Ex-taz-Chefredakteurin Bascha Mika hat ein Buch über feige Frauen geschrieben. Ein Gespräch über weibliche Bequemlichkeit, männliche Systeme und Mikas eigene Feigheit
taz: Frau Mika, in Ihrem Buch sagen Sie, Frauen seien feige, bequem und vermaust. Für wen haben Sie das Buch geschrieben?
Bascha Mika: Ich wende mich an die gut ausgebildeten Frauen. Sie haben heute die größten Wahlmöglichkeiten und damit auch eine größere Verantwortung für ihr Leben.
Die sie aber in Ihren Augen nicht wahrnehmen.
Frauen verbauen sich viele Chancen, weil sie sich freiwillig unterordnen. Das geht schon sehr früh los, bereits zu Beginn einer Liebesbeziehung übernehmen sie häufig die Prioritäten ihrer Männer. Beispielsweise indem sie fast immer die größere Verantwortung für den gemeinsamen Haushalt schultern. Oder dass es Frauen sind, die ihren Männern folgen, wenn die in einer anderen Stadt einen Job bekommen.
Das trifft sicher nur auf wenige Frauen zu.
Schön wär’s. Was Hausarbeit angeht, sprechen alle Untersuchungen eine andere Sprache. Und mir geht es ja um Frauen, die ein selbstbestimmtes Leben führen wollen, die unabhängig, frei und gleich sein wollen. Aber diesem Anspruch an sich selbst werden sie häufig nicht gerecht.
In Ihrem Buch sprechen Sie von „allen Frauen“.
Von allen Frauen spreche ich nur im Zusammenhang des männlichen Systems. Weil wir alle dieses System auf die ein oder andere Art stützen. So eine Verallgemeinerung ist notwendig, um die überindividuellen Muster in unserem Verhalten aufzudecken. Dabei geht es mir um eine Ansprache auf Augenhöhe. Das „Wir“, das ich im Buch häufig verwende, ist also ein Angebot zu einem Dialog untereinander.
Mit wie vielen Frauen haben Sie gesprochen? Mit dreißig oder mit hundert?
Um Himmels willen, ich habe doch keine Umfrage gemacht. Aber da ich mich seit fast fünf Jahren mit dem Thema beschäftige, habe ich – auch öffentlich – bestimmt mit hunderten Frauen diskutiert und geredet. Die Geschichten, die ich erzähle, sind ein kleiner Ausschnitt daraus. Sie sind nicht repräsentativ im Sinne einer wissenschaftlichen Erhebung, sondern stehen beispielhaft. Das ist ein Unterschied.
Tatsächlich?
Selbstverständlich. Denn es sind individuelle Geschichten, an denen sich aber überindividuelle Muster zeigen.
Was war der Ausgangspunkt Ihrer Recherche?
Vor einigen Jahren wurde ich von einer Uni zu einer feministischen Ringvorlesung eingeladen. Bereits damals nannte ich meinen Vortrag „Feige Frau“. Ich hatte erwartet, dass ich von den Zuhörerinnen Schläge kriege, aber das Gegenteil war der Fall: Viele Studentinnen sagten mir, dass meine Thesen sie nicht aufregen, sondern zum Nachdenken anregen.
Sie beschreiben in Ihrem Buch Mittelschichtsfrauen aus dem Westen. Ostfrauen, die vielfach anders leben, kommen bei Ihnen nicht vor.
Im Osten sind die Frauen meistens tatsächlich anders gestrickt. Ich habe mich aber bewusst dagegen entschieden, sie als besondere Gruppe zu beschreiben, weil sie rein quantitativ leider nicht so sehr ins Gewicht fallen.
Die Protagonistinnen im Buch sind anonymisiert. Warum?
Das war der Wunsch der meisten Frauen. Hier geht es ja um sehr persönliche Geschichten. Und da ist es verständlich, wenn die Protagonistinnen nicht mit ihren privaten Erlebnissen in der Öffentlichkeit stehen wollen.
