Vietnamkriegsfilme haben ein neues, mächtiges Genre geschaffen. Sie erzählen nichts über den Vietnamkrieg, aber alles über den Zustand des Kapitalismus, von unten und von rechts gesehen. Die Helden des Genres kämpfen nicht gegen einen Feind oder für die eigene Gesellschaft, sie kämpfen immer nur für sich.

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Sicher, sicher: Vietnamkriegsfilme sind lachhaft reaktionär, kindisch brutal und saudumm;
ein paar große, von Michael Cimino, Stanley Kubrick, Oliver Stone oder Brian DePalma sind wenigstens bizarr, widersprüchlich, knietief in amerikanischem Mythenbrei, und bildkräftig: So hat das Kino noch nie den Weltuntergang als Supertrip schildern können; Hubschrauber, Abendröte, brennende Palmen und zerfetzte Menschen. Man malt, wie es wirklich war, nämlich unübersichtlich, wie Gitarre und Stimme von Jimi Hendrix, der die ideale Begleitmusik des Vietnamkriegs schuf: Geräusche über wenige Grundtöne, die von überallher gleichzeitig kommen, und die in der Auflösung der akustischen Topographie Droge und Krieg verschmelzen: das Grauen, die Verschmelzung, das Abheben und die Geilheit; aber all diese großen, bürgerlichen, scheißliberalen Vietnamfilme der Major Companies betrügen sich und uns in ihrer Flucht in den Mythos: Wer diesen Krieg oder was immer das war, gar nicht versteht, kann ihn immer noch als ein Gleichnis verstehen.

Am Hügel 21 greift die große Erzählung nach den GIs, aus denen Hackfleisch gemacht wird, weil man nicht nur mit Menschen und Waffen, sondern auch mit der »Gestalt« des Krieges experimentiert. Die großen, bürgerlichen Vietnamkriegsfilme sind, mal fundamentalistischer, mal moderner, mal alt-, mal neutestamentarischer, vor allem religiös. Die Nicht-Erscheinung des Feindes, die Kämpfe untereinander, der Feuerzauber, die Technologie, die die Funktion von Engeln annimmt, Hubschrauber, die die Helden aus dem Fegefeuer bringen oder nicht, diese lange Reise ins Herz der Finsternis, und irgendwann: die Erlösung. Offensichtlich kann der große Vietnamkriegsfilm von seinem Thema nicht erzählen, ohne sich als ein weißes oder schwarzes Seitenstück zur Bibel zu gerieren. Als wäre dieser Krieg nicht eine weitere Sünde, sondern die Strafe für die Sünden – und das Kino ein Ort der Läuterung und der Absolution für den westlichen Menschen. Bullshit, mit anderen Worten, für den Konsumenten jenes anderen, billigen Vietnamfilms, in dem es nicht um Schuld und Erlösung, nicht um die große Erzählung, sondern um den Körper geht, den Männerkörper genauer gesagt, den die gottverdammte Industrie, die gottverdammten Weiber, die gottverdammte Scheißgesellschaft so entwertet haben; dieser proletarische, starke und zähe Körper, der in den Krieg muß, weil es sonst nichts mehr für ihn zu tun gibt, wo er etwas wert wäre, und der sich, während man sogar den Krieg in Korruption und Showbusiness versinken läßt, in etwas ganz und gar einzelnes verwandeln muss: zurückkehren und alle, alle töten, die Feinde sowieso, aber auch die allfälligen Verräter, die ihm einst die Illusion der »eigenen Reihen« vermittelt haben, bis er allein in der Lichtung des blutigen Dschungels steht. Was dann?

