Dieses Buch ist ungerecht, einseitig, wütend und in seiner Konzentration auf das Hässliche im Menschen kaum zu ertragen. Von einem „Roman-Dokument des Lebens als Ehehölle“ sprach Thomas Mann, als Ludwig Lewisohns „Der Fall Crump“ 1928 zum ersten Mal auf Deutsch erschienen ist.
Ein Roman zwar, sagte Thomas Mann, aber einer, der erahnen lässt, dass es um „krasse, ungeträumte Wirklichkeit“ geht und der „einem Schrei verzweifelt ähnelt“ – nun gibt es eine neue Übersetzung.
Tatsächlich fragt man sich, welches Ehe-Grauen jemand durchgemacht haben muss, um so ein Buch zu schreiben. Es handelt vom Leidensweg des jungen Musikers Herbert Crump, der vor einer großen Zukunft als Komponist steht. Ein Künstlerroman könnte so beginnen. Dann aber tritt Anne auf, verheiratet, drei missratene Kinder und 20 Jahre älter als er.
Anne ist das Zerrbild einer Frau, geifernd, verlogen, hässlich und verschwenderisch, und doch gelingt es ihr, ihn zu verführen, zu binden, zur Heirat zu drängen und ihn nach allen Regeln der Kunst in Abhängigkeit zu stürzen. In langen, bitteren Jahren richtet sie ihn mit ihrer Eifersucht, ihrem Geltungsbedürfnis, ihrem eigenen Verfall und ihrem bösartigen Hass zugrunde.
Die finale Tat mit dem Schürhaken ist absehbar, schließlich verspricht ja schon der Titel einen Kriminalfall. Das Kapitel, in dem die beiden zusammentreffen und heiraten, heißt „Die Katastrophe“, während das Kapitel „Krise“ erst nach rund zehn grauenvollen Ehejahren beginnt. Da ist für Hoffnung kein Platz vorgesehen, allenfalls in der Kunst. Denn Herbert verliert nie ganz die Fähigkeit, aus all seiner abgrundtiefen Verzweiflung wenigstens noch künstlerische Produktivität zu schöpfen. Während er sich als lebendiger Mensch vernichtet und emotional ausgelöscht fühlt, feiert er mit seinen Kompositionen immer größere Triumphe.
Dass Herbert Anne nicht anders als durch den erlösenden Totschlag loswerden kann, hat mit rigiden Moralvorstellungen und Scheidungsgesetzen der amerikanischen Gesellschaft des frühen 20. Jahrhunderts zu tun. Es liegt aber auch und vor allem an seiner eigenen Schwäche, dass er sich aus Angst vor der öffentlichen Meinung immer wieder von ihr erpressen lässt. Man kann dabei an Strindbergs Ehehöllen denken, und es ist auch nicht verwunderlich, dass Sigmund Freud von dieser psychologisch genauen Studie seelischer Abhängigkeit und einer über Jahre angestauten Wut beeindruckt war.
Ludwig Lewisohn wurde um 1880 herum als Sohn jüdischer Eltern in Berlin geboren – das genaue Geburtsjahr ist unbekannt. Die Familie emigrierte 1890 in die USA, wo Lewisohn, antisemitischer Vorbehalte zum Trotz, englische Literatur studierte und sich einen Namen als Journalist, Lektor, Erzähler und Übersetzer aus dem Deutschen machte. Seine Universitätslaufbahn ging 1917 zu Ende, weil er sich als Deutschstämmiger während des 1. Weltkrieges zunehmend isoliert sah.
Seine Ehe ging Anfang der 20er-Jahre in die Brüche. Er musste, wie auch sein Romanheld, die gesetzlich vorgeschriebene Trennung anstelle einer Scheidung akzeptieren und Abfindungen zahlen und ging im selben Jahr mit einer seiner neuen Lieben, einer jungen Sängerin – auch dies ist im Roman wiederzufinden – nach Europa. Seine Ehefrau verhinderte lange Zeit die Rückkehr in die USA. „Der Fall Crump“ durfte dort – ähnlich wie auch der Ulysses von James Joyce – aus moralischen Gründen nicht erscheinen. Als das Buch 1946 endlich herauskam, wurde es ein Millionen-Bestseller.
„Der Fall Crump“ ist, wie Thomas Mann richtig sagte, als Dokument zu lesen. Man braucht jedoch gute Nerven, um diese Hölle durchzustehen. Der auktoriale Erzähler gewinnt keinen Millimeter Distanz zu seinem bedauernswerten Helden und bringt für die xanthippenhafte Ehefrau keinen Funken Sympathie auf. Man kann diese Einseitigkeit als künstlerische Schwäche sehen. Sie ist aber zugleich die Stärke dieses Buches, das einen mit seiner Wut und seinem langsamen, todsicheren Vernichtungswillen in den Bann schlägt.
Text: Jörg Magenau
aus: Radiofeuilleton, Kritik, © 2011 Deutschlandradio, (20.01.2011)
Ludwig Lewisohn: Der Fall Crump.
Roman. Aus dem Amerikanischen von Christian Ruzicska.
Secession Verlag für Literatur, Zürich 2010,
400 S., 24,95 Euro
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