Das wiedergefundene Zuhause
Die Iranerin Parsua Bashi zeichnet mit ihren Briefen aus Teheran ein differenziertes Bild vom Alltagsleben in Teheran

Die Oppositionsführer Moussawi und Karrubi stehen unter Hausarrest, der kritische Filmemacher Dschaafar Panahi ist zu sechs Jahren Haft verurteilt, die grüne Bewegung gegen Ahmadinedschads „Wahlsieg“ im Sommer 2009 wurde niedergeknüppelt und noch immer werden Frauen gesteinigt. Selbst wenn die rigiden Repressionen im Iran derzeit darauf hindeuten sollten, dass die Machthaber in Teheran stärker unter Druck sind, als sie vielleicht zugeben wollen – von außen gesehen scheint das Leben in dem gefürchteten Land im Nahen Osten genau dem zu gleichen, als das es seit dem Sieg der Islamischen Revolution 1979 hingestellt wird: einem großen Gefängnis.

Da kommen Parsua Bashis „Briefe aus Teheran“ gerade recht, um sich ein authentisches Bild vom Leben im Iran zu machen. Nicht nur weil sich die 1966 in Teheran geborene Autorin und Grafikerin in ihren kurzen Alltags-Skizzen um Bereiche kümmert, die in den Abendnachrichten hierzulande nicht vorkommen – vom Taxifahren bis zum Liebesleben. Schon ihren widerspenstigen und kritischen Ton würde man in einem Gefängnis eigentlich für unmöglich halten. Bashi macht sich über „Doktor Präsident“, Mahmut Ahmadinedschad, und seine Warnung lustig, wegen der „Zunahme der Sünde“ könnte Teheran mit einem Erdbeben gestraft werden. Und sie wirft der Regierung gefälschte Statistiken vor. Dazu bedarf es Mut. Schließlich lebt Bashi nicht im Exil, sondern mitten in Teheran.

Für die Ankläger des „Gottesstaates“ Iran liefert „Briefe aus Teheran“ vor Gericht nur begrenzt verwendungsfähige Beweise. Glaubt man nämlich Parsua Bashi, führt sich die Islamische Revolution immer wieder selbst ad absurdum, so rigide, wie sie ihre religiöse Ideologie verfolgt. So bewirkte beispielsweise der Schleierzwang, dass sich junge Frauen, die sich unter dem Schah nicht in so verrufene Institutionen wie Theater oder Universitäten gewagt hätten, nach 1979 dort ohne Probleme hinkämen. Die Folge: Die islamistischen Hardliner hatten plötzlich Mühe, den rapide gestiegenen Frauenanteil unter den Studierenden wieder herunterzufahren. Und es gibt es in dem Land, das von außen wie ein besonders krasser Fall von Totalitarismus aussieht, offenbar erstaunlich viele Freiräume.

Damit meint Bashi nicht nur die Möglichkeiten, das Alkoholverbot zu umgehen. Wenn sie schildert, wie sie bei Nacht und Nebel mit Hilfe von Möhren, Benzinkanistern und Nylonstrümpfen Wein panscht, bekommt das Buch Züge absurder Komik. Folgt man Bashi, haben sich fast alle Zweige der Kultur in „Orte der Meinungsäußerung“ verwandelt. Die Künstler hätten seit den Jahren des liberalen Präsidenten Chatami „gelernt, unter allen Umständen und trotz aller Beschränkungen das zu sagen, was sie wollten, sei es auf der Bühne, beim Layouten von Theaterbroschüren, Buchumschlägen und CD-Hüllen oder in der Musik“. Ein Befund, der wenig zu dem Bild von der Friedhofsruhe passt, die man mit dem Iran verbindet.

„Briefe aus Teheran“ ist mitunter etwas hastig geschrieben. Durch ihre subjektive Perspektive gelingt es Bashi aber, die aus fast allen Diktaturen bekannte Dialektik von Unterdrückung und Gegenwehr zu entfalten. Man ist versucht, ihre Briefe als neuerlichen Beleg für die heikle These zu werten, dass Kreativität besonders im Widerstand gegen Unterdrückung erblüht. Bashis Beschreibung der Tricks, mit denen sich Kulturschaffende unter der Zensur durchmogeln und dennoch ihre Botschaften an den Mann und die Frau bringen, erinnert an die Funktion der Kunst als Ersatzöffentlichkeit in der DDR. Die Broschüre für ein Theaterstück, bei deren Gestaltung sie die Vorgaben des Kulturministeriums berücksichtigen musste, glich am Ende „einem kodierten Geheimbuch, dessen kompliziertes Alphabet nur die Zuschauer und wir zu enträtseln vermochten.“

