Viel Arbeit mit der Revolution
Mit dem Film „Che – Revolución“ retten Regisseur Steven Soderbergh und Schauspieler Benicio Del Toro den Revolutionär Che Guevara davor, zum leersten Bild unserer Zeit zu werden.
Über Ernesto „Che“ Guevara hat Jean Paul Sartre gesagt, er sei der „schönste Mann“ – oder auch „der vollkommene Mensch“ seiner Epoche. Das meint nicht nur, dass einer, der das richtige denkt und der das richtige tut, auch die richtige Erscheinung hat: in sich vereinigend das Gesicht der alten Weisheit und der jungen Tat, in gewisser Weise wohl auch das Männliche und das Weibliche (das Harte und das Sanfte) der Revolution, den Traum und die Wirklichkeit. Das meint auch: Den vollkommenen Menschen gibt es natürlich nur im Mythos.
Und wie es mit dem Mythos so ist: er funktioniert nur in einer bestimmten Entfernung. Kommt man ihm zu nahe, so wird ein ganz normaler Mensch sichtbar. Mit Fehlern und Schwächen, mit Neurosen und Brüchen. Unverzeihliches auch ist darunter. Entfernt man sich zu weit, kommt „Geschichte“ ins Bild: der „schönste Mann“ als Spiegelbild in den Scherben der Verhältnisse, der „perfekte Mensch“, der sich zum Subjekt der Geschichte machte als ihr Spielmaterial und Symptom.
Bei einem Film über Che Guevara kommt also vieles schon auf die Entfernung an, die die Kamera wählt. Die Veränderungen der Entfernungen. Und auf einen kleinen Trick, nämlich nicht nur Annäherung und Entfernung zu inszenieren, sondern auch die eine oder andere kleine Seitwärts-Bewegung. Sie macht deutlich, wie sehr das Bild von seinen Verhältnissen abhängig ist. Und darauf versteht sich der amerikanische Filmemacher Steven Soderbergh wie kaum ein zweiter.
Er hat stets ein Flirren zwischen subjektiver und objektiver Wahrnehmung erzeugt, und nur in dieser vertrackten Aufnahmeform war etwas zu erfahren über den Alltag der Bildergesellschaft („Sex, Lügen und Videotapes“), über das Geflecht des Drogenhandels („Traffic“) [ad#che2]und über die Grenzen von Wahrnehmung und Erinnerung („Solaris“). Selbst in den unterhaltsamen, coolen Bilder- und Intrigen-Spielen wie in der „Ocean’s“-Serie, die Soderbergh zwischen seinen heißeren (und meist kleineren) Filmen zu drehen liebt, gibt es diese eigenartige Verbindung von Subjekt und Struktur, Vernunft und Wahn, Plan und Psyche.
Genau diese Haltung nimmt Soderbergh zu seinem Gegenüber, dem von Benicio Del Toro mit bewundernswerter Genauigkeit gespielten Che Guevara ein. Wir sind gleichsam zugleich in diesem revolutionären Subjekt, was schon deswegen nahe liegt, weil eine wichtige Vorlage für das Drehbuch dessen Tagebuch ist. Das Tagebuch eines Revolutionärs, wohlgemerkt, das eine Arbeit beschreibt, Erfahrungen sammelt, Fehler erkennt, Korrekturen vornimmt, kein Platz für Psyche und Melodrama. Und wir sind Beobachter von außen.
Zunächst einmal widerspricht Soderbergh mit seinem Film-Diptychon allen Revolutionsfilmen aus Hollywood. Hollywood ist verliebt in Revolutionen (und viele US-Amerikaner waren, zumindest anfänglich, auch in die kubanische Revolution verliebt), aber es fällt der Traumfabrik schwer, sie nicht als Melodrama in fünf Akten zu beschreiben: Die Jugend des Revolutionärs, die schwere Kränkung, der Verlust, das traumatisierende Ereignis darin. Die Verwandlung einer persönlichen Rebellion in eine gesellschaftliche Geste (gegen den Despoten, den bösen Vater und schließlich das ungerechte System). Der Triumphzug der Revolution (eingeschlossen die Rückschläge und Retardierungen), das Glück des Triumphs, der Vollzug von Rache und Umsturz, und das alles schon mit dem sichtbaren Keim des Niedergangs. Die Korruption des idealistischen Revolutionärs durch die Realitäten von Politik und Ökonomie. Der Versuch, den Niedergang der Revolution und den Zerfall der eigenen Funktion aufzuhalten beschleunigt das Ende nur noch. Am Ende ist der Revolutionär tot, gebrochen oder depressiv, und die Revolution hat nichts zum besseren gewendet. Hollywood ist verliebt in scheiternde Revolutionen.
Nichts davon bei Soderbergh, übrigens auch nicht im zweiten Film, der ja von nichts anderem handelt als vom Scheitern einer Revolution. Eine Revolution ist ein sehr großes Stück Arbeit. Sie erfordert einerseits strategische Klugheit, taktische Beweglichkeit, die Verlässlichkeit aufeinander abgestimmter Bewegungen, größtmögliche Disziplin und größtmögliche Autonomie. Eine Revolution erfordert andererseits, da sie mehr ist als ein Staatstreich und ein Guerillakrieg, eine beständige Arbeit des Bewusstseins; sie verwirklicht ihre Werte nicht nach dem Sieg sondern immer auch im revolutionären Kampf selber. Eine Revolution kann immer am Gegner und an sich selbst scheitern.
