Anmerkungen zum Terror und seinen Bildern
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Jeder Terror-Akt hat drei Geschichten: Eine Geschichte der Psychologie/Pathologie. Eine Geschichte der Ideologie/Religion. Und eine Geschichte der Narrative/Ikonographien. Diese drei Geschichten müssen zusammenkommen, um den Terror-Akt, den Amoklauf, das Selbstmordattentat und andere Taten kalter, sich selbst rechtfertigender Gewalt auszulösen. Dieses Zusammentreffen kann forciert sein oder sich nach Wahrscheinlichkeiten innerhalb einer Kultur bilden; in jedem Fall wird dieses Zusammentreffen erzeugt.
Das „Making of“ des Terroristen Anders Breivik löst zwar in unseren Medien einen Redeschwall aus, doch alle darin spukenden Diskurse tendieren dazu, in die üblichen Verdächtigungen zu zerfallen: Eine kranke Seele ist schuld. Die Hetzer sind schuld. Die Medien sind schuld. Die blutige Pointe ist, dass das alles zugleich falsch und richtig ist. Und am Ende recht eigentlich nicht erkannt werden will. Denn eine Beschreibung des Zusammenhangs von kranker Seele, Hetz-Narrativen und Medienbildern führt, wohin wir nicht wollen, ins finstere Herz der eigenen Kultur.
2
Der Terror ist eine symbolische Tat, die durch ihre körperliche Verwirklichung den größtmöglichen Schrecken auslöst. Mag seine Botschaft auch an einen Gegner gerichtet sein (möglicherweise ist aber auch dies zweitrangig), seine Opfer sind stets Unschuldige, nicht selten gar Menschen, die eher zur Kultur des Täters als der des „Gegners“ gehören. Der Anschlag auf die Twin Towers löste manchenorts so viel Triumphgefühle aus, weil offenbar die Frage, wie viel Moslems sich unter den Opfern befanden, nicht von Bedeutung war. Offensichtlich steckt in einem Terrorakt sehr viel mehr als das „shock and awe“. Er ist ein Anschlag auf die symbolische Ordnung der Welt, auf die Gleichung zwischen dem biologischen und dem gesellschaftlichen Körper. So entsteht aus Terror nie eine „ordentliche Gesellschaft“, sondern immer nur eine Herrschaft des Terrors.
Religiöse Bilder sind häufig Verbindungsknoten der drei Geschichten. Sie verknüpfen das Pathologische mit dem Rhetorischen und jenes mit dem Symbolischen. So mag ein geschlossener Kreis entstehen, in dem Ursache, Ausführung und Rechtfertigung ineinander übergehen und nicht voneinander zu unterscheiden sind. Nur scheinbar paradox: Religion ist die Voraussetzung für die Mitleidlosigkeit der Tat.
Zwei Einwände: Es handele sich, so die Gutmeinenden, nicht um Religion, sondern um Derrivate, Perversionen, Missbrauch. Und insbesondere jugendliche Täter tendierten dazu, sich aus diversen Versatzstücken und sogar Pop-Mythen eine „Ersatzreligion“ zu bauen. Andernorts genüge schließlich, man sehe nur nach links oder auf „militante Tierschützer“, das Empfinden moralischer oder historischer Überlegenheit genügen. Offenbar sei ein Terrorist in spe nicht wählerisch bei den Mitteln, zwischen sich und den anderen eine Differenz zu erzeugen, die mitmenschliches Empfinden (so es überhaupt vorhanden war) ausschließe.
Religion – Jede Religion! – enthält in sich einen Keim des Terrorismus. Es kommt auf die historische Situation an, ob sich Religion im Gewand des Terrorismus oder Terrorismus im Gewand der Religion entwickelt. Reziprok könnte man die Selbstheilungskräfte der Religionen behandeln: Insofern ist die Frage, ob der Terror sich innerhalb einer Religion (als Narrativ, Bild und Organisation) entwickelt, oder durch eine Abspaltung in aller Regel auf eine unscharfe Zone gerichtet. Zweifellos stehen sich in den „islamischen“ wie den „christlichen“ Begründungen des Terrors Kräfte gegenüber, die sich weder durch Integration noch durch Abspaltung erklären lassen. Das Sowohl-als-auch dieser Beziehung ist wiederum politisch motiviert.
