Das Buch von Betty Mahmoody „Nicht ohne meine Tochter“ ist mehr als ein Bestseller: es ist von einer unangenehmen Allgegenwärtigkeit. Man kann sich nicht die Zutaten zu einem Irish Stew zusammenkaufen, ohne in der einen oder anderen Weise damit in Berührung zu geraten. Nun gibt es den fälligen Film dazu, und Senator-Film hat raffinierterweise keine Pressevorführungen zugelassen, so daß unsere allseits erwarteten Verrisse nur noch beleidigtes Nachmaulen zu einem ebenso allseits erwarteten Publikumserfolg sein werden.
Worum es in dem Buch und in dem Film geht, braucht man wohl niemand mehr zu sagen. Allenfalls für Menschen, die die übermenschliche Anstrengung unternommen haben, dem Mythenfluß unserer populären Kultur gelegentlich zu entsagen, sei es kurz nachgetragen: Eine Amerikanerin ist mit einem aus dem Iran stammenden Arzt verheiratet, der sie nach der islamischen Revolution unter dem Vorwand eines Verwandtenbesuches in seine Heimat lockt. Dort lässt er unter dem Einfluss seiner fanatischen Familie die muselmanische Sau raus, will nicht zurückkehren, sperrt die Frau ein und will seine Tochter streng islamisch erziehen. Der Frau gelingt – nach vergeblichen Versuchen, Hilfe bei den verbliebenen diplomatischen Stellen zu finden, – die Flucht aus dem Iran, der sich im Krieg gegen den Irak befindet, in die Türkei. Die Geschichte ist echt passiert und also auch irgendwie wahr; und Millionen von Leserinnen scheinen genau auf diese Geschichte gewartet zu haben, und dadurch wird sie noch viel wahrer.
Sechs Diskurse suchen eine Kollaborateurin:
1. Der Diskurs Frau gegen Mann. Es geht um nichts anderes als um den Kampf einer tapferen, starken und guten Frau gegen einen feigen, schwachen und bösen Mann. Warum auch sollten die Supermärkte unserer populären Kultur den prallgefüllten Regalen mit frauenfeindlichen Bildern nicht auch ein paar männerfeindliche Angebote gegenüberstellen?
2. Der Diskurs der Schwarzen Hochzeitsphantasie. Ein ganzes Genre von Taschenbüchern, Heftromanen und Bekenntniszeitschriften erzählt die immer gleiche Geschichte: eine Frau heiratet einen Mann, der führt sie in seine Familie ein, und diese Familie erweist sich als wahre Hölle aus Neurosen, bösen Traditionen und stiefmütterlicher Gemeinheit gegenüber der jungen Frau. Der Mann ist zu naiv und zu schwach, sie gegenüber dieser Familie zu verteidigen, so muss die Frau ihre Flucht selbst in die Hand nehmen. Nichts davon fehlt in NICHT OHNE MEINE TOCHTER. (Übrigens wird der Film da auch unter der Hand wieder frauenfeindlich: der islamische Fanatismus geht, scheint’s; nicht zuletzt von den Frauen aus, die zum Beispiel Maschinengewehrbrigaden durch die Stadt führen, die kontrollieren ob die Kleidervorschriften auch eingehalten werden.)
3. Der Diskurs Mutter/Tochter. Nachdem hundert Jahre männlicher Ödipusselei irgendwie genug waren, wurde dieser Diskurs in den letzten Jahren auf dem Frauen-Medienmarkt reichlich populär. Auch da geht es um Identifikation und Konkurrenz, um Macht, Unterdrückung, um die Abwesenheit von Liebe. Die so erzeugte Spannung schreit förmlich nach einem Erlösungsmythos.
Eine Mutter, die sich, die fast genauso tapfere Tochter im Arm, durchs Männer-Feindesland kämpft, schleppt vermutlich eine reichliche Ladung von Schuldgefühlen, Versagungsängsten und Verlusten mit über die kurdischen Berge. „Nicht ohne meinen Sohn“ – das wäre bestimmt kein Bestseller geworden.
