Das Ende der Gefühlsduselei
Mit Gerwald Rockenschaub, Angela Bulloch und Joachim Grommek feiern das Kunstmuseum Wolfsburg und die Städtische Galerie Wolfsburg derzeit gleich drei avancierte Maler.
„Hört auf zu malen“, rief Jörg Immendorff 1966 und strich ein halbfertiges Gemälde durch. Dass er sich an seine Aufforderung, die Lüge namens Malerei auf den Misthaufen der Geschichte zu befördern, selbst nicht hielt, nahm dem Maoisten niemand übel. Doch seit dieser Zeit liegt ein Schlachtruf in der Luft, der immer neu, immer anders aufgenommen wird. Um am Ende dann wieder in einen Triumph der Malerei zu münden.
Eine neue Drehung dieses ewigen Kreislaufs lässt sich dieser Tage in Wolfsburg besichtigen. Denn mit den Ausstellungen von Gerwald Rockenschaub im Kunstmuseum und von Angela Bullock und Joachim Grommek in der Städtischen Galerie der Stadt sind dort derzeit gleich drei avanciert antimalerische Maler zu sehen. Auch wenn sie mit dem linken Malerfürsten sonst nichts gemein haben.
Die spektakulärste der drei Schaus ist zweifellos Gerwald Rockenschaubs Installation für die große Halle des Wolfsburger Kunstmuseums. In den 1.600 Quadratmeter großen Raum hat der 1952 im österreichischen Linz geborene Künstler, der heute in Berlin lebt, eine rund 70 Meter lange und elf Meter hohe Wand gestellt, die schon aufgrund ihrer schieren Größe wie ein Manifest wirken muss.
Auf diese Wand hat er ein wahnwitziges Sammelsurium der Zeichen und Symbole aufgetragen. Ein Meer aus knallbunten Piktogrammen flutet über das um die Ecke gelegte, riesige Display, bekannte wie unbekannte gleichermaßen: informatorische Elementarteilchen einer Welt, die nur noch aus unverbundenen Signets zu bestehen scheint.
Ein Unterschied wie zwischen Rock & Techno
Die Kunstrichtung des Neo-Geo, der Rockenschaub zugerechnet wird, entstand als Gegenbewegung zur neoexpressiven Malerei der „Jungen Wilden“ von Rainer Fetting, Helmut Middendorf oder Walter Dahn in den späten siebziger, frühen achtziger Jahren. Der Rückgriff auf das Geometrische, mit dem der privatistischen Gefühlsduselei ein Ende bereitet werden sollte, äußerte sich bei Gerwald Rockenschaub in nüchternen Installationen. Wie das begehbare Gerüst, mit dem er 1993 auf der Venedig-Biennale den Österreichischen Pavillon des Jugendstilarchitekten Josef Hoffmann „dekonstruierte“.
Poptheoretisch gesprochen ist der Unterschied zwischen Fetting & Co und Rockenschaub et al. der zwischen Rock und Techno. Von den Berliner Moritzboys ist das Bekenntnis überliefert: „Im Grunde sind wir alle Rockstars“. Rockenschaub amalgamierte Kunst und musikalisches Lebensgefühl zuerst via Punk. In Wien spielte er in der Band „Molto Brutto“. Später legte er in Techno-Clubs als DJ auf.
Rockenschaubs Wolfsburger Display sieht aus wie ein Wandgemälde, ist aber die Widerlegung der Malerei aus dem Geist des Designs oder ihre Weiterentwicklung – je nachdem, wie man es sieht. Seine Distanz zur klassischen (Ausdrucks-)Malerei zeigt er schon im profanen Material: Jedes der 385 Symbole ist nämlich nicht gemalt, sondern aus Farbfolie geschnitten, die dann auf die Wand aus Tischlerplatten geklebt wurde. Dass er die Malerei lieber von der Computergrafik her definiert, war schon 2008 zu sehen, als er auf den Kubus der Temporären Kunsthalle auf dem Berliner Schlossplatz einen Wolkenhimmel auftrug, der aus einer Matrix von weißen und blauen Pixeln bestand.
Kalt, perfekt, emotionslos
Pathetisch aufgeladene Kunst liegt Rockenschaub so fern wie nur irgendetwas. Das romantische Bild des Künstlers als genialisch umflortem Virtuosen kontert er gern mit dem trockenen Hinweis: „Ich bin Dienstleister“. Im Schweiße irgendeines Handwerks entsteht bei diesem Künstler gar nichts. Seine Arbeiten entwickelt er in einem klinischen reinen Büro mithilfe von Computerprogrammen. Später werden sie von anderen ausgeführt. Zur Dienstleistungsästhetik gesellt sich die entsprechend coole Dienstleistungsmentalität: kalt, perfekt, emotionslos. Die Grenze zum Design ist bei Rockenschaub in jeder Hinsicht fließend.
So viel coole Professionalität spricht eigentlich dagegen, seine Arbeiten interpretatorisch aufzuladen. Wenn Museumschef Markus Brüderlin von Rockenschaubs Werk als einem „semiologischen Tsunami“ spricht, klingt in der Formel ein kulturpessimistischer Ton an, die einen Elektrofan eher gruseln dürfte. Ebenso wenn Brüderlin ihn als Kronzeugen für die Gefahren der visuellen Reizüberflutung in Anspruch nimmt. Bei einer Wiener Aktion hat Rockenschaub 1984 das Wort „Augensex“ in den Kunstbetrieb eingeführt. Vom piktorialen Verkehr kann dieser Mann nie genug kriegen. Brüderlins Deutung als einem „Denkmal für die „Multioptionsgesellschaft“ kommt der Sache näher.
