Sein Name ist Kong, King Kong
Peter Jacksons kuscheliges Remake eines ziemlich bedeutenden Monster-Mythos
Wenn es je einen Pop-Mythos gegeben hat, dann ist „King Kong” einer. Eigentlich eine absurde Monster-Tiergeschichte, wie es sie zu dutzenden gibt. Die Schöne und das Biest, nächste Variante. Geheimnisvolle Insel, wüste „Eingeborene” mit schrecklichen Bemalungen und noch schrecklicheren Ritualen, fiese Geldleute, tatkräftige Abenteurer und eine Frau zum Schönsein, Kreischen und Herzbluten. „King Kong”, das ist erst einmal das volle Programm, ein Anthologiestück, alles drin, was die schräge Pulp Fiction-Phantasie hergibt. Und das ist eine ganze Menge. Denn Pop-Mythen tendieren dazu, unter der krausen Oberfläche allerlei geheime Botschaften, politische und sexuelle Nebenbedeutungen, märchenhafte Abgründe und manchmal auch kräftig Ideologie zu enthalten.
Über das, was unter der Oberfläche von „King Kong” so brodelt, haben sich mittlerweile siebzig Jahre lang nicht nur die Genre-Fans und die Filmhistoriker gestritten, sondern auch Psychologen, Philosophen, Ethnologen, Mythenforscher, Literaturwissenschaftler und Zeichentheoretiker. Neben Massenmördern, Sex-Symbolen und wahnsinnig genialen Künstlern gehört King Kong zu den meist analysierten Wesen der Kulturgeschichte. Das soll dem alten Affen erst mal jemand nachmachen.
Mit erfunden hat dieses beeindruckende Vieh der englische Kriminalschriftsteller Edgar Wallace. Ein manischer Phantasierer, der mit seinen Spielschulden um die Wette schrieb, und in seinen hingefetzten Erbschaftsintrigen und Mörderspielen eine ganz eigene finstere Welt errichtet hatte. Der deutsche Literat Willy Haas wies ihm seinerzeit nach, dass er nichts anderes als eine Art verrückter Religion in seinen Büchern entwickelt hatte. In der Bundesrepublik Deutschland wurde dieser Stoff zuerst in Form roter Taschenbücher und dann als schaurig-komische Schwarzweißfilme zum Kult. „Es ist unmöglich, von Edgar Wallace nicht gefesselt zu werden”, hieß es damals. Schon möglich, aber intelligente Plots hatten damit nichts zu tun. Eher schon eine alarmierende Häufung absurder Todesfälle, grotesker Gestalten und mehr oder weniger verbotener Phantasien. Der Riesenaffe King Kong hat Wurzeln bei Edgar Allen Poe und in den Science Fiction-Romanen, in denen verrückte Wissenschaftler aus irgendeinem Grund damit beschäftigt waren, Menschen und Tiere besonders klein oder besonders groß zu machen. Aber es war auch eine typische Gestalt aus der verrückten Religionswelt von Edgar Wallace. Das unschuldige Triebwesen, das von bösen Mächten missbraucht wird und immer im letzten, entscheidenden Moment durch die Liebe „geheilt” wird. Es kommt als Buckliger von Soho, als debiles Mördertier, als Ergebnis bizarrer Experimente in seinen Romanen vor. Und jetzt wurde es zu einem Riesengorilla. Edgar Wallace holte sich übrigens bei seinem ersten Trip nach Hollywood eine Lungenentzündung und starb daran.
Jeder kennt die Geschichte von King Kong: Ein Filmteam kommt auf eine einsame Insel, um einen sensationellen Film zu drehen. Bösartige Eingeborene schnappen sich die blonde Hauptdarstellerin, um sie dem Herrscher ihres Urwalds zu opfern: dem Riesenaffen Kong. Statt sie zu verspeisen oder sich sonst wie an ihr zu vergehen verliebt sich King Kong und verteidigt sie gegen allerlei Sauriergetier. Dem Filmteam gelingt es, den Riesenaffen zu chloroformieren und in Ketten mit nach New York zu bringen, wo er als das „achte Weltwunder” ausgestellt wird. Doch als King Kong der weißen Frau wieder ansichtig wird, wachsen seine Kräfte ins Übermächtige. Er sprengt seine Ketten und klettert mit der Beute, seiner Geliebten, auf das Empire State Building, wo er schließlich von Jagdfliegern erschossen wird. Zuvor aber hat er fürsorglich, zärtlich und traurig die weiße Frau in Sicherheit abgesetzt. Für alle, die es noch nicht verstanden haben, wird es dann im Schlusssatz noch einmal zusammengefasst: „Es waren nicht die Flugzeuge, es war die Schönheit, die ihn getötet hat”.
