Die Sperrung der Grenze zwischen Ost- und Westberlin am 13. August 1961 war eine Notbremsung, um ein Abgleiten in einen Dritten – nunmehr mit Atomwaffen geführten – Weltkrieg zu verhindern. Durch massenhafte Abwanderung von Arbeitskräften in die reiche BRD stand die DDR am Rand des Zusammenbruchs. Wäre er eingetreten, hätte das offizielle außenpolitische Programm der Adenauer-Regierung verwirklicht werden können: Wiederherstellung Gesamtdeutschlands in den Grenzen von 1937, also unter Abtrennung von Gebieten, die mittlerweile zur Sowjetunion und der Volksrepublik Polen gehörten. Die UdSSR hätte dies nicht kampflos hingenommen – also Krieg.
Den wollten auch die USA nicht. In einer Rede am 25. Juli 1961 nannte Präsident Kennedy drei „Essentials“, bei deren Verletzung die Vereinigten Staaten zu den Waffen greifen würden:
– den freien Zugang zwischen der Bundesrepublik und Westberlin;
– Anwesenheit der westlichen Besatzungsmächte dort,
– Fortbestand der bisherigen politischen Ordnung in diesem Teil der Stadt.
Es fehlte ein vierter Punkt: freier Übergang zwischen dem Ost- und dem Westteil. Damit hatte Kennedy klar gemacht, dass eine etwaige Sperrung für ihn kein Kriegsgrund sein werde.
Als die Mitgliedsstaaten der Warschauer Vertragsorganisation dann den Bau der Grenzanlagen beschlossen und die DDR diese schließlich errichtete, war die Empörung in Medien und Politikerreden zwar gewaltig, aber das war nur noch Gestikulation: es war klar, dass sich der Abgrund, auf den die Welt zu trieb, nun erst einmal geschlossen hatte. Selbst Adenauer sah das ein: er weigerte sich, sofort und demonstrativ nach Berlin zu eilen, denn er wollte die Situation nicht aufheizen. Der britische Premierminister Macmillan flog sogar nach Moskau, um zu verhandeln.
Die Bundesrepublik aber musste ein paar Jahrzehnte nachsitzen. In dieser Zeit hatte sie zu kapieren, dass niemand dazu bereit war, für ihre Ansprüche auf Schlesien, West- und Ostpreußen Kopf und Kragen zu riskieren. Eine Zwischenstation auf diesem Weg waren die Ostverträge in der Ära Brandt/Scheel. Erst nachdem das klar war, wurde 1990 eine Wiedervereinigung ohne Krieg möglich. Ohne die Berliner Mauer hätte es die nie gegeben. Walter Ulbricht hätte den Friedensnobelpreis verdient, nicht nur Brandt.
Dass die DDR es ab 1961 nicht geschafft hat, die Atempause zu nutzen, um der für Ost- und Westdeutsche attraktivere deutsche Staat zu werden, steht auf einem anderen Blatt. Das können wir ja ein andermal diskutieren.
© Georg Fülberth
In: unsere zeit. Sozialistische Wochenzeitung – Zeitung der DKP. 43. Jahrgang. Nr. 30, 29. Juli 2011. S. 2.
Bild: Walter Ulbricht 1962 (CC BY-SA Bundesarchiv, Bild 183-A1227-0009-001, Erwin Schneider)
- Uli Schöler: Wolfgang Abendroth und der „reale Sozialismus“. Ein Balanceakt. - 28. Oktober 2013
- Die Deutsche Bank im System des finanzmarktgetriebenen Kapitalismus - 23. Februar 2013
- Wolfgang Fritz Haug: Hightech-Kapitalismus in der Großen Krise - 25. Oktober 2012
Schreibe einen Kommentar