Die liebe Seele
Ein Film für Leute, die »kafkaesk« nervig finden
Es ist kein guter Tag für Craig Schwartz. Der Marionettenspieler tingelt auf der Straße mit »Heloise und Abelard«, vielleicht, dass er träumt, seine Ehe wäre so, da bekommt er eins auf die Fresse. Zu Hause die Lotte liebt Eliza, die Schimpansin, doch die hat ein Magengeschwür und muss zum Psychiater, ein Kindheitstrauma. Und Tom-Tom, das Frettchen, hat eine Platzwunde. Da sucht Craig einen Job. Die Firma ist im Stockwerk 7,5. Die Menschen gehen hier gebückt, denn ein Ire hat es einst gebaut für die Seele seiner Frau und seine Frau war eine Zwergin. Maxine, die neue Kollegin, ist ziemlich groß, überall, und sie will nicht mit Craig schlafen. Da stürzt Craig durch einen Schacht ins Wunderland. Und blickt durch einen Sehschlitz auf das »Wall Street Journal«. Beinahe ist es, als schaue er aus einem anderen Menschen heraus. Er schaut aus einem anderen Menschen heraus.
»Being John Malkovich« ist das bemerkenswerteste Spielfilmdebüt der letzten Zeit, der Regisseur Spike Jonze (29) drehte bislang Video-Clips, der Autor Charlie Kaufman arbeitete für das Fernsehen. Und ihr Grundeinfall ist von solch einer unverfrorenen Absurdität, dass ihr Film, zunächst, die reine Freude ist. Nachdem der erfolglose Puppenspieler (John Cusack mit der Dynamik eines resignierten Boheme in Burgk bei Magdeburg) den Eingang in das Innere von John Malkovich (John Malkovich mit intelligenter Selbstironie) gefunden hat, macht er daraus mit seiner Kollegin Maxine eine Goldgrube: 200 Dollar für 15 Minuten als John Malkovich 15 Minuten Ruhm hat Andy Warhol jedem versprochen. Das bringt Kohle und Probleme.
Maxine schläft mit John, aber eigentlich schläft sie mit Lotte (Cameron Diaz als Psycho-Kuh), denn die ist in John. Manchmal schläft Maxine aber auch mit Craig, denn der ist auch in John, manchmal. Beide Frauen lieben einander, indessen nur unter Zwischenschaltung des Mediums John. Sind sie lesbisch? Wenn Maxine ein Kind von John bekommt, das er zeugte, als Lotte ihn bewohnte: Ist Lotte dann der Vater? Oder John die Mutter? Oder wie? Oder was? So viele Fragen. Und nie hat die liebe Seele Ruh.
So lustvoll wurde kaum je in dem Psycho-Quark gerührt, auf dessen Grund in Amerika die Ursachen noch jedes Hustenanfalles vermutet werden. Spike Jonze, für diesen Film mit einer Oscar-Nominierung geehrt, inszeniert, als sei dies die Summe aller Großstadtneurotiker, aller Männergruppen, aller Selbstfindungsseminare, aller Cyber-Visionen und aller Identitätskrisen, eine Lust für Leute, die das Huren-Wort »kafkaesk« mindestens einmal zuviel gehört haben. Ein schlichtes, realistisches Spiel, darin die Absurdität Realität gewinnt. Bis John Malkovich in John Malkovich stürzt und, bestürzt, lauter John Malkoviche sieht. Dann haben sie ihre Idee auserzählt, dann wird die Absurdität eine Albernheit und den Bildern kommt der Witz abhanden. So muss es offen bleiben, ob sich hier Bedeutendes ankündigte oder ob dies der Glücksfall einer Eingebung war.
Nach 15 Minuten stürzen die Malkovich-Touristen ins Leben zurück, an der Schnellstraße nach New Jersey. Angefüllt mit angenehmen Erinnerungen, klopfen sie sich das Gras von der Kleidung und hoffen, dass das noch nicht alles war. Ein wenig glaubt, wer aus dem Kino kommt, er stünde an der Schnellstraße nach New Jersey.
Autor: Henryk Goldberg
Text geschrieben 1999
Text: veröffentlicht in Thüringer Allgemeine
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