Warum haben Sie nicht mit Männern gesprochen?
Hab ich ja. Unter anderem mit den Experten, die ich zitiere. Aber Männer interessieren mich in diesem Zusammenhang kaum. Wir wissen doch fast alles über das männliche System.
Sie sagen, Frauen rücken freiwillig hinter Männer. Wäre es nicht interessant, zu erfahren, wie Männer das sehen?
Es ging mir um das, was Frauen über ihr Leben erzählen, was sie selbst als ihre Wahrheit und ihre Realität beschreiben. Die will ich nicht von Männern hören.
Entlassen Sie die Männer aus ihrer Verantwortung?
Quatsch! Wenn sich Frauen in ihrem persönlichen Umfeld der traditionellen Rolle verweigern, werden sich Männer noch umsehen. Aber das sind zwei völlig verschiedene Aspekte. Ich will ja die Frauen erreichen und nicht die Männer.
Haben Sie ein klassisches Frauenbuch geschrieben?
Wenn Sie so wollen, ja.
Wird es die Republik verändern?
Es wäre schon toll, wenn es eine Debatte auslöst, die wir meiner Meinung nach dringend führen müssen. Ich rechne damit, dass ich mir jede Menge Widerspruch einhandle. Aber auch der ist wichtig. Wir haben lange über die Strukturen geredet, das müssen wir auch weiterhin tun. Aber wir brauchen darüber hinaus eine neue Perspektive. Denn der subjektive Faktor spielt eben auch eine Rolle. Er ist einer der Gründe dafür, dass sich die Verhältnisse so wenig geändert haben.
Der Gleichstellungsbericht der Bundesregierung, der gerade veröffentlicht wurde, zeigt deutlich, dass es Strukturen sind, die Frauen daran hindern, Karriere und Familie zu vereinbaren.
Richtig. In bestimmten gesellschaftlichen Bereichen, zum Beispiel wenn es um den Aufstieg im Beruf geht, sind die Strukturen so stark, dass Frauen da kaum etwas machen können. Aber es gibt eben auch ihr privates Umfeld, da können sie durchaus etwas ändern.
Was?
Es geht immer um die Frage: Sind Frauen und Männer in ihrer Partnerschaft auf Augenhöhe oder folgen sie den traditionellen Mustern? Im modernen Diskurs zwischen Paaren heißt es, dass man alles gerecht teilen will. Aber heraus kommt dann doch immer wieder die alte Kiste.
Die eigentlichen Probleme beginnen, wenn Kinder kommen.
Ja. Aber warum stecken denn immer die Frauen zurück? Warum sagen sie nicht: So, Schatz, jetzt reduzieren wir beide von Vollzeit auf Teilzeit?
Warum machen Frauen das nicht?
Aus Angst vor Konflikten. Konflikte stören die Harmonie, möglicherweise die Versorgung und die Liebesbeziehung. Das alles könnten Frauen im Ernstfall verlieren.
Sie waren elf Jahre lang Chefredakteurin der taz und stehen damit für einen anderen Lebensentwurf.
Ich war nie ausschließlich auf den Beruf konzentriert. Zwar habe ich immer viel gearbeitet, aber meine Beziehungen waren mir sehr wichtig.
Können Sie uns ein Beispiel geben?
Ich habe nicht laut „Hier!“ geschrien, als es um die Besetzung der taz-Chefredaktion ging. Sondern gewartet, bis ich gefragt wurde. Obwohl ich davon überzeugt war, dass ich es konnte.
Waren Sie feige?
Ja. Nicht über den eigenen Schatten springen zu können ist für mich Feigheit. Ich dachte damals, ich mache mich angreifbar, wenn ich mich hinstelle und sage: Ich will!
Warum?
Wer sich in den Ring begibt, fordert auch die Gegner heraus. Ich kann nur sagen: Mein Verhalten war typisch weiblich. Und typisch weiblich reagiere ich auch an anderen Stellen.