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Es hat Filme über Vietnam gegeben, echte Propaganda mit all ihren Perfiditäten, wie Marshall Thompsons »A Yank in Vietnam« aus dem Jahre 1964, als Lyndon B. Johnson die angebliche Bombardierung von Kriegsschiffen zum Anlaß für die »Vergeltungsschläge« erklärte, oder John Waynes »The Green Berets« von 1968, wo man erste Opposition in der Öffentlichkeit sah (daher zeigt unser hüftlahmer Held, wie man mit kritischen Journalisten umgeht), oder Versuche, den Krieg in Vietnam als Fortsetzung des Western zu beschreiben. Das Modell dafür hat John Ford, der größte Mythopoet des Genres, in »Vietnam! Vietnam!« gelegt, der erst vier Jahre nach seiner Entstehung von der »United States Information Agency« 1971 freigegeben wurde, ein Jahr, nachdem die Nationalgarde auf dem Campus der Kent State University in die Menge protestierender Studenten schoss und vier von ihnen tötete. Der Dokumentarfilm, bei dem Ford einige Schauplätze auswählte und den Schnitt überwachte, hielt sich streng an die Regeln des Western. In »Sight and Sound« kommentierte Joseph McBride: »Die Vietcong sind die Schurken, die Bauern sind die terrorisierten Farmer, und die Amerikaner sind die Gebrüder Earp, die gekommen sind, um das Land zu säubern, damit die anständigen Leute zur Kirche gehen können und Schulen errichten. Solch eine unschuldige Vorstellung von der Gesellschaft ist bezaubernd im archaischen Kontext des Western-Genres, aber verblödend und lächerlich in einer Dokumentation über einen modernen Krieg.« Das schien wohl allen einigermaßen klar zu werden, mit dem Ergebnis, daß dieser Krieg zwar eine ungeheure Bilderflut hervorbrachte, unübersichtlich, grauenhaft und geil auch sie, aber keine Erzählung mehr. Einen Krieg, den man nicht gewinnen kann, kann man endlos weiterführen, auch gegen die eigene Gesellschaft, auch gegen die eigene militärische Kultur, einen Krieg aber, der sich nicht mehr erzählen lässt, kann man nur noch beenden.

Das neue Erzählen von diesem Krieg begann, als er sich historisch erledigt hatte, während die Gesellschaft an sich Wunden entdeckte, die sie ohne weiteres nicht erklären konnte. Warum also nicht von einem Krieg als Verursacher dieser Wunden erzählen, den sowieso kein Mensch verstanden hat, der scheinbar den Lauf der Dinge trotz der Toten, der Wahnsinnigen, der verbrannten und vergifteten Erde um keinen Deut verändert hat, der also nur für sich selber etwas bedeuten konnte? Während er veranstaltet wurde und geschah, wurde, von den erwähnten Versuchen, den Western im Dschungel fortzusetzen und die »alte« Sentimentalität des kriegerischen Männerbundes gegen den »schmutzigen« Feind noch einmal zu mobilisieren, als wäre dieser Krieg eben doch einer wie alle anderen (aber Amerika hat nie einen »richtigen«, einen »ordentlichen« Krieg führen können), abgesehen, eher verschlüsselt von ihm gesprochen, in schmutzigen Western wie »Chatos Land« beispielsweise. Als man ihn beendet und fast schon vergessen hatte, erzählte man von der Gesellschaft als von einer, die vom Krieg gezeichnet wäre. Auf die Unfähigkeit der populären Kultur, den Krieg zu erklären, folgte ihre Fähigkeit, das Unerklärbare mit dem Krieg zu erklären. Nach der Rüstungsindustrie, nach Coca Cola, nach den Drogen-Kartellen und nach den Vätern, die ihre Söhne vor sich sterben ließen, gewann noch einmal die Sinnindustrie am Krieg. Der amerikanische Kriegskorrespondent Michael Herr schrieb, mit großer Geste, wie das Genre sie vorschreibt: »Ich muß immerfort an all die Jungs denken, die durch siebzehn Jahre Kriegsfilme kaputtgemacht wurden, ehe sie nach Vietnam kamen, um für immer kaputtgemacht zu werden.« 1972 begannen siebzehn Jahre des Vietnamkriegsfilms, der die Jungs für etwas kaputtmacht, das wir uns noch gar nicht vorstellen können.

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Primo die Fakten. Nach meiner vorläufigen Schätzung sind in den achtziger Jahren etwa 300 Filme entstanden, deren zentrales Thema der Vietnamkrieg war; 100 davon habe ich gesehen (manche, zugegebenermaßen, mit der Hand an der Schnellauftaste meines Videorecorders), von noch einmal 100 habe ich über Inhaltsangabe, Pressetext, Verleihmitteilung, Pressenotiz etc. Kenntnis, den Rest rechne ich nach den Importquoten der Videobranche hoch. Damit sind keineswegs jene Filme erfasst, in denen etwa der Held als »Vietnamkriegsveteran« vorgestellt wird, was sogar schon in TV-Serien wie »Magnum« dazu herhalten muß, das eine oder andere schwarze Loch in Vita und Person des Helden zu erklären. Das Genre der Vietnamfilme erreichte seinen Höhepunkt in den Jahren 1987 und 1988, in denen jede Woche mindestens einer neu auf den Markt kam. Der Boom ließ auch im letzten Jahr nicht nach, und nachdem für das kommende Premieren von weiteren »großen« Vietnamkriegsfilmen angekündigt sind, die sich als Zeichen- und Themenkatalog und als Zugpferde für die entsprechenden Trash Movies anbieten, darf eine weitere Spitze der Produktion erwartet werden.

