VON GESTERN:
Prüde Republik Deutschland oder: Sitten-Wacht am Rhein
Wissend, dass die geschnittene Version des französischen Horrorfilms „À l’intérieur“ in Deutschland als beschlagnahmt gilt und somit als verboten anzusehen ist, jedoch im benachbarten Frankreich, ungeschnitten und freigegeben ab 16, offiziell über die Ladentische geht, stellen sich mir immer wieder die Haare zu Berge, wenn ich von Indizierungen und Beschlagnahmungen höre. Es war ein Irrglaube zu denken, mit Vollendung meines 18. Lebensjahres gehöre mir die Welt. Weit gefehlt. Jene, die entscheiden, was und wieviel ich in dieser Welt lesen, sehen, hören und spielen darf, sind wachsam. Dank ihrer allumfassenden Sicht, ihres unbegrenztes Hintergrundwissens und perfekter Kenntnisse entscheiden Zensoren darüber, was dem deutschen Gutbürger zuzumuten ist, was der verkraften kann, ohne in Gefahr zu geraten, Amok zu laufen oder Amok zu ficken.
1991 gewährte SpiegelTV Einsicht in das emsige Treiben der Beschäftigten der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften in Bad Godesberg bei Bonn. Das ist sehenswert. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, meist mit Zigarette im Mund und einem Limonadengetränk ihrer Wahl bewaffnet, sitzen auf unbequemen Stühlen und schauen sich Pornos und Splatterstreifen im Dutzend an. Ab und zu schaut Ex-Chef Stefen (Pornopapst von Godesberg) im Praline-Archiv vorbei und nimmt einen Stapel Wichsvorlagen für private Begutachtungszwecke mit. Wer kann es ihm verdenken. Jahrelang saß er am bunt gedeckten Tisch und nun, nach der Pensionierung, soll nur noch das Strampeln auf dem Home-Trainer bleiben? Nein, – Muster haben sich eingeschliffen, da kann man nicht von heute auf morgen abstinent sein. Und wenn am Ende dieses historischen SpiegelTV-Filmchens ein computerspielfähiger Knabe herbei gerufen werden muss, damit sich die Fachleute von der Gefahr eines PC-Shooters ein Bild machen können, fragt man sich schon, wie es wohl heute, im Jahr 2011, in diesem Zensoren-Kasperletheater zugeht.
Danke SpiegelTV, danke Bundesprüfstelle. Zumindest die kann man nicht verbieten.
Andre Thaetz
Stills und Video: © spiegel-online
Den SpiegelTV Beitrag in voller Länge (7:45) sehen Sie hier, oder bei Klick auf das Bild ganz oben.
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