So hat die Geschichte der Film von Merian C. Cooper und Ernest B. Schoedsack aus dem Jahr 1933 erzählt. „King Kong“, der am 2. März 1933 seine Uraufführung erlebte, war eine Sensation. Technisch, was die Kreation des Riesentiers und seine Beweglichkeit anbelangte. Willis O’Brien begann mit seinen Stop Motion Tricks ein neues Kapitel der Spezialeffekte. Und dasselbe gilt für die Geschichte des Tons. Murray Spivack war der erste Sound-Designer des Kinos: King Kongs Urschrei (zusammengesetzt aus Löwen- und Tigergebrüll, das rückwärts abgespult wurde) und die Geräusche der Dinosaurier (Laute, die aus Tierstimmen eines ganzen Zoos komponiert waren) ließen die Filmtheater erzittern und die Zuschauer erschauern. Und zum ersten Mal wurde ein Film mit einem kompletten eigenen Soundtrack versehen, für den der Komponist Max Steiner verantwortlich zeichnete. Steiner entwickelte die Grundmuster für alle späteren Filmmusiken: Motive, die den einzelnen Figuren zugeordnet werden. Klänge, die den verschiedenen Schauplätzen entsprechen, wiederkehrende Themen und emotionale Stimmungsmalerei, einfach alles, was uns heute im Kino akustisch selbstverständlich scheint, wenn auch in Dolby Surround.
In „King Kong“ wurde einfach das Kino noch einmal neu erfunden. Spektakulär waren auch die Kulissen, die Kämpfe, der Schrecken – und der Sex. Fay Wray wurde als screaming lady oft kopiert und nie erreicht. Vielleicht weil sie schon mitspielte, dass man „King Kong” zugleich als Monster und als Liebesgeschichte sehen konnte. Es war pure Energie, getrieben von dem Wunsch nach Kino-Magie und einer gehörigen Portion Paranoia. Schon bei den Testaufführungen mussten einige Szenen (unter anderem die Schrecken von menschenfressenden Riesenspinnen) geschnitten werden, weil das dem Publikum dann doch zu viel Leinwand- Sadismus war. Und vor der Wiederaufführung fünf Jahre später wurde an dem Film noch einmal kräftig herumgeschnitten; jetzt war vor allem die Szene zu viel, in der der lüsterne Affe der bewusstlosen weißen Frau neugierig die Kleider vom Leib zu zupfen beginnt.
King Kong, das war das Leinwand-Bild für alles, was Angst macht und was doch Faszination ausstrahlt. Später sollte man so was eine „Leinwand- Ikone” nennen. Für so vieles musste der arme Riesenaffe herhalten: Am Tag der Erstaufführung waren gerade nach dem Börsencrash die Banken geschlossen worden: Kong war also vielleicht das Monster der Depression. Oder er war im Gegenteil das Gespenst der rebellischen Massen, so hat es Susan Buck-Morss 2000 in einer Gegenüberstellung von Film-Bildern und politischen Propaganda-Plakaten gezeigt: Wenn man es den Massen zu gut gehen lässt, dann drehen sie durch. Es waren allerdings auch Zeiten der Rassenunruhen: Kong war also vielleicht der große schwarze Mann mit seiner überbordenden Sehnsucht nach der weißen Frau. Und mit der gefürchteten körperlichen Potenz. Ein Stück angewandter Rassismus, aber auch eine Revolte dagegen. In Harlem haben die Zuschauer, so hieß es später, über die Schwarze-Affen-Angst der Weißbrote herzlich gelacht.
Später gab es psychoanalytische Modelle der Interpretation: Ein Affe, der am Empire State Building herumklettert, wenn das nicht mordsphallisch ist. Angst vor zuviel Potenz oder vor der Kastration, ganz klar. Und wenn man Männer nicht zähmt, dann benehmen sie sich wie lüsterne Riesenaffen. Das Mittel zur Zähmung ist die Liebe, einerseits.
Die Geschichte vom Filmteam, das auf der einsamen Insel nach der großen Attraktion sucht, wurde andererseits aber auch als Selbstkritik der sensationsgierigen Traumfabrik gedeutet und der besessene Filmregisseur als klammheimliches Portrait von Kino-Diktatoren wie Griffith oder Stroheim. Oder war der Super-Orang Utan nicht doch eine Metapher auf die Natur, die von der menschlichen Zivilisation unterdrückt und ausgebeutet wird? Oder eine Parabel auf den Kolonialismus?