Ausgewertet werden die Filme des Genres nur in ihren Spitzenproduktionen in den Kinos der westlichen Metropolen; ihre wahre Heimat ist die (scheinbar) marginale Filmkultur: die Kinos in den Slums der Dritten Welt (Vietnamkriegsfilme haben in den Ghettos der Großstädte von Mexico City, Bogota, Rio de Janeiro, Manila und Nairobi bis zu einem gewissen Grad die Rolle übernommen, die vordem die Kung-Fu-Filme aus Hongkong und Taiwan erfüllten), die Kino-Peripherie im goldenen Westen und vor allem die Videothek als Armengrab der Wünsche. Ein Großteil der amerikanischen Vietnamkriegsfilme entsteht auf den Philippinen. Das Land, sagt der philippinische Regisseur Lino Brocca, sieht längst schon aus wie nach einem wirklichen Krieg. Die Filmbrände haben den Urwald zerstört, die Filmpanzer die Erde gepflügt, die Filmdetonationen Kraterlandschaften erzeugt, die Filmsoldaten haben Prostitution, Verbrechen, Drogen gefördert, das Filmgeld hat die Menschen zerstört. Der einzige Unterschied ist, dass die Menschen nicht erschossen werden, sondern ins Kino gehen. Nachdem eine Reihe der Filme in amerikanisch-philippinischer Coproduktion entstanden waren (die ganz nebenbei alle Ansätze einer regionalen Filmkultur zerstörten), besann sich die philippinische Filmindustrie, mit amerikanischem Geld aufgeheizt, darauf, eigene Vietnamkriegsfilme herzustellen, mit denen der Weltmarkt beliefert wird. Zu den amerikanischen »Originalen« verhalten sich die philippinischen (und andere) »synthetischen« Vietnamkriegsfilme ein wenig wie der italienische zum amerikanischen Western: Es wird der pure Stoff geboten: Folter, Gemetzel, Dschungelkampf, Einzelkämpfer, Vergewaltigung – der entblößte Mann in seinem Körperpanzer mit seiner Maschinenpistole. Vietnamkriegsfilme stellen unterdessen auch die Filmindustrien von Hongkong, Taiwan und Malaysia, gelegentlich in Coproduktion mit den USA oder europäischen Ländern her. Es gibt Vietnamkriegsfilme, in denen Produktionsgelder aus Ländern wie Israel oder der Schweiz stecken, in Schweden werden Vietnamfilme ebenso produziert wie in Großbritannien. Den höchsten Anteil an Filmen des Genres hat jedoch die italienische Filmindustrie.

Der Vietnamkriegsfilm wird also nicht von einer nationalen Cinematographie für einen nationalen Markt produziert (als Linderung eines »nationalen Traumas«, wie unsere lieb-doofe Filmkritik so gern schreibt), sondern beherrscht als Genre die Billigfilmmärkte der Welt, auf denen zum einen im Sinne der amerikanischen Industrie produziert wird, zum anderen aber auch, im Sinne subversiver Imitation, gegen sie. Offensichtlich geht es nicht um Aussagen eines einzelnen Films, sondern um die wiederkehrenden Bilder einerseits, die eine Restauration des Männerkörpers im Fegefeuer sein mögen, um die »Gesamterzählung« vom Verlust des Krieges andererseits. Die Anzahl und der Vertriebsweg der Vietnamkriegsfilme legen nahe, daß seine Konsumenten nach ihm süchtig sein müssen, dass sie immer wieder dasselbe sehen wollen, und dass sie es überall dort sehen wollen, wo der Markt seinen Müll produziert. Die endlosen Variationen um Grundmodelle wie »Rambo« oder »Missing in Action« verdeutlichen schließlich, dass unter der Ideologie der falsch angesehenen Geschichte eine ganz andere Ideologie, die der falsch gesehenen Körper, liegt. Etwas Verlorenes soll da immer wieder aus dem Dschungel geholt werden. Gefangene Freunde, geheime Papiere, verborgene Schätze – alles erweist sich ja doch immer wieder als Betrug. Was soll da wirklich gerettet werden?

Das Publikum des Vietnamkriegsfilms als universales Trash-Genre ist von der Distribution her einigermaßen einfach zu definieren: Es ist der (vermutlich junge) Mann im Zustand einer Marginalisierung, der Verlierer eines Modernisierungsschubs, der auf den Verlust einer möglichen Existenz und Identität innerhalb einer militärischen Kultur, mehr noch der Fähigkeit zur Produktivität in seiner Gesellschaft mit der Militarisierung seines Körpers reagiert. Der Vietnamkriegsfilm ist so etwas wie ein weltweiter Protest und Kommentar zur Privatisierung, Medialisierung und Technologisierung des Krieges, in der an die Stelle der erzählbaren Auseinandersetzung zwischen Nationen und Armeen die unübersichtliche Auseinandersetzung von mafiosen Gruppen tritt, Staaten, die so funktionieren wie Mafia-Kartelle, und Mafia-Kartelle, die wie Staaten funktionieren wollen. Die Helden des Genres kämpfen nie gegen den Feind und für die eigene Gesellschaft, sie kämpfen immer nur für sich selbst; sie schaffen im Dschungelkrieg das Double ihrer Eigenheit.

