Das Telefon ist weiblich. Aus gutem Grund. Nicht aus Neugier telefonieren Frauen viel und lange, sondern weil sie keinen Anruf ignorieren können. Anders als viele Männer. Die gehen einfach nicht ran, wenn es klingelt.

Neulich abends, ich stand in der Küche, da klingelte das Telefon. Der Zeitpunkt war ungünstig, ich war gerade dabei ein paar Steaks in der Pfanne zu versenken. Also wartete ich ab, lauschend. Er musste es ja auch hören. Außerdem muss eine Frau Prioritäten setzen. Ein hungriger Mann im Haus ist ein Risikofaktor.

Nach dem dritten Klingeln deutete immer noch nichts auf eine Bewegung hin. Dafür hörte ich verdächtiges Zeitungsrascheln. Geistesgegenwärtig rief ich, was eine Frau in solcher Situation ruft: „Teeleefooon!“ Ein schönes Beispiel übrigens dafür, wie uns das männliche Sozialverhalten zu völlig hilflosen, unlogischen Handlungen provoziert. Natürlich passierte nichts. Ich verlor die Nerven, eilte zum Apparat. Die Dame am anderen Ende rief im Auftrag irgendeines Instituts an und wünschte meine Meinung zu „einigen gesellschaftsrelevanten Problemen“ zu erfragen. Sonst gern, ließ ich sie wissen, aber das Abendessen in der Küche, um diese Zeit . . . Sie könne das nachvollziehen, antwortete sie verständnisvoll. Als Gegenleistung bedauerte ich sie wegen ihres Jobs, wir wünschen uns einen guten Abend und ich eilte in die Küche zurück.

Dort qualmten die Steaks schon ein bisschen. Er muss das gerochen haben und lief mir besorgt bis zum Herd nach. Auch ein Mann setzt Prioritäten. Siehst du, sagte er überlegen. Hab ich doch gewusst. Und guckte sehr kritisch in die Pfanne. Es hätte ja jemand Wichtiges sein können, entgegnete ich aufmüpfig. War es aber nicht, sagte er zufrieden.

Wie hat ers erfahren?! Verfügen Männer über geheime telepahtische Kanäle? Vermögen sie ihre scharfen Sinne kilometerweit durch Telefonkabel zu bohren? Berechnen sie blitzgescheit die Wichtigkeit des Anrufes aus Schallgeschwindigkeit des Klingelgeräusches, Uhrzeit und Außentemperatur?

Jedenfalls tun sie so. Er geht nämlich fast nie ans Telefon. Nur bei Nummern, die er kennt. Und das sind nicht viele. Der Chef, die Mutter die Schwester. Na gut, meine erkennt er noch. Aber dann ist Schluss. Alle anderen Rufe verhallen in den Tiefen seiner Jackentasche.

Vor einiger Zeiten hätten wir aus diesem Grund fast obdachlos durch die Millionenmetropole Moskau irren müssen, weil niemand uns gesagt hätte, wo der Schlüssel zur Ferienwohnung liegt. Leichtsinnigerweise hatten wir dem Vermieter seine Handynummer gemailt. Nach ungefähr dem 13. Anruf der unbekannten Ziffernfolge hatte ich darauf bestanden, mal dranzugehen.

Es muss sich dabei um eine Spielart männlicher Sozialphobie handeln. Die soll ja häufiger vorkommen, als man denkt. Eine pathologische Angst vor Gesprächen unbekannten Ausgangs. Oder es ist Ausdruck männlicher Souveränitsbehauptung. Ein Mann bestimmt selbst, wann er spricht und wann er schweigt. So.

Eine Frau ist da anders. Sie würde zu jeder Tages- und Nachtzeit und in jeder Lebenslage einen Anruf entgegennehmen. Nicht aus Neugier! Es ist ihre soziale Kompetenz, ihre stete Sorge um ihr soziales Umfeld, die sie dazu zwingt. Es klingelt, und schon rennt sie oder wühlt nervös in der Handtasche. Während durch ihren Kopf schon so Gedanken rasen. Der Mathelehrer der Tochter wegen der verhauenen Arbeit! Die Eltern auf dem Land wegen eines Wasserrohrbruchs! Eine Freundin mit Beziehungsdrama! Die Polizei, das Finanzamt, der Vermieter!! Wer sagt, dass es nicht sein kann?

Natürlich redet man dann auch. Dafür wurde das Telefon schließlich erfunden. Das dauert vielleicht ein bisschen. Dann heißt es, wir sind schwatzhaft. Manchmal ist es dramatisch, wenn wir nicht schnell genug waren und keine Nummer angezeigt wird. Kürzlich klingelte es gegen drei Uhr morgens. Ich war nicht schnell genug. Nach dem Sprint war ich hellwach. Den Rest der Nacht verbrachte ich mit Grübeln und musste den Drang niederkämpfen, den Sohn im entfernten Studienort aus dem Schlaf zu klingeln. Und dann heißt es, selber schuld, wenn wir uns jetzt die Augenringe wegschminken müssen.

Sollten Sie mal mit leerem Tank an der Autobahn liegen bleiben, in der Wüste entführt werden oder ausgeraubt und mittellos in einem fremden Land um Hilfe rufen: Klingeln Sie bloß nicht bei einem Mann, wenn Sie nicht sicher sind, dass er Ihre Nummer erkennt. Im Notfall schicken Sie eine sms. Da muss er nicht sprechen.


Text: Elena Rauch

Text erschienen in Thüringer Allgemeine

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