Es ist eben der chaotische Kosmos einer hierarchielosen Gleichzeitigkeit, zu dem der Formenkanon der Moderne und die Zeichenwelt des Alltags verschmolzen sind und der via Internet ständig verfügbar ist. High steht hier neben low: der hundeähnliche Klecks aus einem Bild von Joan Miró neben dem gepixelten Symbol einer Kamera aus dem Internet. Aber auch hier dürfte Rockenschaubs Warnung fernliegen. Ihm ging es immer um ein Crossover zwischen Club-Culture, Design, Architektur, Kunstdiskurs und Popkultur.
Kritisch ließe sich bei Rockenschaubs Produktionsweise ansetzen. Die Minimal Art sah sich seinerzeit der Frage gegenüber, mit ihrer rigiden Narrationsverweigerung und den harten Materialien die Mimikry des Industrialismus zu betreiben, den es zu hinterfragen gelte. Bei Rockenschaub stellt sich die Frage, ob er mit seinen aus dem Netz gefischten und weiterbearbeiteten Icons nicht vor der Digitalisierung des Geistes in die Knie geht.
Benutzeroberfläche des Kapitalismus
Andererseits: Würde irgendjemand auf die Idee kommen, dass ausgerechnet die konventionelle Malerei das geeignete Medium sein könnte, die neue Benutzeroberfläche des Kapitalismus kritisch auf den Punkt zu bringen, in der Kunst, Konsum und Information eine ununterscheidbare Liaison eingegangen sind? Auf jeden Fall hat Rockenschaubs Werk in dem Technotempel des Kunstmuseums Wolfsburg einen sinnfälligen Ort gefunden.
Noch strenger geht es bei Angela Bullock zu. Die diesjährige Kunstpreisträgerin der Stadt hat in die Räume der Städtischen Galerie ihre „Drawing Machines“ gehängt. Diese seismografenartigen Gebilde sehen den Temperaturmessern in den Ecken des Raums sehr ähnlich: Über Mikrofone, Infrarotkameras und Lichtschranken werden die Bewegungen der Besucher aufgezeichnet und in diagrammartige Linien auf weißen Papierbögen übersetzt. Bei den Surrealisten war der Maler noch das ausführende Medium. Bullocks écriture ist wirklich automatique.
Die drei Ausstellungen überzeugen mit einer raffinierten Dialektik. Denn bei dem Versuch, die klassische Malerei zu überwinden, hat jeder der drei Künstler eine hochartifizielle Kunst geschaffen, die ihren „malerischen“ Reiz gerade aus dem Repräsentationsverzicht bezieht. Besonders virtuos gelingt das Joachim Grommek in der Städtischen Galerie.
Die Klebebänder, der der 1957 in Wolfsburg geborene Künstler da scheinbar auf bräunliche Spanplatten geklebt hat, wirken mit ihrer offensichtlichen Arte-Povera-Ästhetik wie die demonstrative Absage an zwei Fundamente der Malerei: Farbe und Leinwand. Bis man erkennt, dass es gar keine Klebebänder sind, sondern kantenscharf aufgetragene Lackschichten.
Grommek eröffnet mit einer kaum merklichen Täuschung einen immensen Illusionsraum, der bislang als Alleinstellungsmerkmal der digitalen Ästhetik samt ihrer Animationstechnik galt. Wenn es der Malerei gelingt, ihr eigenes Verschwinden so zu simulieren, dass dabei ästhetisches Wohlgefallen aufkommt, muss man sich um ihre Zukunft nicht sorgen. Insofern ist die erste Einzelausstellung des Künstlers, der heute in Berlin lebt, durchaus metaphorisch für das Genre zu verstehen. Sie trägt den Titel: „Malerei 3000“.
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Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass die Berlinische Galerie, die Gerwald Rockenschaub 2007 mit dem Fred-Thieler-Preis für Malerei ehrte, am selben Tag, an dem in Wolfsburg seine „multidial“-Schau öffnete, eine große Retrospektive von Werken Rainer Fettings eröffnete – der Malerei, der Rockenschaub so demonstrativ den Rücken kehrte. Nichts gegen die kunsthistorischen Verdienste des wilden Rainer, doch wer beim letzten Gallery Weekend in Berlin die neuesten Zeugnisse seines altersmüden Neo-Expressionismus gesehen hat, möchte ihm am liebsten zurufen: Hör doch einfach mal auf zu malen!
Ausstellungen:
Bis 04. 09. 2011: Gerwald Rockenschaub: „multidial“ Kunstmuseum Wolfsburg
Bis 11. 06. 2011: Gerwald Rockenschaub: „Lady Linda“. Galerie Mehdi Chouakri, Berlin
Bis 18. 09. 2011: Angela Bullock: „Time & Line“ Städtische Galerie Wolfsburg
Bis 18. 09. 2011: Joachim Grommek: „Malerei 3000“ Städtische Galerie Wolfsburg
Text: Ingo Arend
Text erschienen in taz, 09.05.2011
Bild Teaser: Blick in die Ausstellung Gerwald Rockenschaub (Foto: Sebastian Wulf/Kunstmuseum Wolfsburg)
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