SUPER MARIO BROS., der Film, ist Teil einer gigantischen Medienmultiplikation. Ihr Ursprung ist ein Computerspiel, das bislang so ziemlich alle Rekorde im Verkauf gebrochen hat. 100 Millionen mal soll die Erstversion verkauft worden sein. Von einem der NachfolgerSpiele, „Super Mario Land 2″, sind allein in Deutschland bislang eine Million Exemplare abgesetzt worden. Das Prinzip des Spieles ist relativ einfach: es ist ein Jump-and-Run-Game, bei dem man die Gegner nicht durch martialisches Geballer, sondern einfach durch gezieltes Draufplumpsen erledigt. Entwickelt wurde es aus den Computerspielen „Jumpman“ und „Donkey Kong“, die eine Zeit lang die beliebten C-64-Homecomputer beherrschten, bis Nintendo mit seinen Spielkonsolen und dem tragbaren Gameboy den Markt eroberte.
Die Hauptfigur des Computerspiels ist ein italienischer Klempner aus der Bronx, klein, knubbelig, schnauzbärtig und großäugig, ein Antiheld, in dessen Abenteuer man einiges vom Alltagsfrust hineinpacken kann. Dass es bei seinen Kämpfen mit allerlei Spinnengetier, explodierenden Pilzen und sonstigem familiärem Alptraumgebilde auch um die Rettung der üblichen Prinzessin geht, macht aus „Super Mario Bros.“ so etwas wie ein gespieltes Märchen, und sein Held hat ein wenig mehr„ Seele“ als es die ansonsten eher abstrakten und reduzierten Spielfiguren zu haben pflegen. Und anders als die Baller- und Freßspiele ist Mario nicht auf nur einen einzigen, infantilen Reflex reduziert, sondern durcheilt als digitaler Abenteurer immer neue Ebenen eines vielleicht unendlichen Labyrinths im Herzen des digitalen Kosmos. Er stirbt beständig, um sofort darauf wiedergeboren zu werden, und er ist dabei so stoisch wie ein alter Westerner. Aus simplen Formen und Primärfarben (blau und rot) setzt sich ein Heldlein zusammen, das geschaffen scheint, die Grenzen zwischen der digitalen und der analogen Wahrnehmung zu überschreiten. Das macht ihn zum idealen Modell für den medialen Transfer: Mario-Comics lassen sich ebenso verkaufen wie Mario-T-Shirts, eine populäre Zeichentrickserie hat mittlerweile auch den deutschen Bildschirm erreicht, und Mario rührt die Werbetrommel für so ziemlich alles, was sich ein Kinderherz in der freien Marktwirtschaft wünschen soll. Die Produktion eines Realfilms war also nur eine Frage der Zeit, aber ein Konzept dafür zu finden, erwies sich als fast unmöglich. Sollte man versuchen, die ästhetischen Strategien von Computerspiel und Film einander anzunähern, etwa als Vorahnung einer neuen Generation interaktiven Medienkonsums? Sollte man nur das Netzwerk der medialen Multiplikation nutzen, um weitere Bereiche für die „Mario“-Werbung zu besetzen? Oder sollte man einfach einen hübschen kleinen Fantasy-Film mit komödiantischen Tönen machen, für dessen Promotion gleichsam selbstverständlich gesorgt war?
Im fertigen Produkt steckt von allem ein bisschen. Möglicherweise spiegeln sich in den chaotischen Produktionsbedingungen (von den insgesamt fünf beteiligten Regisseuren haben die Schöpfer von MAX HEADROOM, Rocky Morton und Annabel Jankel, schließlich die Credits behalten) die Interessenkollisionen zwischen Spiel- und Film-Produktion. Dass der Film schließlich zum ökonomischen Riesenflop wurde, beweist noch einmal, wie problematisch der Transfer eines Erfolges aus einem Segment der Unterhaltungsindustrie in ein anderes sein kann.
SUPER MARIO BROS. spielt zu Beginn mit dem Gegensatz von Computertechnik und Märchen, und dabei zeigt er schon von Anfang an seine Unentschlossenheit, sein mutloses Vorgehen. Während des Vorspanns hören wir jene reduzierte Jingle-Musik, die wir vom Spiel her kennen, aber gleich darauf hebt eine Stimme in leicht ironischer Übertreibung von der Urzeit zu erzählen an, in der die Saurier die Erde bevölkerten, und wir sehen einen Urwald. Eine Zeichentricksequenz folgt, in der ein Stinktier vor Sauriern erschrickt. Dann ist wieder der Wald zu sehen, dann die Schrift „Brooklyn“, und kurz darauf erscheint die Unterzeile „65 Million Years Ago“. Der bekannte Komet schlägt ein, und: „Goodbye Dinosaurs!“ Aber, so werden wir während eines ziemlich simpel ausgeführten „Falls“ durch allerlei Erdspalten aufgeklärt, es wurde eine Parallelwelt geschaffen, in der die Saurier überlebten bis zum heutigen Tag. Und nach dem Titellogo sind wir in „Brooklyn. 20 Years Ago“. Ganz gothischer Horror nun, Regen, Farben wie in einem von Cormans Poe-Filmen, abstürzende Violinen, ein hohes Kirchenportal, zu dem eine Frau eilt und etwas hinlegt. Blitz und Donner, eine Gestalt in Schwarz öffnet die Tür und nimmt das Bündel an sich, die Frau verschwindet in der Kanalisation, Nonnen betrachten das Ei aus Stein, das sie aus seiner Umhüllung nehmen, die Frau läuft im Gegenlicht durch einen Kanal, wird von Dennis Hopper erwartet (kreisch!), das Gebälk stürzt ein, Schnitt, das Ei bricht auf, der Blitz zuckt durch das bunte Christus-Kirchenfenster, eine Babystimme ist zu hören, hinter einer Batterie von Kerzen sehen wir ein Neugeborenes. Die Nonne hebt einen Kristall hoch, es blitzt – Schnitt: „Brooklyn Now“. Und jetzt kann der Film beginnen.
