen alle den Kapitalismus zu verstehen. Man hat ihn nur vom Wirklichen in die Reality übertragen müssen.
Die postdemokratische Herrschaft macht dieses Spiel nur zu gern mit, denn bei der Komplexreduzierung der Dramen und Schurken wie Rating Agenturen oder Hedge Fonds verschwimmt die eigene Schuld, die eigene Schwäche und die eigene Korruption. Alle Mitspieler dieses Systems der Infantilisierung und Medialisierung des Kapitalismus sind der festen Überzeugung, zumindest ein bisschen cleverer als die anderen Mitspieler zu sein. Die Rundumverblödung dagegen nimmt weiter an Geschwindigkeit zu; der Versuch die Ökonomie statt mit den Mitteln der Politik mit denen der Unterhaltungsmedien zu kontrollieren hat eine neue Konstellation erzeugt. Der Medienkapitalismus bedarf keiner kaufmännischen Vernunft und keiner Idee der „unsichtbaren Hand“ mehr; er muss weder Kultur noch Natur sein. Er folgt stattdessen den Dramaturgien von Aufmerksamkeit, Konsens und Teilhabe. Und wenn er nun mal wieder „verrückt spielt“, dann ist das kein Grund zur Panik, sondern Teil des Programms.
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Fallende Aktienkurse machen Angst; steigende Aktienkurse
verleiten zur Anschaffung eines neuen Flachbildfernsehers.
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Offensichtlich befinden wir uns in der Phase, in denen den Medien ihre neue Rolle gerade bewusst wird. So sagt der Börsen-Moderator im elektronischen Medium am Donnerstag, dass es Gold als Anlageobjekt doch tatsächlich auf die Titelseite der Bild-Zeitung gebracht habe, und fügt hinzu: „Ein Alarmsignal!“. Dieses Cross der Medialisierung erscheint immer viel harmloser als es ist; das Medium ist die Botschaft, und die Wirtschaft hat sich zur Behebung ihrer letzten Krise mehr von dem Medium abhängig gemacht, das sich selbst zum Inhalt hat, als ihr lieb sein kann. Die Macht, die die Medien über die Finanzmärkte erhalten haben, werden sie freiwillig gewiss nicht mehr hergeben. Nachdem der Kapitalismus die Medien verschlungen hat, die als Instrumente der bürgerlichen Gesellschaft zur „Beherrschung“ von Regierung und Wirtschaft entstanden, verschlingen die Medien nun den Kapitalismus, usw. – wir kennen das Bild von der sich selbst verschlingenden Schlange.
Doch zur gleichen Zeit beginnen die Medien, die ihre eigene Botschaft sind, offensichtlich auch schon wieder, sich zu überschätzen. Daraus entstand ein etwas sonderbarer Rückschlag, den wir dieser Tage beobachten durften: Die Medien wollten offensichtlich einen Crash herbeischreiben und waren schon mit einer einigermaßen delirierenden Katastrophenphantasie beschäftigt, doch was tatsächlich geschah, war, gelinde gesagt: langweilig. Was geschieht nun in der Situation einer ausbleibenden ökonomischen Katastrophe im Ecotainment? Auf der einen Seite wird eine allgemeine Ratlosigkeit ausgerufen: Wenn sie selbst nichts gewusst haben, behaupten die Medien, niemand könne etwas wissen. Sie unterstellen die eigene Dummheit dem System, das ist nun auch nicht allzu schwer.
Zur gleichen Zeit aber fokussiert die ausbleibende große Katastrophe den Blick auf die gewöhnlichen kleinen Schwankungen. Jeder Pendelausschlag, jede Kursschwankung wird mit Sinn und Emotion aufgeladen, man könnte wohl sagen: Wenn nichts großes und ganzes los ist, tendieren die Medien zur „Überinterpretation“ des Marktgeschehens, übrigens kennen wir auch das vom Fußball und bei der Erzeugung oder Demontage von „Promis“. Was im Casino-Kapitalismus als eine vollkommen normale, oft sogar arbiträre und rasch sich selbst regulierende Bewegung auf den Finanzmärkten erschienen war, das wird im Medienkapitalismus zu einer bedeutungsschwangeren orakelhaften Dramaturgie, die wenn nicht das System, so doch mindestens eine Branche oder eine Firma in die Katastrophe führen muss. Mediale Hysterisierungs verwandelt sich daher derzeit von einem Instrument der Rettung in eine ernsthafte Bedrohung.
Das System, das sich infantilisieren und theatralisieren lassen musste, um zu überleben, drängt nun wieder hinter die Bühne. Möglicherweise spaltet sich erneut der karnevalisierte Medienkapitalismus von einem Realkapitalismus, der über den Fetischismus der Aktienwerte und die Schmierigkeit der Börsenpornos im Fernsehen nur lachen kann. Das Casino wird nicht mehr gebraucht, die Medien verkommen weiter, der Mitmach-Kapitalismus verliert an Attraktion. Was kümmert es das Geld?
Georg Seeßlen, freitag, 18.08.2011
Zirkus Capitali
von Georg Seeßlen
Was bedeutet es, wenn Kapitalismus sich in der Gesellschaft in der Form von Unterhaltung verbreitet? Zunächst denkt man ja an nicht viel mehr als an „Vereinfachung“, schlechten Geschmack, Regression und Sensationen: Zirkus Capitali. (Vor allem, weil man auf das Phantasma der untergegangenen „bürgerlichen Kultur“ hereingefallen ist, Unterhaltung sei so etwas wie „herabgesunkenes“ Kulturgut. Es ist offensichtlich auch unter intelligenteren Menschen schwer zu vermitteln: Unterhaltung ist eine Art zu bedeuten.) weiterlesen
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