Und was bedeutet es, dass in Stanley Kubricks Weltkriegsgroteske „Dr. Strangelove“ der Cowboy-Offizier, der am Ende, auf seiner Atombombe reitend, aufs sowjetische Land zu fällt, den Spitznamen „King” Kong trägt?
Es gibt jedenfalls wenige Filme in der Kinogeschichte, die so sehr in die Tiefe, und in die Breite, an der Oberfläche und am Kern analysiert wurden wie Ernest B. Schoedsacks und Merian C. Coopers „King Kong“. Und beinahe alle diese Versuche, dieses schaurige Leinwand-Märchen immer wieder neu zu sehen, haben etwas für sich. Schließlich: Wovon erzählen denn Filme, wenn nicht von Geschlechtern, von Klassen, von Rassen, Kulturen und Familien, von unglücklichen Liebespaaren und verborgenen Wünschen, von rätselhaften Feinden, von Opfer und Erlösung?
Was man an „King Kong“ lernen kann, das ist, wie „richtige” Bilder weit über ihre Story und über ihr Genre hinaus wirken können. Wenn sie zugleich stark und offen sein können. So wie bei „Casablanca“ oder „The Searchers“ oder „Frankenstein“, um ein paar andere unsterbliche Filme zu zitieren, die nie altmodisch werden und nie zu Ende erklärt. Einen solchen Glücksfall gibt es in der Geschichte des Kinos nur einmal für einen Stoff, seinen Hintergrund und seine Künstler. Alles, was nach King Kong kam, war ziemlicher Trash. Schöner Trash wie Cooper und Schoedsacks Nachfolgefilme „Son Of Kong“ (1933) und „Mighty Joe Young“ (1949), billiger Trash in der Serie japanischer Monsterfilme, wo „Kingu Kongu”, einmal als „echter” Affe und einmal als stählerner Roboter gegen Godzilla & Co antreten durfte, oder auch einfach schlechter Trash wie im inoffiziellen Remake „Ape“ (1976) aus Korea, das auch mit ein paar 3-D-Effekten nicht viel attraktiver wurde. Das offizielle Remake, Dino de Laurentiis „King Kong“-Produktion des Jahres 1976, in dem der Affe am Ende statt vom Empire State Building vom World Trade Center geschossen wird und statt der Filmleute eine Öl-Expedition auf die bekannte Insel gelangt (es war die Zeit der ersten Ölschocks), schien, wie so vieles in den siebziger Jahren, schon bei seiner Fertigstellung peinlich antiquiert. Im Jahr 1998 folgte eine quietschbunte Musical-Animations-Variante mit einem grinsenden Schmuse-King Kong, der mit der netten Stimme von Dudley Moore sprach. Von Kuriositäten wie einem indischen King Kong mit Tanz, Gesang und Hindu-Mythen ganz zu schweigen, blieb das schöne Monster von Skull Island immer irgendwie präsent, ohne sich je wieder, pardon, zu alter Größe aufschwingen zu können. Ein Remake, auf der Höhe der digitalen Zeit, war deshalb ebenso nahe liegend wie riskant. Und tatsächlich wurde Peter Jacksons 207-Millionen-Dollar-Produktion, bei der eigentlich nichts falsch gemacht wurde und in der unser computergenerierter Gorilla so lebensecht wie nie zuvor wirkt, auch nicht der erwartete Riesenerfolg im Kino. Dabei hat er durchaus die Qualität eines Neo-Klassikers, wenn vielleicht auch eher im umgekehrten Sinn als Coopers und Schoedsacks Arbeit. Beim originalen „King Kong“ wurde auf allen Gebieten filmisches, technisches und erzählerisches Neuland betreten. Peter Jacksons Remake dagegen wirkt, als hätte jemand alle Möglichkeiten des modernen Blockbuster-Kinos zusammengefasst, auf jedem Sektor nur das Beste, um eine alte Geschichte noch einmal zu erzählen. Mit ein paar Schlenkern und Ausschmückungen versehen, erzählt auch Peter Jackson in seinem neuen „King Kong“ die Geschichte, die Cooper, Schoedsack und Wallace einst ersonnen hatten. Aber der große Moment des originalen Films, der das Trick- und Monsterkino für den Tonfilm neu erfand, lässt sich auch in einer 207-Millionen-Dollar-Produktion nicht wiederholen, die zweifellos den derzeitigen Höhepunkt in der Kunst repräsentiert, computergenerierte und reale Bilder miteinander zu verknüpfen. Zum Teil liegt das am Stoff, der seine Reinheit längs verloren hat und zur Allerwelts-Fabel wie zum Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen geworden ist. Zum Teil liegt das an uns, die wir längst alle Mythen entweiht, ironisch gebrochen und der Spaßkultur der Themenparks geopfert haben. Vielleicht aber liegt es auch an ein paar ziemlich entscheidenden Fehlern, die der Regisseur Peter Jackson gemacht hat.