Bashi spricht zwar von der „negativen Energie, die sich durch das Leben in Teheran in einem ansammelt“. Dazu Die speist sich aus der jederzeit mobilisierbaren Macht des Regimes. Fast mehr erbost scheint Bashi aber über die alltäglichen Zumutungen der 15-Millionen-Metropole zu sein. Einer Stadt, in die die Menschen wegen der horrenden Mieten, dem lebensgefährlichen Verkehr und dem allgegenwärtigen Lärm und Dreck „das Lächeln verlernt“ haben. So wenig wie sie selbst käme aber auch ihre 19-jährige Tochter auf die Idee, auszuwandern. Der diplomierten Malerin entlockt Bashi ein paar aufschlussreiche Details über das Leben der jüngeren Generation: Ihre Vorliebe für Fastfood, zerfetzte Jeans und tätowierte Augenbrauen. Doch so verwestlicht diese Kids auch scheinen mögen. Das gelobte Land selbst, aus dem diese Errungenschaften stammen, lockt sie nicht. Das Leben dort, besonders in der Schweiz“, gibt Aabi zu Protokoll, „langweilt mich“.

Europa generell schreckt diese junge Frau ab, weil sie es „kalt und ernst“ findet. Und auch ihre Mutter, die wegen ihrer Liebe zu einem Musiker fünf Jahre in Zürich gelebt hat, bevor sie im letzten Jahr nach Teheran zurückkehrte, will nicht wieder in den Westen. An dem brutalen Moloch Teheran schätzt sie zwar, dass es einem in der „flussähnlichen Stadt … nie an Antriebsenergie“ mangele. Trotzdem würde sie ihn für ein Haus den Bergen vielleicht schon den Rücken kehren, denkt sie sich beim gemeinsamen Ausflug mit einer Freundin in das nordiranische Dorf Jusch, in dem einer der größten iranischen Dichter begraben liegt. Die „Emigration“ in dieses kleine Naturidyll kommt Bashi aber „immer noch tausendmal besser als das Heimweh, das Gefrieren des Herzens und der Gedanken im bequemen und prosperierenden Westen“ vor.

Natürlich leidet sie an dem Fehlen von Demokratie und Menschenrechten. Und der ebenso energischen wie emanzipierten Freiberuflerin würde man noch am ehesten so etwas wie „Widerstand“ dagegen zutrauen. Bei der Generation, die ihr nachfolgt, sieht das ganz unterschiedlich aus. „Weder möchte ich die Welt verändern noch Widerstand leisten, um sozusagen meine „Rechte wiederzubekommen“, wehrt Aabi im Interview ab, als es um die Sittenpolizei und die Staatssicherheit geht. Dagegen würde die 25-jährige Pharmazeutin Schirin, von Bashi über die Aufstände gegen Ahmadinedschad befragt, bei denen sie aktiv war, weiter für die Demokratisierung kämpfen. Während ihr drei Jahre älterer Freund Sina nach den frustrierenden Protesterfahrungen „nicht bereit (ist), für meine politischen Überzeugungen noch weitere Opfer zu bringen“.

Was sie alle aber eint, ist der Wille, ihre Heimat nicht den Gegnern zu überlassen. Schirin hatte nach den gemeinsamen Protesten, wie sie Bashi sagt, „das verloren gegangene Gefühl von ‚Zuhause‘ wiedergefunden. Jetzt wisse sie, dass sie in Teheran leben möchte. Sie wolle nicht mehr die einfachste Lösung wählen und in den Westen auswandern, sie möchte in ihrer Heimat bleiben“. Und auch Parsua kommt bei dem Anblick der Weidenbäume in Jusch der Gedanke, dass man den Kampf gegen die Unterdrückung daheim und in der Welt dann gewinnen könne, wenn man „fest in der eigenen Erde verwuzelt“ sei. Wie lange wird man ein Land, in dem solch ein demokratischer Patriotismus wächst, noch Gefängnis nennen können?


Text: Ingo Arend für getidan


Parsua Bashi: Briefe aus Teheran.

Aus dem Persischen von Susanne Baghestani.

Verlag Kein und Aber, Zürich 2010, 196 S., 18,90 EUR

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