Gewiss, so kann man erzählen, es ist das Prinzip eines Videoclips, die kondensierte Story, die alle „epischen“ Momente auslässt, um „Bedeutungen“ im Crash-Kurs gegeneinander zu jagen. Eine Unzahl verschiedener Stilelemente werden in kurzer Zeit ausprobiert, aber anders als bei Monthy Python schlägt daraus kein Funke. Die nächsten Einstellungen, zum Ton eines Fernseherzählers, führen in das Heim des Helden: Gummisauger zum Rohrreinigen hängen da an der Wand wie anderswo Jagdgewehre. Bob Hoskins als Mario nimmt einen Auftrag an. „Just leave it to the professionals“, sein Bruder Luigi schaut auf den Fernseher. Dass sie ein gebrochenes Spülbecken reparieren müssen, erzählt Mario so, als wär’s die Chance ihres Lebens. Die nächsten Szenen gehören einer aufgeregten Autofahrt.
Auch dieses Prinzip ist schnell klar: durch die überlappenden Dialoge, die hektischen Bewegungen seiner Protagonisten und den kurzen Schnitt möchte der Film zugleich eine enorme Geschwindigkeit vorlegen und seine mehr oder minder komischen Details ausstellen. Damit aber begibt sich der Film in eine neue Zwickmühle, zumal die Geschwindigkeit durch den Plot nicht aufgefangen wird und man sich daher bald in einer hektisch-leeren Bewegung wähnt. Die kleinen Eigenheiten und Spleens, auf die wir beständig gestoßen werden, werfen keine wirklichen Pointen ab. Wir stecken in einem Film, der uns zugleich mit seiner Geschwindigkeit unter Druck setzt und durch seine inhaltliche und formale Reduktion langweilt. Weil Rocky Morton und Annabel Jankel, durchaus legitim, aber eben etwas kraftlos, ihren Film aus lauter Bildern zusammensetzen, die man aus anderen Zusammenhängen kennt, wird gerade das Element des Spiels zerstört, das seine Attraktion ausmacht, das Prinzip der Entdeckung.
Der Vorteil eines Videospiels ist es, dass man sich alles Mögliche an die Stelle der Widersacher denken kann; die Spielfiguren sind Fragmente einer eigenen blitzrasch gebildeten und wieder zerfallenden Mythographie. Das Spielen ist ein Versuch, eine eigene Ordnung in einem semantischen Chaos zu errichten, das seine eigene Lust provoziert. Ersetzt man nun dieses semantische Chaos auf dem Computerbildschirm durch menschliche Darsteller, die nicht gegen ihre Konvention spielen, sondern in ihrer Erfüllung (neben Hoskins liefert auch Dennis Hopper als Bösewicht King Koopa genau das, was man von ihm erwartet), dann helfen weder Tempo und konstant hoher Geräuschpegel noch Spezialeffekte: Die Sache wird langweilig.
Über diesem entscheidenden Fehler der Methode, der eine fatale narrative und darstellerische Ordnung über das Anarchische des Spiels legt, läßt sich leicht übersehen, dass es in diesem Film auch einige hübsche Regieeinfälle und recht unterhaltsame Szenen gibt. Die wiederum täuschen aber auch nicht über ein gerütteltes Maß an Schlampigkeit, schlechte Anschlüsse und Bildfolgen hinweg, in denen keinem irgendetwas Kreatives eingefallen zu sein scheint und in denen man das Allerdümmste versuchte, nämlich die Story, die sowieso niemanden wirklich interessiert, linear weiterzuentwickeln. SUPER MARIO BROS. hat immerhin 40 Millionen Dollar gekostet, und mit diesem Geld hat man nicht nur die Stars bezahlt, sondern auch die Chance für einen kleinen, charmanten B-Film zerstört, in dem die Mischung aus Dilettantismus und Kinderphantasie ganz bestimmt viel fröhlicher ausgefallen wäre.
Autor: Georg Seeßlen
Text veröffentlicht in epd film
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