Diane Kruger gehört zu den Schauspielerinnen, die von der Kritik weithin unterschätzt werden. Nicht selten wird das Ex-Model für seine Darstellungen mit Häme überzogen. Da ist es von Regisseurin Fabienne Berthaud schon mutig, die Aktrice als Hauptdarstellerin zu engagieren. Allerdings: Berthaud ist Französin. Und in Frankreich ist das Image von Diane Kruger ein anderes als in Deutschland. Die Franzosen gehen lockerer mit ihrem Wechsel von der Mode- in die Filmwelt um. Bei unseren Nachbarn hat sie schon in manchem kleinen, feinen Film gespielt – und zu Recht Lorbeeren eingeheimst.
Die Geschichte beginnt dramatisch: Lily (Ludivine Sagnier) verliert ihre Mutter Françoise (Anny Romand). Intellektuell und emotional nie erwachsen geworden, sondern weitestgehend auf Schulkind-Niveau geblieben, bot ihr das Leben auf dem Land einiges an Schutz. Ihre Schwester Clara (Diane Kruger) versucht nun, die Rolle der Mutter zu übernehmen. Sie zieht zu Lily aufs Land. Was wiederum für die Städterin alles andere als einfach ist. Zudem mosern Gatte Pierre (Denis Ménochet) und dessen Eltern (Brigitte Catillon und Jacques Spiesser). Clara muss also in Folge ihres ersten Schrittes noch manche schwierige Entscheidung treffen…
Regisseurin Fabienne Berthaud lässt sich angenehm viel Zeit beim Erzählen. Effektvolle Dramatik spart sie aus. Selbst der Tod der Mutter wird fast beiläufig in Szene gesetzt. Schnell ist klar: Hier geht es nicht darum, eine hollywoodschicke Tränendrüsenmär zu bieten, sondern eine ernsthafte Auseinandersetzung mit Grundfragen des Lebens. Im Vordergrund steht vor allem die vielleicht entscheidendste Frage: Was sollen wir auf Erden?
Diane Krugers Claire ist die Schlüsselfigur. Am Anfang ist sie stets geschäftstüchtig, überlegt, kontrolliert – und nicht glücklich. Selbstverleugnung gibt den Ton in ihrem Dasein an. Nach und nach aber kann sie sich ändern. Dass dies nicht stereotyp und ausgedacht anmutet, ist neben der sensiblen Inszenierung insbesondere dem nuancenreich Spiel Diane Krugers zu danken. Gemeinsam mit Ludivine Sagnier gelingt es ihr, die kleine Geschichte zu einer großen zu machen – groß in der Wirkung. Man geht nach Hause und fragt sich, wieweit man selbst noch in der Lage ist, das zu leben, was das Wesentliche ist – den Augenblick.
Peter Claus
Barfuß auf Nacktschnecken, Fabienne Berthaud (Frankreich 2010)
Bilder: Alamode
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