Beim Barte des Erzählers
Das weit sich streckende Pferd ist so schön, so fließend, wie das magische Blau, aus dem es kommt und mit dem es doch ein schimmerndes Ganzes bleibt; sie sind, so scheint es, vom gleichen Stoff. Es ist der Stoff, aus dem die Träume sind. Dann wacht das Mädchen auf, es war ein Traum. Und es wird ein Traum, und der ihn träumt ist Robert Redford.
Redford ist ein Mann, der seinen Traum vielleicht so konsequent träumt, wie kaum ein anderer Star dieser Klasse. Es ist der Traum des unabhänigen Kinos, das nicht im digital reißenden Mainstream versinkt, und, dahinter, der eigentliche Traum, der des unabhängigen Menschen: Unabhängig von seinen Neurosen, unabhängig von dem, was nicht zu ihm gehört, nicht wirklich. Aber Redford träumt nicht nur. Mit dem „Sundance“-Festival hat er den unabhängigen Film hoffähig gemacht, mit seinen eigenen Arbeiten, den Beweis gesucht, es seien populäre Filme möglich, die diesem Traum verpflichtet sind. „Der Pferdeflüsterer“ ist ein solcher Film und ein solcher Beweis ist er auch.
Annie hat einen Job, eine Tochter und einen Mann, in dieser Reihenfolge. Die ändert sich, als Grace verunglückt mit ihren Pferd. Grace wird ein Teil des Beines amputiert, sie wird so verschlossen, so abweisend wie ihr Pferd. Ihre Mutter verweigert dem Pferd den Gnadenschuß, sie ahnt, die Theraphie des Pferdes könnte auch die der Tochter sein. Da pfeift die Chefredakteurin auf ihren Job und fährt mit beiden nach Montana zu Tom Booker. „Der Pferdeflüsterer“ ist einer jener Menschen, aus derem Leben die rituelle, magische Beziehung zum Tier noch nicht entschwunden ist.Tom Booker wird sie alle therapieren, die Mutter, die Tochter und das Pferd.
Das klingt wie „Wendy“ und Pferdekalender in Mädchenzimmern, das kündigt sich an wie die Das-Pferd-darf-nicht-zum-Roßschlächter-Geschichte. Und das wäre sie auch, wenn da nicht Robert Redford wäre.
Als sie ihm das Pferd bringen, ist Tom Booker skeptisch. Er kauert nieder vor dem Tier, und sie schauen einander lange an. Sie werden es versuchen miteinander, der Mann und das Pferd. Es wird nicht leicht sein, aber sie werden es tun. Einen Versuch ist es immer wert.
Es ist Redfords Ausstrahlung, die solche Szenen einem glaubhaften Kino der Gefühle zurückgewinnt. [ad#flüsterer1]Der einstige Sunnyboy sieht aus, wie ein Mann, der schon alles gesehen hat, was zu sehen ist, und der weiß, daß beinahe nichts es wert war. Und er sieht aus wie ein Mann, dem man das glaubt. Es ist wohl diese Integrität, die den Film im Innersten trägt. Robert Redford ist das, was heute , nach geltender Vereinbarung, als tendenziell komische Figur gilt, ein Mann mit einer Mission, ein Künstler mit einer Botschaft. Und er ist kein bißchen komisch, nur ein bißchen altmodisch. Manchmal sind die Moden von gestern die Wärme von heute.
Tom Booker mag Musik, seine Frau spielte den Dvorak so gut. Dann legt er eine Platte auf, keine CD. Einmal tanzt er einen langen Tanz mit Annie, und es ist, als träumten sie. Einmal, Annies Mann ist gekommen, muß er hören, wie die Frau, die er liebt, den Mann kennenlernte, mit dem sie verheiratet ist. Später, allein, legt er die Platte auf, doch dann hält er ein. Er kann keine Musik hören in dieser Nacht. Einmal hat er sie geküßt.
Das ist ein unschuldiger, ein keuscher Film beinahe: Märchenhaft unberührt von der Welt, und doch mit jeder Faser ein Gegenentwurf zu ihr. Wunderbare Schauspieler, Kristin Scott Thomas, Dianne Wiest, die Weiten Montanas, in denen die Kamera schwärmend schwelgt. Die Story, nach Nicholas Evans, ist zu schön, um wirklich ans Existenzielle zu rühren. Aber es ist wie in den sehr alten Zeiten: Die Wärme des Geschichtenerzählers ist seine eigentliche Geschichte. Und so ist sie wahr, beim Barte des Erzählers.
„Vertrau mir noch einmal“ sagt Tom Booker leise, als das amputierte Mädchen zum ersten mal wieder auf das wilde Pferd soll. Dann reiten sie.
Autor: Henryk Goldberg
Text: veröffentlicht in filmspiegel
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