Trotzdem kann man diesen Film durchaus mögen, nicht nur wegen seiner beeindruckenden CGI-Monster und seines liebevollen Retro-Looks, der Film spielt in den dreißiger Jahren, zur Entstehungszeit des ersten „King Kong“. Auch weil er in seinen Besetzungscoups, Naomi Watts als weiße Frau, Jack Black als übergewichtiger besessener Filmemacher und Adrien Brody als New Yorker Autor, der aus Liebe zum wahren Helden wird, die allzu glatten Lösungen vermeidet. Oder weil er ein paar ironische und sogar mehr oder weniger tiefgründige Abschweifungen einbaut (Joseph Conrads „Herz der Finsternis” als Reise- und Erkenntnislektüre eines jungen Matrosen; der Autor, der zum Schreiben in einen Affenkäfig gesperrt wird; der eitle Schauspieler, der die Verschandelung seines Plakats sogleich als Anregung für die Kreation einer neuen Pose seiner Männlichkeit nimmt usw.). Und weil Jacksons „King Kong“ ein paar tatsächlich poetische Momente enthält, Disneyanismus ohne den Kitsch-Overkill, zum Beispiel in dem fast schon taoistischen Augenblick der Ruhe, da Kong, die weiße Frau zu seinen Füßen, von seinem Bergthron aus weit über das Meer hinausblickt, oder in der Szene, in der sich, kurz vor dem dramatischen Ende, King Kong und seine kleine Geliebte wie Kinder auf einem zugefrorenen See im Park vergnügen, der vom Glanz der weihnachtlich geschmückten Bäume erleuchtet ist. Kitsch muss man können, und Peter Jackson kann Kitsch.
Schön an seinem „King Kong“ ist auch, dass er nach und nach alle die mehr oder weniger „modernen” und besserwisserischen Deutungen verwirft, die der Pop-Mythos in den letzten siebzig Jahren erfahren hat. Die Liebe zwischen King Kong und der weißen Frau ist ganz ohne Obszönität und Freudianismus gezeigt; das Elend der Depressionszeit bringt zwar die Geschichte in Gang, verschwindet dann aber aus der Welt der Reklamelichter, Hochhäuser und Automobile, als wäre während unserer Abwesenheit der Sprung vom Börsencrash zum New Deal geschafft. Der Natur- und Zivilisationsgegensatz wird durch eine simple Szenen-Analogie aufgelöst: Die Sonne über New York ist genau so schön (und wird genau so von Kong und der Seinen betrachtet) wie die Sonne über dem Meer von Skull Island. Bei Peter Jackson ist Kong nicht Ur-Bild des „Äffischen”, das Animalisch-Vormenschliche, sondern ein anatomisch wie behavioristisch einigermaßen getreues Abbild eines Berggorillas. Man fragt sich unwillkürlich: Was hat dieser mächtige, liebenswerte Pflanzenfresser eigentlich mit den Frauen angestellt, die vor der weißen Frau ihm zum Opfer gebracht wurden? Wenn es das ist, was man sich nur denken könnte, nämlich entweder eine sexuelle oder eine kulinarische Perversion, dann kann eigentlich die ganze folgende Geschichte nicht mehr stimmen. Nämlich die einer ganz reinen, ironisch-neugierigen Mensch/Tier-Liebesbeziehung. Vermutlich lieben sich dieser Kong und die weiße Frau in etwa so, wie sich eine Gorillaforscherin und ein Gorilla eben ineinander verlieben, aus einer merkwürdigen Mischung von Beobachtung, Experiment und Kommunikation heraus und mit dem Elan spielender Kinder. Dass Kong männlich ist, spielt höchstens für sein Imponiergehabe eine Rolle. Natürlich kann man sich beim Zuschauen wiederum in diese (vielleicht) unschuldige Liebe zwischen Tier und Mensch verlieben, auch wenn man weiß, dass der Affe nur aus Rechner-Operationen besteht. Das ist schon in Jackson gewaltigem „Der Herr der Ringe“ nicht anders: Im Herzen einer eigentlich doch recht schmerzhaften Abschieds- und Zeitenwende-Geschichte verbirgt er unwiderstehliche Bilder der Versöhnung von Mensch und Natur.
