Es ist erstaunlich, was alles da ist in diesem Film. Aus dem Australien des Jahres 2011 blickt „Tom meets Zizou – Kein Sommermärchen“ zurück auf die Fußballerbiografie des Thomas Broich – und bis nach Burghausen im Jahre 2003. Da ist Thomas Broich 22 Jahre alt, ein Talent bei einem Drittligaklub, der gerade dabei ist, den Aufstieg zu schaffen. Das Talent wird Thomas Broich lange bleiben: bei Mönchengladbach, in der U21 und dem anschließenden Perspektivteam – neben Philipp Lahm, Lukas Podolski und Bastian Schweinsteiger.
Thomas Broich ist aber nicht nur ein vielversprechender Nachwuchsspieler, sondern auch ein ungewöhnlicher Fußballprofi: Er liest Dostojewski, Baudelaire und geht ins Theater, in seinem Autoradio läuft Carl Orff, den ein Mitspieler aus Unkenntnis für Mozart hält. Das bringt Broich, der Klavier spielen kann, später Philosophie studiert, Töpferkurse belegt und Zeitungskolumnen schreibt, seinen Spitznamen ein, der Fluch und Segen zugleich ist: Einerseits unterscheidet ihn sein musisches Interesse von allen anderen, andererseits schätzt nicht jeder die kapriziöse Selbstfeier – „damit geht er mir manchmal aufn Arsch“, ist noch ein freundliches Wort eines Kollegen aus den Anfangsjahren. Broich ist ein Fußballer mit eigenem Kopf, der druckreife Sätze sprechen und über seinen Sport und sich reflektieren kann. Das erklärt, warum Aljoscha Pause früh das Gefühl hatte, den richtigen Mann für eine Langzeitbeobachtung gefunden zu haben.
Es ist leider auch problematisch, was alles da ist in diesem Film. Pause war Redakteur beim Deutschen Sportfernsehen, er hat beachtete Dokumentationen gemacht über verdrängte Themen wie Homosexualität im Fußball. In gewisser Weise ist die Geschichte von Broichs Scheitern auch eine verdrängte – und sie funktioniert ähnlich wie Pauses Fernseharbeiten. Schon dort war nicht die Tiefe der Analyse und die Klugheit der Komposition reizvoll, sondern das schier endlose Material, das Pause zusammengetragen hatte.
So ist „Tom meets Zizou“ ein ästhetisch belangloser Film geworden, der seinen Kinostart wohl nur der Fallhöhe seines eloquenten Protagonisten verdankt, der einmal als Nationalspieler gehandelt wurde und heute in Australien Ansehen und Spielfreude wiedergefunden hat: Unter jedem Bild liegt einfühlsame Musik, die Interviewsituationen sind wie Werbespots gefilmt, der Off-Kommentar durch eine dramatische Standardfernsehstimme schlägt alles mit Erklärung, und nicht nur der Umstand, dass die letzten Bilder aus dem März diesen Jahres stammen, legt die Überlegung nahe, dass der Schnitt hier eher additiv als künstlerisch gehabt wurde. Pause fügt einfach immer noch einen O-Ton an, dabei hätte die Straffung des Materials auch seinem nicht nur sympathischen Protagonisten gut getan: Wenn Broich in Australien erklärt, dass er mit seinem „Mozart“-Image anfällig für Schmeicheleien gewesen sei, tut er dies wieder nur zu Bildern, die ihn als Gitarren spielenden Outdoor-Knuffi zeigen.
Bemerkenswert an „Tom meets Zizou“ bleibt, dass der Film die Schwierigkeiten einer Subjektwerdung im Profisport vorführt, etwa in dem parallel geschnittenen Gespräch mit Broich und seinem Kölner Trainer Christoph Daum. Darin dekonstruiert Broich die Plattitüden von Daum. Gerade weil Broich auf seiner Sonderstellung beharrt, wird sichtbar, wie stark der Erfolg im Leistungssport von Unterordnung und Konformismus abhängig ist.
© Matthias Dell
Text: erschienen in epd-Film 6/2011
Bilder: mindjazz pictures
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