„Revolucion“ beschreibt eine gelungene Revolution und vermittelt dabei das Glück einer Befreiung, das weit hinausgeht über die Erfüllung des Mythos.
Che Guevara ist in diesem Vorgang wichtig, und zwar in allen dreien Dimensionen, als ein Mensch, als ein Mythos und als historisches Element. Aber nie, ganz im Gegensatz zum Hollywood-Revolutionshelden, hat man das Gefühl, es handele sich um „seine“ Revolution.[ad#che1] „Revolucion“ spart aus, greift vor, verwendet unterschiedliche Farb- und Materialarten, bricht das Geschehen auf, verbindet die kubanische Insel mit der Welt und Vergangenheit mit Zukunft. Denn möglicherweise ist eine Revolution auch dieses Unerhörte: Der Eingriff des Menschen in seine Geschichte. (Ein Gedanke, der viel zu groß für uns ist, die wir nicht einmal mehr an den minimalen Eingriff in die Geschichte durch das Ausfüllen eines Wahlzettels glauben!)
In allem das Gegenteil ist der zweite Film, „Guerilla“, der eine gründlich scheiternde Revolution beschreibt und dabei das große Unglück vermittelt, das dies bedeutet: nicht nur für die scheiternden Revolutionäre, sondern für die Geschichte und für die Menschen. Che Guevara ist auch hier wichtig, er begeht Fehler, darunter den, als schwer Asthmakranker nicht genügend Medikamente bei sich zu tragen. Scheitern kann er wiederum nur in allen drei Dimensionen, als ein Mensch, als ein Mythos und als historisches Element. Je mehr indes dieser Che Guevara die Revolution an ihr eigentliches Subjekt, das bolivianische Volk, übertragen will, desto mehr wird er mit ihr allein gelassen.
„Guerilla“ erzählt konsequent und linear, das Scheitern der Revolution ist gegenwärtig. Die Welt und der Gegner indes machen ihre eigenen Bilder, und auch hier zeigt Soderbergh einmal mehr, wie menschliche und gesellschaftliche Beziehungen abhängig sind von den Bildern und ihrer Herstellung. Denn möglicherweise ist eine gescheiterte Revolution auch dieses Unerhörte: Die Vertreibung des Menschen aus seiner Geschichte. (Auch dieser Gedanke ist viel zu groß für uns, wir haben ja Fernsehen.)
Zwei Filme, die, nimmt man sie als Stoff für die Nacherzählung, „nicht viel neues bringen“, sieht man einmal davon ab, dass es dem Regisseur gelungen ist, dem Mann, der vom „schönsten seiner Epoche“ zum Modell für das leerste Bild unserer Zeit wurde, Würde und Gerechtigkeit zurück zu geben. Aber das ist nur eine Seite. Die andere Seite von Soderberghs Filmen ist: Jede Einstellung, jeder Übergang, jede Geste und jedes Objekt vor der Kamera nimmt die Menschenarbeit der Revolution ernst. Jenseits von Mythos, Mensch und Geschichte gibt es das denkende Bild, das alles drei zusammenfasst und darüber hinaus geht. Und das ist genau das, wofür es sich lohnt, Filme zu machen und Filme zu sehen.
„Revolucion“ entlässt uns mit einer kleinen, indes höchst signifikanten Episode: Die Arbeit ist getan, der Sieg ist errungen. Dass Soderbergh die Schlüsselszene aller Revolutionsfilme, den Einzug der Revolutionäre ins Zentrum der Macht ausspart, zeigt: Die Euphorie der gelungenen Revolution ist nicht identisch mit dem Triumph des Sieges.
Stattdessen: Ein Convoi der Revolutionäre bewegt sich auf der Straße nach Havanna, ein paar von seinen Leuten haben sich einen der Luxuswägen geschnappt, die die Yankees auf die Insel brachten. Che hält sie auf und befiehlt ihnen, den requirierten Wagen seinen Besitzern zurückzubringen. Dann steigt er wieder in seinen Jeep und fährt los. Und der Film ist zuende.
Diese Szene ist scheinbar so beiläufig, in ihrer Anti-Klimax-Dramaturgie ein frecher Verstoß gegen Kino-Konventionen. Sie enthält: Guevaras revolutionäre Moral, seine Pädagogik und seinen Humor. Auf der zweiten Ebene weist sie darauf hin, was jetzt kommen wird: die Mühen der Ebene. Man wird lernen müssen, die Elemente von Staatsstreich und Machtübernahme, von Abenteuer und Glück auf der einen Seite, von der Arbeit der Revolution, vom Bewusstsein und vom Recht zu trennen. Guevara nimmt den Kindern der Revolution ein „Spielzeug“ weg, er tut es mit einem Lächeln.
Der Moment des Glücks einer gelungenen Revolution (er gehört wohl in der Tat einer vergangenen Epoche an) ist so übervoll wie diese Szene: Das Bild des US-amerikanische „Straßenkreuzers“ ist die Aufhebung dieses einen vollkommenen schönen Moments, in dem alles möglich war. Und daraus wurde das Bild von Stillstand. Von der Isolation. Vom Auseinanderfallen von Form und Inhalt. Vielleicht steckt in der heiteren kleinen Episode am Ausgang von „Revolucion“ also auch schon das Scheitern. Mit der Schwarzblende danach ist „Revolucion“ zu Ende, aber nicht die Geschichte von Che Guevara und von den Revolutionen in Lateinamerika.
Autor: Georg Seeßlen
Text: veröffentlicht in taz 09.06.2009
Bild: Central Film
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