Jackson will einerseits der Originalgeschichte des Films von 1933 einigermaßen treu bleiben. Sein Film ist gleichsam eine gewaltige Rückblende in die Erzählzeit des Originals, damals, als das Pulp Fiction-Wünschen noch geholfen hat. Andererseits aber ist er vermutlich ein ziemlich menschenfreundlicher Kerl, was man sogar an seinem reichlich trashigen aber im Inneren bemerkenswert un-bösen Frühwerk sehen kann, und daher will er sich um keinen Preis auf die moralischen und semiotischen Abgründe des Stoffes einlassen, nichts vom Dunklen und Verbotenen im Mythos sehen, keine Spur von einer Metapher des Rassismus, von Vergewaltigungsphantasie oder „polymorpher Perversität”. Jackson will weder genau wissen, was in der Zeit der Entstehung des Originals an Amerika nicht stimmte, noch sich darauf einlassen, was krank am Leinwand-Mythos „King Kong“ war. Aber ins Liebenswerte gewendet funktioniert das Märchen nicht mehr, weder im ganzen, noch in sei nen Einzelteilen. Erzählen Sie mal „Hänsel und Gretel” mit einer Hexe, die eigentlich ganz lieb war. Zum Beispiel leuchtet der Charakter von Jack Black als besessener Filmemacher und Hasardeur in der ersten Hälfte des Films durchaus ein, ein einigermaßen sympathischer Lügner und Gauner, der dauernd sich und anderen etwas vormachen muss, um „seinen” Film zu bekommen. Nachdem aber die Kamera kaputt gegangen und der Film zerstört ist, verwandelt er sich abrupt in einen ganz allgemeinen, geldgierigen Schurken, der das Untier fangen und ausstellen will, und damit zum eigentlich Schuldigen wird. Nebenfiguren wie der Kapitän des abenteuerlichen Schiffes, der mal als zynischer Seelenverkäufer, mal als Humphrey Bogart-Parodie wirkt, funktionieren überhaupt nicht, auch die Boy/Hero-Geschichte zwischen dem schwarzen Matrosen und seinem jungen weißen Schützling bleibt eine Behauptung, die neben der Geschichte herläuft.
Es wird so viel angefangen in diesem Drei-Stunden- Film, und nur wenig durchgeführt. Er ist entweder viel zu lang oder viel zu kurz; vermutlich werden wir erst auf ein, zwei Special Edition-DVDs die Erzähl- und Bild-Elemente in einer etwas stärker ausbalancierten Form bekommen. Jetzt wollen die einzelnen Zutaten kein sehr großes Ganzes ergeben. Der erste Teil ist ein nostalgisches Erzähl- und Charakterkino. Man lernt Menschen kennen, die zur Zeit der großen Depression in New York überleben wollen, es gibt eine Intrige, durch die der Regisseur seine Mitarbeiter, seine Ausrüstung, den Autor und natürlich die junge Schauspielerin auf das Schiff und auf die Reise trickst. Der Film ist da in seine Figuren und Kulissen so verliebt, dass er nachgerade behäbig wirkt. Mit der Landung auf Skull Island verwandelt sich der Film, ohne dabei eigentlich sein seltsamerweise durchaus gemächliches Tempo zu verlassen, in eine CGI- und Fantasy-Nummernrevue. Und jede Nummer (darunter ein Laufen, Fallen, Stürzen von Menschen und Sauriern durch ein enges Felsental, ein nächtlicher Angriff immer ekligerer Rieseninsekten und -würmer, oder King Kongs Kampf mit Raubsauriern) ist für sich durchaus beeindruckend, aber diese Action- und Computer-Leistungsschauen bleiben in sich geschlossen, im Drama und in den Personen tut sich nichts mehr, schlimmer noch: Figuren, die im ersten Teil so liebevoll entwickelt wurden, dass man sich noch das eine oder andere von ihnen versprochen hatte, laufen jetzt ins Leere. Erst das letzte Drittel ist das bizarre Melodrama, das das Original von der ersten bis zur letzten Einstellung war und führt mit grimmiger Konsequenz auf den grandiosen Liebestod.
In „King Kong“ 1933 wurde aus einem Märchen ein Pop-Mythos. In „King Kong“ 2005 wurde aus einem Pop-Mythos wieder ein Märchen. Aber weil es nun nicht mehr böse sein mag, hat es auch seinen dunklen Reiz verloren. Dafür ist Peter Jacksons Film bestens geeignet für einen Familien-DVD-Abend. Der sympathischste Monster-Film aller Zeiten.
Auch das steckte also in dem alten Affen.
Autor: Georg Seeßlen
Text: veröffentlicht in filmspiegel 04/2006
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