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Es war schon vor dem „Krieg gegen den Terror“ eine Vorstellung, die in den Ländern des Nahen Ostens weit verbreitet war, dass sich die USA mit Hilfe ihrer Verbündeter auf einem christlichen „Kreuzzug“ befänden. Tatsächlich gab es missionarische Bewegungen, vor allem aber war die Außenpolitik von George W. Bush „aus dem Glauben motiviert“, wie er nicht müde wurde zu betonen. Teile der symbolischen Kriegführung im Irak, der überdeutlich in die Rolle eines „Ersatzfeindes“ gedrängt war, beinhalteten genügend solcher Elemente, wie die Verhüllung des Kopfes eines Saddam-Denkmals mit der amerikanischen Fahne oder Bilder von betenden amerikanischen Soldaten. Selbst die Folter-Bilder von Abu Ghraib wurden als eine Schändung innerhalb der christlichen Mythologie empfunden.
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Eine Beschreibung des Zusammenhangs von kranker Seele,
Hetz-Narrativen und Medienbildern führt ins finstere Herz der eigenen Kultur.
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W.J.T. Mitchell spricht von einem „Klonen“ des Terrors: Der „Krieg gegen den Terror“ erzeugt neue Terroristen innerhalb einer „Autoimmunerkrankung“ (Derrida) der neoliberalen, globalökonomischen Gesellschaften. Die einzelnen Zellen sind nicht über eine Zentralmacht oder einen Masterplan miteinander verbunden, sondern durch ihre Ähnlichkeit untereinander. Die Voraussetzung für das grausige Funktionieren des globalen Terrors ist es, dass diese Zellen nach genau gleichen Vorstellungen, Strategien, Absichten und inneren Verfassungen agieren. Dieser geklonte Terror benötigt schließlich nicht einmal mehr ein gemeinsames Interesse, ein Milieu, eine „Überzeugung“ im klassischen Sinne. Die Metastasen bilden sich an vollkommen überraschenden Stellen (jedenfalls wenn man an einem traditionellen Bild von „Freund“ und „Feind“ bleibt); zuerst durfte man nur staunen über das rasche Auftreten von „Konvertiten“ des „islamistischen Terrors“, nun ist klar, dass sich geklonter Terror auch im tiefsten Inneren der „Gegenseite“ nach dem vollkommen gleichen Muster vollzieht.
4
Die Paranoia geht von einem „Biobild“ aus, das offensichtlich auf beiden Seiten von Doppel- und Wiedergängern geprägt wird, von den Zwillingstürmen über die Doppelgänger von Saddam, von den Metaphern der Infektion und der Krebszellen des Terrorismus, In den Folterkammern von Abu Ghraib wurde nicht nur der Kapuzenmann“ immer wieder in einer christlichen Ikonographie gestellt; die Gefangenen, hieß es in einer Aussage, de mit den eigenen Unterhosen ans Gitter gefesselt waren, sahen aus „wie das Leiden Christi“, und einer der Gefangener wurde mit Kot beschmiert und in der Kreuzigungspose gefilmt. Die Folterer schändeten die Gefangenen in der eigenen Ikonographie, und nun sehen wir uns jene Horrorfilme an, in denen Kreuz- und Tempelritter als Gespenster zurückkehren, so sind auch diese beständig in einer mehr oder weniger satanischen Umkehrung der christlichen Bilder sind.
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Ein Schlüsselbild des Redeschwalls, der auf die Tat von Oslo folgte, die ihrerseits auf einen vom Täter selbst ausgehenden Redeschwall zurückging, ist das des „Kreuzritters“. Mag sich der Täter selektiv auch einiges an populärhistorischem Wissen angeeignet haben, es handelt sich dennoch offensichtlich nicht um ein historisches Bild, sondern um eines der populären Mythologie entlehntes und ideologisch neu gefülltes.