Haben Sie Ihre „weiblichen Elemente“ während Ihrer taz-Zeit hinter sich gelassen?
Ich habe viel gelernt. Ich stand damals in der ersten Reihe, da blieb mir nichts anderes übrig, als zu sagen: Entweder ich mache den Job, dann bin angreifbar und muss das aushalten. Oder ich verzichte. Es war eine der größten Mutproben meines Lebens, die taz-Chefredaktion war damals ein Kamikaze-Unternehmen. Und es gab kaum jemanden aus meinem Umfeld, der mir zugeraten hat. Fast alle, vor allem meine Freundinnen, haben mich gewarnt. Häufig mit dem schönen Frauenspruch: Warum willst du dir das antun?
Bestätigt die Zeit in der taz Ihre These, dass Frauen feiger sind als Männer?
Nicht feiger. Ich setze Frauen nicht ins Verhältnis zu Männern.
Zu wem setzen Sie „die Frauen“ dann ins Verhältnis?
Zu ihren eigenen Ansprüchen. Und die taz ist ein Ausschnitt der Gesellschaft. Aber es gibt Abweichungen: taz-Väter gehen überdurchschnittlich oft in Elternzeit und taz-Frauen überdurchschnittlich oft in die Chefredaktion. Die taz ermöglicht es wesentlich mehr Frauen, mutig zu sein. Trotzdem ist die taz kein Hort der Emanzipation. Die männlich dominierten Strukturen sind dort genauso spürbar wie anderswo. Und es gibt auch taz-Frauen, die freiwillig zurückstecken.
Wie sieht denn die Frau aus, die nicht feige, bequem und vermaust ist?
Ich habe keinen Ratgeber geschrieben, ich kann also auch keine Tipps geben. Aber es würde mich sehr freuen, wenn eine Frau sagt: Ich will eine gleichberechtigte Beziehung auf Augenhöhe führen. Und wenn es um Entscheidungen geht – selbst bei so alltäglichen Dingen wie Hausarbeit -, versuche ich, so zu handeln, dass ich meinen Ansprüchen gerecht werde. So was ganz Schlichtes.
Interview: Simone Schmollack und Ines Kappert
erschienen in taz, 07.02.2011
Bascha Mika war von 1999 bis 2009 taz-Chefredakteurin. Seitdem ist sie Publizistin und lehrt an der Berliner Universität der Künste. Jetzt erscheint ihr Buch “Die Feigheit der Frauen”.
Bascha Mika: Die Feigheit der Frauen
Rollenfallen und Geiselmentalität. – Eine Streitschrift wider den Selbstbetrug
Verlag: C. Bertelsmann Verlag, 256 Seiten, 14,99 EUR
bei amazon kaufen
- Die „Flüchtlingskrise” ist keine Krise der Ressourcen, sondern eine des Willens. Sie ist inszeniert. Warum bleiben die HelferInnen politikabstinent? - 6. November 2015
- Behörden und Geflüchtete: In diesen Tagen wird die Ineffizienz, Inkompetenz und soziale Verwahrlosung deutscher Behörden deutlich. - 12. August 2015
- Ein schwerverletzter Syrer will sich in Berlin operieren lassen. Nach einem Jahr gewährt das Auswärtige Amt endlich ein Visum. - 4. Juni 2015
23. Februar 2011 um 22:07 Uhr
Frau Mika sagt, sie möchte eine Debatte. Und:
„Männer interessieren mich in diesem Zusammenhang kaum. Wir wissen doch fast alles über das männliche System.
Es ging mir um das, was Frauen über ihr Leben erzählen, was sie selbst als ihre Wahrheit und ihre Realität beschreiben. Die will ich nicht von Männern hören.“
Sie möchte also mit Frauen debattieren. Wie immer, deshalb und genau deshalb wird es nicht vorwärts gehen. Nicht mit dieser Generation.
Grüße!