Manhattan, chinesisch
In unserer Zeit der neuen Völkerwanderungen kommt den Kinematographien aus den Brennpunkten der Kulturen eine eigenartige Aufgabe zu. Das amerikanische Kino zum Beispiel wirbt ganz offensichtlich für das Leben in den Vereinigten Staaten: Da mag es schmutzig und gewalttätig sein, aber trotzdem und zum Teil gerade deswegen sind die USA die einzig wahre Heimat. Das europäische Kino behauptet, man habe Kultur und sei schon dadurch dem Rest der Welt überlegen. Und der südostasiatische Film phantasiert von einer Öffnung zur Welt, einschließlich der Notwendigkeit, Familie und Heimat zu verlassen, bei der aber doch die eigenen Traditionen nicht vollständig verloren gehen. Die Popularität des asiatischen Films auch bei uns, vom harten Gangsterthriller eines John Woo bis zu den schwermütig-schönen Kalligraphien von Zhang Yimou, mag mit seiner Fähigkeit zusammenhängen, zugleich in die Zukunft und in die Vergangenheit zu blicken. Er vermag uns die Leinwand- Gegenwart zu retten, der das amerikanische und das europäische Kino in verschiedene Richtungen enteilt sind.
„Das Hochzeitsbankett“, der zweite Spielfilm des Regisseurs Ang Lee, ist eine amerikanisch-taiwanesische Koproduktion und spielt, ganz privat und dennoch ganz allegorisch, im Spannungsfeld zwischen den Kulturen Asiens und Nordamerikas. Wai-Tung ist aus Taiwan nach Manhattan gekommen und hat hier Karriere gemacht. Er hat die amerikanische Staatsbürgerschaft, ist Immobilienbesitzer und lebt mit seinem Geliebten Simon in einer luxuriösen Wohnung. Doch seine Eltern im fernen Taiwan drängen auf eine Ehe, bombardieren ihn mit Angeboten von Heiratsvermittlungen und schicken ihm schließlich sogar eine Frau, die seinen grotesk hochgeschraubten Ansprüchen entspricht. Als der Vater schließlich noch einen Herzanfall nur durch seine Sehnsucht überlebt, seinen Sohn verheiratet und mit einem Enkelkind gesegnet zu sehen, muß eine Lösung gefunden werden. Da ist die schöne junge Malerin Wei-Wei in Wai-Tungs Mietshaus, ohne Geld und von der Abschiebung bedroht. Eine Scheinehe kann beider Probleme lösen. Weil sich aber die Eltern Wai-Tungs zu Besuch anmelden, bekommt die Geschichte eine eigene Dynamik. Eine Fassade muss errichtet werden. Das ist Komödienstoff.
Die schnelle und formlose Hochzeitszeremonie kränkt Wai-Tungs Eltern sehr, aber wie es der Zufall will, ist der Besitzer des Restaurants, in das Simon die Familie führt, ein ehemaliger Untergebener des Vaters, General Gao. Er richtet ein gewaltiges Bankett aus, denn man ist gewiß nicht aus Taiwan nach Amerika gekommen, um hier das Gesicht zu verlieren. Das große Fest mit viel Essen, noch mehr Trinken und reichlich obszönen Spielen treibt Wai-Tung und Wei-Wei unter die Decke des Hotelbettes. Wei-Wei wird schwanger.
Auf die etwas umständliche, aber stimmungsvolle Exposition und den turbulenten Mittelteil folgt nun eine Auflösung mit hohem, bewußt eingesetztem Seifengehalt: Wei-Wei wird ihr Kind austragen und erklärt Wai-Tung und Simon zu seinen beiden Vätern. General Gao erleidet einen leichten Herzanfall, und im Krankenhaus offenbart sich Wai-Tung seiner Mutter. Simon kümmert sich um den Rekonvaleszenten, und der gibt ihm schließlich zu erkennen, daß er längst über Simons Beziehung zu seinem Sohn Bescheid weiß.
Ang Lee ist mit seinem „Hochzeitsbankett“, handwerklich geschickt, aber ohne formalen Wagemut, ein universal verständliches Modernisierungs- und Anpassungsdrama gelungen, das aus einer vielfachen Entfremdung eine einfache Harmonie zimmert. Die Lösung aller kulturellen Konflikte heißt, ganz privat und ganz allegorisch: Living in America. Nachdem auch der Yuppie in Wai-Tung einen kleinen Dämpfer bekommen hat, die Frauen und die Homosexuellenfrage politisch korrekt touchiert wurden und jede Person Gelegenheit hatte, menschliche Größe zu zeigen, ist das mittelständische Modernisierungsopfer vollzogen. Es ist der schiere Kitsch.
Dass man sich dennoch in diesem Film voller Lügen einigermaßen wohl fühlt, hängt vermutlich mit seiner Wahrhaftigkeit zusammen: So kann nur einer lügen, der fest an seinen Traum glaubt.
Autor: Georg Seeßlen
Text: veröffentlicht in DIE ZEIT, 15.10.1993 Nr. 42
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