Die Unberührbare
Isabelle Huppert ist „Die Klavierspielerin“ und eine der bedeutendsten Schauspielerinnen
Vielleicht, dass Erika Kohut wirklich begabt gewesen wäre. Begabt für das Klavier, begabt für das Leben. Doch irgendetwas hat diese Begabung irgendwann zerstört wie ein unentdeckter Virus, der nur an seinen Symptomen zu erkennen ist. So ist die Professorin nur eine Klavierlehrerin geworden am Konservatorium, so ist die Frau nur eine Voyeurin geworden, auf Parkplätzen und in Videokabinen. So hört sie nur zu, wie andere spielen, so sieht sie nur zu, wie andere lieben. Manchmal schneidet sie sich mit einer Rasierklinge in die Vagina und kontrolliert den Schnitt mit einem Spiegel. Ihr ganzes Leben kontrolliert sie so, beherrscht, diszipliniert, kühl, im Konservatorium und im Bad. Wenn dieser Spiegel zerbricht, dann verblutet sie an den Scherben.
Elfriede Jelinek hat Die Klavierspielerin 1983 veröffentlicht, Michael Haneke den Roman 2001 verfilmt. Er gewann den Großen Preis der Jury in Cannes, seine beiden Protagonisten, die wundersame Isabelle Huppert und der jugendlich-begabte Benit Magimel, erhielten die begehrtesten Filmschauspielerpreise Europas. Mit allem Recht, wenigstens einsam aufragende Schauspielerin. Isabelle Hupperts Arbeit adelt sich zu einem eigenem Wert jenseits der Geschichte. Wer ein Empfinden hat für Schauspielkunst, die auf jener seltenen Höhe stattfindet, auf der man Dinge nicht mehr besser, nur noch anders machen kann, der sollte diesen Film gesehen haben. Isabelle Huppert wird hier zu einem Monument der Schauspielkunst, vor dem man sich in Demut beugt.
Wie sie die Mundwinkel leise zucken lässt oder die Finger ihrer Hand leicht bewegt, und dies eine seelische Eruption offenbart, die es mit jeder Shakespeare-Rolle aufnimmt. Wie sie in gläsern-harter Unberührbarkeit noch auf der Damentoilette ihr wächsernes Gesicht zeigt, derweil sie das erigierte Glied des Jungen in der Hand hält. Wie sie vor der Kabine des Pornokinos wartend zwischen den wartenden Männern steht und die Pein hinter abweisender Arroganz verbirgt. Wie sie schließlich in der Kabine sich mit behandschuhten Händen den Zellstoff mit den Spuren der vorherigen männlichen Besucher an die Nase drückt und selbst dabei als eine Unberührbare erscheint, unberührbar vom Schmutz wie vom Leben. Wie diese Frau das, was sie tut, was sie empfindet, in einem gemeinsamen Augenblick von ihrem Gesicht verbannen und zugleich mit ihm erzählen kann, so etwas hat man lange nicht gesehen. Eine Intensität wie im sehr, sehr guten Theater, dazu ein melancholischer Blick in das gealterte Gesicht von Anni Girardot, am Rande Susanne Lothar und Udo Samel. Mehr nicht.
Michael Haneke liebt den Aufenthalt in Grenzbereichen menschlicher Existenz, mit seinen Funny Games wollte er den Zuschauer zum Voyeur schwer erträglicher Bilder machen und so diese Situation problematisieren. In solchem Sinne attraktiv sind die Bilder dieses Filmes nicht, sie verströmen eine kühle Objektivität. Wo Jelineks Geschichten immer etwas mit dem Hass auf das Küß-die-Hand und schöne-blaue-Donau-Österreich zu tun haben, da hat Haneke die Geschichte in ein beliebiges Europa verlegt. So erscheint das ungelebte Leben der Klavierspielerin in einem seelischen Gefängnis, dessen Schließerin ihre Mutter ist, voraussetzungslos, es steht für nichts ein, was nicht im emotionalen Autismus der Figur selbst ist. Ein autistischer Film, der alles zeigt und nichts erklärt.
Dem Jungen, der sie begehrt will sie sich nur geben als ein kalkuliertes Opfer masochistischer Unterwerfung. Doch der verstörte Sunnyboy verletzt die Regeln, er prügelt und er vergewaltigt sie. Ciao sagt er und geht. Ciao bella sagte auch der Junge in Funny Games, dann warf er das Opfer in den See. Und auch für Erika ist das Leben zu Ende nach diesem Ciao. Dann geht sie ab wie im Theater, ein Zitat, und hinten steht Wien, eine Kulisse: Erst, wenn sie nicht mehr auf der Szene ist, setzt sich die Ironie von Michael Haneke durch gegen die Tragödie von Isabelle Huppert. So gut ist sie .
Autor: Henryk Goldberg
Text geschrieben August 2002
Text: veröffentlicht in Thüringer Allgemeine
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