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Der bürgerliche, religiöse und der proletarische, körperliche Vietnamkriegsfilm bilden dann doch wieder eine Einheit; Zeichen, Situationen und Gesten sind frei konvertierbar; der Titel »Platoon« und die dazugehörigen »Hundemarken« sind unendlich zu vervielfältigen; und so wie in den Schießereien das Problem, so taucht in den Problemen die Schießerei auf; der Kampfhubschrauber wertet das bürgerliche Beziehungsdrama auf, und das Beziehungsdrama den Kampfhubschrauber. »Vietnam« wird zur Erklärung von alledem, was in einem »normalen Leben«, in der »normalen Zivilisation« nicht stimmt, und umgekehrt ist das, was in Vietnam nicht stimmte (warum wir verloren haben, warum dieser Krieg nicht wirklich den Traum erfüllt hat, endlos zu sein), diesem unerträglichen »normalen Leben« und der »normalen Zivilisation« anzulasten. Vietnamkriegsfilme erzählen nichts über den Vietnamkrieg und alles über den Zustand des Kapitalismus, von unten gesehen. Und von rechts, weil es unten nichts Linkes mehr gibt; der Held ist ein rechter Anarchist, Amokläufer in einer Welt der konservativen Korruption, der linken Spießbürgerei; aus Leichen türmt er sich ein Denkmal für einen Vater, den er nicht gehabt hat und schändet im Urwald die Mutter, die gottverdammt mit anderem beschäftigt war, als ihn zu lieben. Der Vietnamkriegsfilm beschreibt einen blutigen Familienroman, die tückischen Portraits der Opfer in der Bildung des universalen Kleinbürgertums, ihre Wiedergeburt als synthetische Krieger, als synthetische Faschisten.

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Der Vietnamkriegsfilm zerfällt einerseits in einzelne Bilder, den um sich schießenden Mann, den gefolterten Körper, die vergewaltigte Frau, den Dschungel mit seinen sinnlos kreischenden Geräuschen, die Hubschrauber, die sich vom verlassenen Mann entfernen, die sauberen Uniformen jenes Traum-Vietcong, der euch auf die Probe stellen will, die Huren, die ins Camp geflogen werden, die Gänge unter der Erde, die endliche Vereinzelung des Mannes. Und andererseits ist er Teil eines großen Epos, das der einzelne Film zugleich mit errichtet und ein wenig verleugnet.

Alle Vietnamfilme erzählen ein Stück (oder mehrere) der mythischen Endlosschleife, in der der Mann im Panzerkörper und mit der Feuerspritze in den Dschungel, den »dunklen Schoß der Erde« geht, verstoßen von einer Gesellschaft, die keinen Platz für ihn hat, die mit den Fähigkeiten seines Körpers nichts anzufangen weiß oder sie ganz und gar wertlos gemacht hat, um als autonome Kampfmaschine wiedergeboren zu werden. Kaum infiziert er sich an Frau, Gesellschaft, Zivilisation, muss er den Vorgang auch wiederholen, immer und immer wieder. Der Held versucht nicht, den Krieg zu gewinnen, sondern ihn zu retten, wenigstens für sich selbst: In seinen Missionen rekonstruiert er immer wieder die kleine militärische Einheit und verliert sich doch immer wieder. Der Krieg ist vorbei, und es gibt nirgendwo Frieden.

Im seltsamsten Subgenre des Vietnamfilms wird der Krieg als professionelles Spiel rekonstruiert; Vietnam wird immer wieder gespielt, mit Farbpatronen und für Siegprämien. Mehr und mehr finden dabei auch die Frauen Vergnügen an diesem Spiel. Aber früher oder später wird aus diesem Spiel Ernst, zum Beispiel, weil sich plötzlich die alten Feinde aus Vietnam wieder gegenüberstehen oder weil wieder einmal die Zivilisten die Regeln des Krieges zersetzen. Und dann beginnt alles wieder von vorn.

Der Vietnamfilm erzählt von der Zukunft der Arbeit, vom Verschwinden des Körpers aus Produktion und Geschichte, von der Abschaffung einer Klasse und davon, daß das alles so einfach nicht gehen wird.

Autor: Georg Seeßlen

Text veröffentlicht in konkret 02/1990