Das Bild des Kreuzritters in der populären Kultur ist ambivalent und zerstreut. (Gerade die Zerstreuung der Bilder auf dem globalen Bildermarkt macht es so leicht, sich daraus ein eigenes zu samplen.) Im westlichen Mainstream ist der Kreuzritter im allgemeinen ein tragischer Held, einer der, wie der Cowboy im Westen, an den Verbrechen seines Systems und seiner Kultur nicht teilhaben will, der als gebrochener und verbitterter Mann aus dem Krieg zurückkehrt (wie der Cowboy aus dem Bürgerkrieg). Aber in anderen Strömen ist der Kreuzritter nach wie vor ein Held mit einer Mission; nur zum Beispiel kursieren mehrere Filme aus Rumänien auf dem DVD-Markt, in denen der Vlad Dracul, der „Pfähler“, als wennzwar notgedrungen grausamer Held in der Verteidigung Europas gegen die Türken als „letzter Kreuzritter“ dargestellt wird. Im dunkleren Nebenstrom ist der populären Mythen dagegen ist der Kreuzritter – gern als „reitende Leiche“ oder andere Formen der Untoten gezeichnet – ein Gespenst von Geschichte und Schuld, in dem sich durchaus die Faszination des Bösen spiegelt.
Diese Gespenster sind auch unfähig, den sexuellen Gehalt ihrer Reisen zu verbergen. Der Kreuzritter hat ja nicht nur in der Geschichtsschreibung, sondern auch in der populären Mythologie seine Verwandlung vom Helden in das Monster hinter sich: Seine „Mission“ war nicht nur vergeblich (sie „erzeugte“ sogleich eine Gegenkultur, eine auf Ausgleich ausgerichtete tolerante Kultur wurde nun ihrerseits kriegerisch-expansiv), sie war auch „böse“, und sie trug das Böse ins Ausgangsland zurück, wo Chaos und Usurpation eine der Folgen waren, verbunden, wie auch anders, mit einem unübersehbaren Werteverfall. Der Kreuzritter importierte den Terror; er legte den Keim zum Untergang der „ritterlichen“ Kultur (und konnte nur in Volkshelden wie „Robin Hood“ eine fiktive Korrektur erfahren).
Der Kreuzritter ist ein Ur-Bild des geklonten Terrors.
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Zunächst sind Kreuzritter ja keine Verteidiger, sondern Angreifer (oder sozusagen eine Mischung aus vorbeugenden Angreifern, „Rückeroberern“ und Vorläufern des Kolonialismus), sie wehren keine Gefahr aus dem Orient ab, sondern errichten koloniale Reiche, die keineswegs vorwiegend religiös motiviert sind, sondern vor allem ökonomische Ursachen haben, mochte am Anfang auch der Gedanke einer Verteidigung des christlichen Abendlandes noch eine Rolle gespielt haben. Der Kreuzzug freilich war immer auch zugleich ein Bußgang; mit ihm konnte man sich von einer Schuld befreien. Und zwar auf eine ebenso lustvoll-sadistische wie unbeobachtete Weise: Man konnte sich hier gewissermaßen neu erfinden, eine eigene Legende zur Übertünchung der Schuld entwickeln.
Worin bestand diese Schuld? Die Sünde, von der sich der Kreuzritter reinwaschen wollte, und wobei er sich in seiner Rüstung zunächst verbarg, als wäre er, wie die Deutschordensritter in Sergej Eisensteins Film „Alexander Newskij“, schon in eine Maschine, oder in einen Klonkrieger, in ein „untotes“ Double seiner selbst verwandelt. Der Helm ist nicht nur schon die Vorform des faschistischen und postfaschischen Stahlhelms (oder der Glatze des Skinhead), sondern auch ein „Topf“ mit einem Sehschlitz, eine Selbstfolter. Der Umhang wiederum hebt die Unbeweglichkeit der „alten“ Rüstung auf, er ist zugleich Kampfmaschine und Büßergewand. Das war übrigens auch ganz direkt eine Möglichkeit, sich als Krimineller der Bestrafung zu entziehen. Anders gesagt, und das kennen wir nun zur Genüge: Kreuzzüge waren ein kompliziertes Ineinander von religiösem Wahn, ökonomischem Interesse und kriminellen Energien.
