Schau mal, bemerkte er neulich, die Nachbarn haben schon aufgerüstet. Ich beugte mich misstrauisch über das Geländer zum Nachbarbalkon. Von dort salutierte eine stramme Reihe frisch gepflanzter Stiefmütterchen triumphierend herüber. Saftig das Grün, satt die Farben, frisch aufgeharkt die Erde.

Nachdenklich betrachtete ich die trockenen Tannenzweige, mit denen ich im Herbst ziemlich halbherzig die Blöße unserer Blumenkästen bedeckt hatte. Die letzten bräunlichen Nadeln klammerten sich ängstlich an die Äste. Auf dem Boden reckten sich traurige Überbleibsel eines Sommerjasmins der Frühlingssonne entgegen. Meine Mutter hat ihn im vergangenen Sommer eigenhändig umgetopft, hingestellt und bei einem „Minimum an Pflege“ blühende Landschaften versprochen. Mütter glauben ja allen Erfahrungen zum Trotz unbeirrt an ihre Kinder. Väter auch. Er hat mir eine Tomatenpflanze aus eigener Zucht übereignet. So wie sich der Jasmin aus lauter Boshaftigkeit weigerte zu blühen, entschloss sich die Tomatenpflanze erst gegen Ende des Herbstes zur Produktion einer mikroskopisch kleinen Schrumpelknolle. Diese Reste meines botanischen Versagens also betrachtete ich.

Er lächelte fein still. Hatte ja auch allen Grund. Das ging ihn alles nichts an.

Pflanzen sind schließlich Frauensache. Weiß ja jeder. Nur eine zarte Frauenhand kann Männertreu am Leben halten, nicht wahr. Ein Mann dagegen ist nicht zum Umtopfen von Primeln geboren. So ein Mann schultert höchstens die Axt, streift einsam durch den Wald und fällt einen Baum. Na gut, das ist mehr theoretisch. Wir benötigen nur sehr selten einen frisch gefällten Stamm. Die Primeln bleiben trotzdem an mir hängen.

Es ist nicht so, dass ich keine Blumen mag. Im Gegenteil. Sehe ich Balkons mit wallender Blütenpracht, erfasst mich der blanke Neid. Dann will ich auch so einen. Aber es gelingt mir nicht. Ich habe ihn einfach nicht, den grünen Daumen. Obwohl ich eine Frau bin. Ja doch, ich gieße natürlich. Ab und zu. Aber keine innere Stimme flüstert mir die optimale Menge zu. Kein mütterlicher Instinkt lässt mich winzige Absenker in Joghurtbechern ziehen. Ich habe noch nie für eine kränkelnde Zimmerpalme Mozart aufgelegt, damit sie gesundet. Noch nicht einmal ein Wort hab ich mit ihr gewechselt. Einen vetrockneten Weihnachtsstern kann ich eiskalt im Mülleimer versenken, ohne dass mir die Hände zittern. Auf unseren Fensterbänken herrscht das ganz Jahr über Herbst in seinen verschiedenen Stadien. Vom beginnenden Anwelken bis zu raschelndem Laub. Es passiert, ich schwöre es, von ganz allein und ziemlich schnell. Der einzige grüne Mitbewohner, der stark genug ist für mich, ist ein großer grüner Kaktus.

Das kann ich alles souverän vertreten. Geht schließlich niemand was an, wenn ich in den eigenen vier Wänden Wüstenbiotope schaffe.

Aber jetzt steigt der Druck. An jeder Ecke lauern Sonderangebote von Stiefmütterchen in Plastikschalen hinter Barrikaden aus Blumenerdesäcken. Kauf mich und pflanz mich sofort! Den Balkon kann jeder sehen, die Terrasse auch. Sie sind ein sichtbares Psychogramm der zuständigen Hausfrau. Für ihre Sensibilität, ihren Sinn für alles Schöne, ihr natürliches Bedürfnis, zarte Pflänzchen zu beschützen.

Na gut, es sieht wirklich nicht gut aus. Aber warum soll das auf mich zurückfallen? Jemand müsste die Oleandertöpfe reintragen, sprach ich, als die Tage kürzer wurden. Jemand müsste die Töpfe mit den Koniferen mit irgendetwas umwickeln. Jemand müsste Papas vertrocknete Tomatenpflanze entsorgen. Dann kam der Schnee.

Und jetzt bringt die Sonne alles an den Tag. Die Oleandertöpfe zerborsten, die Stämmchen erfroren. Die Tomatenpflanze noch brauner, die Koniferen ebenfalls mit leichten Spuren von Braun. O tränendes Herz, würde ein Gärtner ausrufen.

Er ist fein raus. Er wird nächstens verreisen und erst in drei Wochen wiederkommen. Die Nachbarn werden auf die Wüstenei weisen und flüstern: kein Wunder, dass ihr der Mann abgehauen ist.

Mal sehen, wie lange ich dem sozialen Druck standhalte. Vielleicht habe ich Glück, und ein später langer Wintereinbruch gewährt mir eine Gnadenfrist. Vielleicht erbarmt sich meine Mutter. Vielleicht engagiere ich auch einen gutaussehenden Gärtner, der auf winterharte Sukkulenten spezialisiert ist. Das hat er dann davon.

Elena Rauch, Thüringer Allgemeine

 

 

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