4. Der Diskurs Christentum/Islam. In Bildern von blanker SATURDAY EVENING POST-Americana beten Betty Mahmoody und ihre Tochter, damit Gott sie aus dem Land des Leidens führe, während draußen die „fanatischen“ Muslime in bedrohlicher Lautstärke Sermone absondern und sich auf den Boden werfen. Wir haben verstanden: das Christentum ist eine Religion für Menschen, der Islam eine für Massen.
5. Der Diskurs der arabischen Terroristen. Na schön, Iraner sind keine Araber. Aber für eine amerikanische Kamera ist das wirklich nebensächlich. Der „arabische Terrorist“ schreit ununterbrochen, fuchtelt wild atmend mit seiner Kalaschnikow und bedroht die freie Welt: Kinder, die auf der Straße spielen, werden kurzerhand eingefangen, auf Lastwagen gezerrt und in die irakischen Minenfelder geschickt. Wirkliche Ordnung entsteht dabei nicht; der arabische Terrorist schafft eine irgendwie feindliche Unübersichtlichkeit. Überall hängt Chomeini und schaut wie ein Menschenfresser.
Der Mann, der Betty Mahmoody schließlich hilft, ist ganz gewiss nicht zufällig ein Anhänger des Schah, der elegante Hemden verkauft (oder wenigstens so tut), während draußen alles nur noch in Uniformen oder einfachsten Kleidungen herumläuft, und der von den persischen Gärten und dem Paradies faselt und mit gedämpfter Stimme spricht, während alles ringsumher schreit. (Der Feind schreit immer.)
Die Kurden sind rauhe, aber ehrliche Gesellen. Nur damit wir Diskurs 1 nicht ganz aus dem Blick verlieren, versucht einer von ihnen, die Heldin zu vergewaltigen.
6. Der Diskurs des Patriotismus. Wie sehr es um die Rückkehr ins Gelobte Land geht, wird nicht allein aus den Gebeten der Heldin und der Struktur ihrer Flucht deutlich. Wir bekommen am Ende noch einen Schlag mit dem ideologischen Holzhammer über den eh schon brummenden Schädel: In der Türkei sieht Betty die amerikanische Fahne; „wir sind daheim“, sagt sie zu ihrer Tochter. Es ist das Bild der Fahne, auf das alles hinaus wollte.
Erfolg und Perfidie in der Vermarktung dieser Geschichte liegt nicht in den einzelnen Diskursen – mit denen war zu rechnen, sondern in ihrer Verknüpfung. Als Meta-Diskurs nämlich ergibt sich der Kampf zwischen der christlichen, amerikanischen, mütterlich-emotionalen, individualistischen Frau und dem moslemischen, „orientalischen“, patriarchalisch-rigiden, institutionellen Mann. Die Erlösung lässt die Frau ganz buchstäblich zur Fahne eilen; auf alles, was der Film uns gesagt hat, kann es nur eine Antwort geben: den Krieg.
Der wirkliche Schrecken dieser feminisierten Kriegspropaganda liegt in ihrer Fähigkeit, alle aufklärerischen Impulse, alle Kritik, alle Debatten, ja jeden klaren Gedanken zu zerstören. Sally Field, die hinterher selbst ein wenig vor dem erschrocken ist, was da entstand und die abzuwiegeln versucht, trägt gar noch ihr Image einer „Liberalen“ in diese nachträgliche Kriegserklärung. Ob der Film dabei gut oder schlecht „gemacht“ ist (er liegt etwa auf dem Niveau hochbudgetierter, inspirationsloser Mini-Serien des TV), ob seine Charaktere glaubhaft sind, seine Dramaturgie funktioniert oder nicht (Reise, Gefangenheit, Flucht – das inszeniert sich mehr oder minder von alleine), ob einem Bilder, wie solche von typisch dreckverschmierten Lichtschaltern in der iranischen Wohnung, wie Ohrfeigen versetzt werden, vor denen man schon in Deckung gehen könnte, wenn einem danach wäre – all das spielt kaum eine Rolle. Denn das, was dieser Film vermittelt, muß man glauben WOLLEN. Er offenbart, wie die Allgegenwärtigkeit des Buches, nämlich nichts anderes als UNSEREN Fundamentalismus. Möge die eine oder der andere auch einmal vor diesem erschrecken.
Autor: Georg Seeßlen
Text veröffentlicht in epd film 5/91
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