Kampf der Körper
Pier Paolo Pasolinis Film Teorema, der 1968 teils als Skandal, teils als unverständliche Mystik empfunden wurde, ist in Wahrheit ein streng geometrisches Spiel (worauf der Neologismus des Titels anspielt), das verschiedene Antworten auf eine poetische und religiöse Frage untersucht. In einem Gedicht Pasolinis aus der Zeit heißt es: »Ich möchte mich in den Beispielen ausdrücken. Meinen Körper in den Kampf werfen.« Darum geht es in Teorema : wie Körper in den Kampf geworfen werden. In den Klassenkampf, in den Befreiungskampf, in den Engelkampf, in den Liebeskampf.
Geometrisch ist schon die Grundanlage. In eine reiche italienische Unternehmer-Familie kommt ein schöner Fremder. Jedes der Mitglieder verliebt sich so radikal in ihn, dass nur eine vollständige Veränderung des eigenen Lebens die angemessene Reaktion sein kann. Der Vater schenkt seine Fabrik den Arbeitern und entledigt sich am Mailänder Bahnhof seiner Kleider, der Sohn wird zum radikalen Künstler, die Mutter sucht ihre Begierden auf der Straße zu befriedigen, die Tochter verfällt in einen Starrkrampf und wird in eine geschlossene Anstalt gebracht, die Haushälterin, die vom Land in die Stadt kam, kehrt zurück, tut Wunder und wird eine Heilige. So einfach ist das.
Pasolini hat diesen Stoff immer wieder bearbeitet: in dem erwähnten Gedicht, in einem Theaterstück, einem Roman, schließlich in dem Film. Die ersten Entwürfen siedelten die Handlung noch in New York an, und über das Wesen des Besuchers gab es von Anfang an keinen Zweifel. Es ging um einen Besuch Gottes in der entheiligten Welt des Bürgertums und darum, wie dieser Besuch die Dinge wieder heiligt. Und sei es in der Form des Grauens, das die herrschende Klasse angesichts ihrer selbst erfassen muss. Erlösung steht nicht auf dem Programm; der Körper selbst, so Pasolini, sei göttlich genug.
Innerhalb der geometrischen Anordnung gibt es auch eine formale Strenge: Der Beginn in Schwarzweiß ist direktes dokumentarisches Wirklichkeitskino, die Arbeiter werden befragt, was geschehen würde, wenn sie die Fabrik übernähmen, und es scheint klar: »Die Arbeiter werden Kapitalisten, und der Kapitalist macht die Revolution unmöglich.« Dann sehen wir die Wirklichkeit der Kapitalisten-Familie, den Mann, der mit dem Mercedes von der Fabrik nach Hause fährt, die Frau, die vor dem Spiegel ihre kosmetische Maske richtet. Tochter und Sohn, so viel schwächer und unsicherer als die Eltern, die Dienstbotin, die das Essen richtet. Ein Engelchen, Angelino, kündigt das Erscheinen des Gastes an.
Irgendwann beginnen die Figuren aus der Schweigsamkeit, der Unterdrückung ihre Konsequenzen zu ziehen, sich zu erklären, eben ihren Körper in den aussichtslosen Kampf zu werfen. Der Gast verschwindet und mit ihm auch die Räumlichkeit, die das neurotische System von Familie und Klasse zusammengehalten hat. Der Film endet mit einem Schrei. Mit dem Augenblick der größten Befreiung und der größten Verzweiflung.
Autor: Georg Seesslen
Text veröffentlicht in Die Zeit 06.10.2005 Nr.41
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