Schließlich führt der Bevölkerungsüberschuss zum Öffnen des Ventils, am furchtbarsten gewiss in den „Kinderkreuzzügen“. Immer führten die Kreuzzüge auch gegen „Ketzer“. Die Ritterorden, die kämpfenden Mönche oder frommen Krieger bildeten sich in den Kreuzzügen als eine Parallel- und Untermacht. Der Begriff des „Kreuzzuges“ in der militärischen Rhetorik blieb erhalten. Sowohl die Faschistischen als auch die Alliierten benutzten ihn wieder im Zweiten Weltkrieg.
Crusade und Djihad haben sich als Phantasmen entterritorialisiert. Die Zeit nach 1968 ist die einer „kulturellen marxistischen Vergewaltigung“ und wurde gefolgt von der „islamischen Kolonialisierung“ Europas. Die Tempelritter sollten demnach nicht nur den Islamischen Staaten sondern den „kulturmarxistischen/multikulturalistischen Regimen in Westeuropa den vorbeugenden Krieg“ erklären. Der Multikulturalismus ist in seiner Weltsicht letztlich nur „ein Instrument des Marxismus“.
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Der Kreuzritter ist ein Endprodukt der Ritter als Form der Subjekt-Maschinisierung. Wie wir wissen benötigte der Ritter in seiner Rüstung wesentlich mehr Energien dazu, gefährlich und unverwundbar auszusehen, als er in wirkliche Kampfkraft umzusetzen in der Lage war. Er begann als Konzept und als Ordnung zu verschwinden, als in Gestalt der Söldnerheere der Subjekt-Maschinisierung eine Maschinisierung der Massen entgegen trat. Es waren drei Dinge, die der Ritter in seiner Rüstung abwehrte: die sündig-kontaminierte Umwelt, den anderen Körper in jeder Gestalt; das amorphe Volk, die Massen, die Indifferenz; das „Weibliche“ als Prinzip des „Weichen“. Der Kreuzritter verwandelte sich also in ein weithin sichtbares Zeichen, das der Auflösung der symbolischen Ordnung seiner Welt standhalten sollte. In der Überschusshandlung indes suchte er offensichtlich jene Situationen, die zum einen das Massaker (eine „Reinigung“ der Welt durch das Blut der anderen) und zum anderen die eigene Vernichtung. (Und so wenig Information in der populären Kultur im Kreuzritter-Bild weitergegeben wird, so sehr birgt es diese Mischung aus Heroismus, Apokalypse und Blutdurst.)
Die kreuzritterlicher Individualmaschine, als phallisches Überleben des eigenen kulturellen Todes, rettet sich zweifellos indem sie Leben preisgibt, nicht nur das von „Ungläubigen“, der Mensch und das Leben fallen in gewisser Weise auseinander, der Terror-Akt (oder das Massaker/der kalte Amoklauf) sind Manifeste einer Entscheidung. Das Leben, einschließlich des eigenen, ist bedeutungslos gegenüber dem Zeichen, in dessen Praxis das Bedeutende wichtiger als das Bedeutete ist (genauer gesagt: es wird kein Unterschied gesehen).
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Die größte Bedrohung des Terroristen in spe geht nicht so sehr von der Frau, als vielmehr von der Weiblichkeit aus. Natürlich lauert diese Weiblichkeit in der phallischen Identität des Kreuzritters/Terroristen nicht nur im außen, sondern auch im innen. Das meint nicht nur die panische Abwehr eines homosexuellen Empfindens, es geht um die symbolische Ordnung der Welt selbst. Um den Verlust einer Einheit des biologischen, staatlichen und religiösen Körpers. Der Terrorist hasst in erster Linie den eigenen Körper, der einerseits gegen diese Einheit verstoßen hat (wie der bekehrte „Islamist“, der sich mit den verweichlichten und verweiblichten Zügen der westlichen Zivilisation eingelassen hat und sich buchstäblich davon freisprengen muss, wie der Neofaschist, der sich von der multikulturalen, unidentischen, linken und liberalen Kultur um den Panzer, das Über-Ich, den Staats- und Terror-Körper betrogen wähnt und sich verführt sieht von „weicher“ Empathie) und der sich andererseits als aufgelöster sieht. Nur durch die alles bezeichnende Gewalttat kann die Einheit des biologischen (biographischen), des staatlichen und des religiösen Körpers, die „reine Identität“, wieder hergestellt werden, nicht in der Welt, vielleicht, aber in der symbolischen Ordnung. Eine Nebenabsicht des terroristischen Aktes ist ja ist es in eine jeweilige Transzendenz einzugehen: Der westliche in den Olymp seiner Medien, in die „Berühmtheit“, der „islamistische“ in den Status des Märtyrers und „Heiligen“. In beiden Fällen ist der Täter gleichsam entrückt in der Negation der Welt. Von sich selbst erlöst.
