Anti-Wrangelkiez contra cooler Wrangelkiez
Nicht jeder lebt in einem Viertel, mit dem man auf Facebook befreundet sein kann. Wir wohnen in einem. Das Gute ist, man fühlt sich immer als Teil von etwas. Als Teil des coolen Wrangelkiez, der sich auf Facebook zur Privatparty verabredet. Oder als Teil des Anti Wrangelkiez, der gegen diese Parties zu Felde zieht. Denn auch das Private ist politisch und die Parties sind längst vereinnahmt, von Touristen, vom Feind und von der Imageindustrie.
Auch der Anti Wrangelkiez ist auf der Facebookseite unseres Viertels zu Haus. Er sitzt in denselben Espresso-Bars wie der coole Kiez, und wenn Cool Wrangelkiez feiert, feiern wir die Anti Party nebenan – bis eine Bürgerinitiative uns gleichermaßen das Licht ausschießt. Man nennt das Dialektik. Und die ist zwangsläufig.
Ich will erzählen, weshalb. In meiner Geschichte, die das wahre Leben schreibt, ist es ein Donnerstag. Irgendwo im Haus wummerte es. Die Party ist da. Weil wir dem kritischen Flügel der Antiparty angehören, machen wir kein Geschrei, sondern stehen auf, ziehen uns an und schlendern zum Späti. Der kritische Flügel der Antiparty verurteilt zwar Unmenschlichkeit der Imageindustrie, will aber selbst nicht unmenschlich werden und verzichtet auf Besenstielwummern gegen Wände oder Decken. Oder auf Handgranaten. Oder auf die Polizei. Wir schlendern einfach zum Späti, kaufen Bier und warten bis die Party zu Ende ist. Als wir vom Späti zurück sind, treffen wir Mike. Er ist unser Nachbar und wohnt parterre. Mike ist auch Teil der Antiparty, gehört aber nicht dem kritischen Flügel an. Er verzichte nur deshalb darauf, handgreiflich zu werden, weil er sich keine Chance ausrechne, erklärt er am offenen Fenster. Die Party steigt nämlich direkt nebenan bei ebenfalls geöffnetem Fenster. „Frag doch höflich, ob sie das Fenster zumachen“, raten wir. Mike will nicht. „Wir haben Bier“, sagen wir. „Kommt rein“, sagt er.
Wir steigen durchs Fenster. Dann decken wir den Tisch mit den Bierflaschen und hören seltsame Musik, die man bei Mike hören kann. Es wird bald gemütlich, und weil wir uns so zufällig getroffen haben, wird sogar das Gespräch ganz gut. Mike ist ein Misanthrop aus den Achtzigern, und manchmal mag er es, wenn er ein bisschen auftauen muss. Wir wollen gerade nochmal nach draußen gehen und gucken, ob man noch Drogen auftreiben kann, weiche natürlich, da sehen wir, dass da welche auf der Fensterbank sitzen. Hättet ihr euch denken können, dass das passieren kann, mag man uns vorwerfen. Hatten wir aber nicht. Auf dem Fensterbrett sitzen also zwei Mädchen. Und zwar so, dass die Beine in Mikes Zimmer baumeln.
„Ach du Scheiße“, sagt Mike, in der Hoffnung, dass die Mädchen ihn hören. Aber sie hören ihn nicht, denn sie sind ins Gespräch vertieft. „Scheiße“, sagt Heiko nochmal zu uns. Jetzt haben sie uns gesehen und grinsen. „Was macht ihr hier?“, fragt Mike, und die Mädchen erzählen freundlich, dass sie aus Wolfen kommen, dass sie geglaubt hatten, dass das hier mit zur Party gehört, von der sie auch nicht wissen, wer sie veranstaltet, sie seien nur Leuten hinterhergelaufen. Es sei so wunderbar. Unsere Stadt. Diese Nacht. Überhaupt.
Beim Wort wunderbar saugt das Mädchen strahlend etwas Nachtluft ein. Um es kurz zu machen, wir wissen nicht genau, ob aus diesem Stelldichein noch eine richtige Party geworden ist, denn wir gingen dann bald. Aber wir können sagen, dass wir uns mit den Mädchen noch sehr nett unterhalten haben, über Melkroboter und Windräder und über die Raumstation ISS. Und dass wir von unserem Fenster aus noch sehen konnten, wie noch weitere Leute an Mikes Fenster stehen blieben. Und dass Mike am Tag danach ziemlich entspannt aussah.
Text: Ines Veihelmann
Text erschienen in taz
Schreibe einen Kommentar