Josef von Nazaret mit Jesus (Guido Reni 1575-1642)

Josef von Nazaret mit Jesus (Guido Reni 1575-1642)

Als Jesus zwölf Jahre alt ist, da gehen seine Eltern mit ihm zum Pessach nach Jerusalem. Als sie zurückkehren bemerken sie das Fehlen des Kindes. Das ist im Tempel geblieben, um mit den Menschen zu sprechen.

Maria, seine Mutter, macht ihn Vorhaltungen: „Dein Vater und ich haben dich voll Angst gesucht.“ Sie meint Josef. Und das Kind entgegnet: „Wußtet ihr nicht, dass ich in dem sein muss, was meinem Vater gehört?“ (Lk 2,48-49). Dabei, sein Vater steht neben ihn. Er steht immer nur dabei, seit 2 000 Jahren. Gesprochen hat er nie, kein einziges Wort.

Dieser Josef von Nazaret ist in gewisser Weise die merkwürdigste Gestalt des Neuen Testamentes. Er ist unabdingbar für die Begründung des Christentums, und also der Weltgeschichte – und gleichzeitig behandelt ihn die grundlegende Schrift der Christen mit auffallendem Desinteresse. Die beiden einzigen Evangelisten, die etwas mehr von Josef zu berichten wissen, Matthäus und Lukas, überliefern nicht ein einziges Wort von ihm. Und nach der von Lukas geschilderten Szene, dem Besuch des zwölfjährigen Jesus in Jerusalem, verschwindet Josef, einfach so. Von ihm wird nie wieder die Rede sein. Das Protevangelium des Jacobus, das sich, an die Träger eines naiven Volksglaubens adressiert, näher mit ihm beschäftigt erreicht nie den Rang eines kanonischen Evangeliums. Später wurde diese Behandlung als Hinweis auf einen frühen Tod interpretiert. Aber es war wohl so, dass der rechtliche Vater Gottes seine Aufgabe erfüllt hatte. Er wurde nicht mehr benötigt. Wenigstens nicht von der frühen Gemeinde.

Die Karriere des Josef von Nazaret beginnt später und reicht bis in die Neuzeit. Als Heiliger gilt er seit 1479. Papst Pius IX. ernannte Josef 1870 zum Patron der katholischen Kirche, Pius XII. führte 1955 das Fest „Heiliger Josef, der Arbeiter“ ein – und legte es auf den 1. Mai. Ein Versuch, Einfluss auf soziale Bewegungen zu gewinnen, diesen Tag umzuwidmen. Und Johannes Paul II. würdigte in einem Apostolischen Schreiben Josefs „willige Verfügbarkeit, die jener Mariens ähnlich ist.“: Josefs spätere Wertschätzung durch Kirche und Gläubige ist deutlich größer als jene, die er durch die Schrift erfuhr. Und seine herausragende Eigenschaften sind Vertrauen in Gottes Wort und Demut gegenüber dem Herrn.

Wie sollte er auch nicht. Er war, nach dem Zeugnis des Matthäus, verlobt mit Maria. Als diese schwanger wurde ohne sein Zutun beschloss er, sich in aller Stille von ihr zu trennen – was im Übrigen, nach den Maßgaben der damaligen Zeit, eine sehr humane Reaktion war. Da erscheint ihm ein Engel und spricht: „Josef, Sohn Davids, fürchte dich nicht, Maria als deine Frau zu dir zu nehmen; denn das Kind das sie erwartet ist vom Heiligen Geist. Sie wird einen Sohn gebären, ihm sollst du den Namen Jesus geben; denn er wird sein Volk von seinen Sünden erlösen.“ (Mt 1,20-21). Zu akzeptieren, zu vertrauen, das ist, aus theologischer Sicht, die zentrale Leistung dieses Mannes. Dieser bedingungslose Gottesglaube, diese grenzenlose Zuversicht, dieser absolute Glaubensgehorsam, das ist es, wofür die Kirche, und nicht wenige Gläubige, diesen bescheidenen Mann so hoch schätzen.

Josef ist gleichsam das menschliche Element der Heiligen Familie oder vielmehr: das menschlichste. Maria ist das Gefäß des göttlichen Willens, an ihr vollzieht sich das Wunder, sie ist schon, umgeben von einer entrückenden Aureole, so sehr in Gottes Nähe, dass manche Theologen von einer tendenziellen Auflösung des Monotheismus sprechen. Josef hingegen ist nur da, nimmt nur hin, führt nur aus. Eine Figur aus eigenem Recht wird er erst in der späteren Interpretation der Kirche. Anders als die dem Irdischen enthobene Maria wird Josef gleichsam zum Missing Link zwischen dem Menschlichen und dem Göttlichen: Demut ist des Menschen Teil.

Ist er nun der Vater des Menschen Jesus? Die Antwort hängt davon ab, ob man die Jungfrauengeburt als historisches Ereignis versteht oder als unbezweifelbare Glaubenswahrheit, die ihren Grund in sich selbst trägt. Nimmt man den Menschen Jesus als historisch an, und es gibt keinen vernünftigen Grund, daran zu zweifeln, dann hat in jedem Falle ein irdischer Vater existiert. Und der musste dann Teil der Erlösungsgeschichte werden. Mit dem Dogma der immerwährenden Jungfräulichkeit Marias wurde Josef, dessen in der Schrift bezeugten weiteren Kinder später zu Verwandten wurden, dann endgültig zu einem Symbol des uneigennützigen, vertrauenden Dienens. Doch auch rein theologisch ist der irdische Nährvater Gottes notwendig. Denn als rechtlicher Vater bezeugt er, mit seiner von den Evangelisten behaupteten Ahnentafel, die Abkunft Jesu aus dem Hause Davids, was für die Akzeptanz des im Alten Testamentes prophezeiten Messias von entscheidender Bedeutung war. Und wenn er das Kind Jesus zur Beschneidung bringt, dann erfüllt er das Gesetz, und wenn er es zur Volkszählung registrieren lässt, dann trägt er Sorge, dass Gottes Sohn als Teil der Menschheit eingeschrieben wird. Das ist seine Aufgabe: Er war für die Evangelisten notwendig und unentbehrlich, interessant und wichtig über seine Aufgabe hinaus war er nicht.

Insofern verkörpert Josef von Nazaret Demut in doppelter Weise, auch als literarische Figur. Und es ist genau diese Demut, diese „willige Verfügbarkeit“, für die ihn seine Kirche später preist. Man muss wohl ein tief gläubiger Mensch sein, um in dieser Demut, um in diesem Dienst ein Vorbild zu erkennen, ein Glück. Vielleicht auch, dass Menschen in dieser sich vollkommen selbstlos hingebenden Anspruchslosigkeit das Ideal erkannten, von dem sie sich so weit entfernt wissen.

Manchen Frauen könnte diese Figur zum Exempel dienen: Unwichtiger, jenseits seiner grundlegenden Funktion, erschien ein Vater nie.

Frohes Fest.


Text. Henryk Goldberg, 24.12.10 Thüringer Allgemeine