Der geklonte Terror wird ausgeführt von einer phallischen Persönlichkeit (zumeist aber nicht unbedingt exklusiv männlich), der nicht nur die Welt, wie sie ist, sondern die vor allem sich selbst unerträglich geworden ist. Der geklonte Terror ist weder mit dem Islam noch mit dem Christentum, weder mit Rassismus noch mit Nationalismus, weder mit Sprache noch mit Kultur allein hinreichend zu erklären.
Was den geklonten Terror anbelangt, so ist, wie in Crusade und Djihad, nicht auszumachen, was „Original“ und was „Abbildung“ wäre. Daher verliert im geklonten Terror die einzelne Tat auch ihren historischen so wie ihren semantischen Ort. Der geklonte Terror ist stattdessen wesentlicher Bestandteil einer ökonomisch-technologischen Modernisierung, die sich selbst kulturell-narrativ zu erklären weigert. Der Terrorist kann das Spiel der ökonomisch-technologischen Modernisierung mitspielen (Vorbereitung und Durchführung des Massakers sind Beweise dafür, wie gut er dieses Spiel verstanden hat), von der er sich an anderer Stelle so maßlos gekränkt ist.
10
Der Marxismus und Multikulturalismus erscheinen als „Verunreinigungen“ und „Entmännlichungen“; der Islam freilich ist zugleich eine Art Männlichkeitskonkurrenz. Man muss fürchten, dass der Moslem mehr Mann sein darf als man selber, sowohl was die „Kontrolle“ der Frauen anbelangt als auch, was die Regelprinzipien von Ehre und Rang anbelangt. (Umgekehrt mag sich dieser Moslem nicht nur durch die Verweichlichungen der westlichen Zivilisation und seine Verführungen bedroht fühlen, sondern durch die öffentliche Prüfung der Körper. Letztlich wird ein Kampf um die Sichtbarkeit geführt: Aus dem Fetisch des gepanzerten Männerkörpers wird der Fetisch des verhüllten Frauenkörpers. Es genügt, den Fetisch wieder politisch zu machen, um Terror zum Instrument zu machen.)
Dabei bedeutet Alt-Werden in einer demokratisch-„multikulturellen“ Kultur, weniger Mann sein. (Möglicherweise versucht der „Crusade“-Terrorist sein Alt-Werden auszuradieren, während der „Dschihad“-Terrorist sein Jung-gewesen-Sein auszuradieren versucht. Beides war verbunden mit einer „Weibischen“ Auflösung, einer „Kastration“.) So verhalten sich noch einmal „islamistischer“ und „anti-islamistischer“ Terror reziprok und kongruent zugleich: Immer ist es der Kampf gegen die Verweichlichung und Aufweichung, immer ist es der Impuls der Kränkung, der Verunreinigung und „Schändung“ von irgend etwas, was als Rechtfertigung dient. Das Problem des „islamistischen“ wie des „anti-islamistischen“ Terroristen ist das gleiche: Es ist der eigene Körper.
Die beiden Extreme mit dieser Angst vor dem eigenen Körper (seiner verbotenen Lust wie seiner Verwundbarkeit) umzugehen, bestehen darin, ihn zu panzern oder ihn mitsamt der anderen (die eben begehrt und gefürchtet zugleich sind) in die Luft zu sprengen. Das Idealbild wäre mithin: „Der explodierende Kreuzritter“.
© Georg Seeßlen, erschienen in Jungle World # 32, 11.08.2011
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