Action-Filme sind Männer-Sache. In diesem ungewöhnlichen Thriller ist das jedoch ein bisschen anders. Auch anders: Die Farbe Weiß, in der Regel Symbol der Unschuld, wirkt in den schneereichen Landschaften Nordeuropas, in denen der Film beginnt, geradezu unheilschwanger. Und Unheilvolles geschieht: Hanna (Saoirse Ronan), noch Kind, bald Frau, wird von ihrem Vater (Eric Bana) in diversen Kampftechniken geschult. Der Grund: Sie soll gegen die CIA-Agentin Marissa Wiegler (Cate Blanchett) antreten. Hannah fügt sich. Der Weg, der vor ihr liegt, ist dornenreich. Sie muss nahezu einmal rund um den Globus. Finale in Berlin. Bis dahin sorgt vor allem eine Frage für Spannung: Was soll das Ganze?
Regisseur Joe Wright arbeitet mit vielen klassischen Krimimustern. Doch mit einigem Mut zu künstlerisch Gewagtem sorgt er immer wieder auch für lustvolle Irritation. So lässt er beispielsweise die Kamera extrem nah auf Hannas Gesicht zugehen, bis dessen Konturen fast verschwinden. Formspielerei ist das nicht, sondern macht Sinn, weil damit das drohende Verschwinden der Persönlichkeit Hannas zum Ausdruck kommt. Das irritiert, weil es die Frage provoziert, ob das Geschehen eine als real zu verstehende Geschichte zeigt oder Tagträume des Mädchens. Passiert Hanna, was wir sehen, oder sind es ihre Phantasien, die von Grimms Märchen, denen im Film nämlich eine pointierte Rolle zukommt, angeregt worden sind? In Märchen gibt es fast immer die schöne böse Frau. Hier ist das Marissa. Zwielichtige Gestalten sind deren Helfershelfer. Die „Hexe“ scheut nicht einmal vor Neonazi zurück. Und wieder drängt sich die eine Frage auf: Was soll das Ganze?
Saoirse Ronan und Cate Blanchett haben perfekt choreographierte Kampfszenen. Gerade da zeigt sich abermals die Klasse von Regisseur Joe Wright. Er betreibt nämlich keine plumpe Zurschaustellung weiblicher Reize, wie es das allzu oft gibt. Hier wird nichts entblößt als die menschliche Dummheit. Ronan und Blanchett bleibt die Würde, und die bleibt damit auch den von ihnen verkörperten Figuren.
Wie schon bei seinen Literaturadaptionen „Stolz und Vorurteil“ und „Abbitte“ versteht es Joe Wright nahezu perfekt, mit Zuschauer-Erwartungen zu jonglieren. Nur das sei verraten: Es kommt fast immer anders als vermutet. Die ausgeklügelte Bild- und Ton-Montage sorgt für viele Überraschungen. Das macht es schwer, die schauspielerischen Leistungen gerecht zu beurteilen. Denn viele Szenen sind in kleine und kleinste Momente zergliedert. Cate Blanchett wirkt gänsehautträchtig kalt, eiskalt. Das ist jedoch etwas eindimensional. Die jetzt gerade mal 17-jährige Hauptdarstellerin, die bereits in „Abbitte“ auffiel, hingegen mutet in ihrem Spiel differenzierter an. Sie hat es jedoch auch einfacher, denn die von ihr verkörperte Hanna muss einiges an innerer und äußerer Wandlung vollziehen.
Es wird erstklassige Unterhaltung geboten. Und das wirklich bis zum Schluss. Der lädt ins Grau von Berliner Plattenbau-Alltag, S-Bahn-Schmuddel und der widerborstigen Romantik des seit Jahren stillgelegten, vor sich hingammelnden Vergnügungsparks Plänterwald im Ostteil der Stadt. Hier endlich werden die Titelfrage „Wer ist Hanna?“ und die, was das alles zu bedeuten hat, geklärt. Und das Gruseln wird zur Wonne – angesichts eines packenden, handfesten Thrillers, der nie in billiger Effekthascherei ertrinkt.
Peter Claus
Wer ist Hanna?, Joe Wright (USA / Großbritannien / Deutschland 2010)
Bilder: Sony Pictures
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