Über das Schenken in einer Welt, in der nichts mehr zu gebrauchen ist
Ach ja, diese Schenkerei ist was Furchtbares, und ja, man macht es trotzdem irgendwie gern, und Konsum-Terror und Kinderaugen und Bla bla bla. Man weiß nicht, wem man noch weniger gern begegnet dieser Tage, dem bewusstlosen Geschenkekauf-Zombie der mit leerem Blick durch die Einkaufszone wankt, oder dem gutmenschlichen Weihnachtsabstinenzler, dessen öko- und geschmacksbewusster Heiligenschein alle Christbaumbeleuchtungen überstrahlen will. Weihnachten ist das Fest, an dem sich Kapitalismus und Familie miteinander versöhnen wollen, Ware soll Erlösung schaffen, und das bisschen Religion dabei stört auch nicht weiter. Die beseelten Dinge brauchen eben ihr Narrativ und ihre Bilder. Aber wir vergessen nicht, dass es um die Dinge geht. Denn Weihnachten ist keine moralische, sondern eine soziale Installation.
Ein Geschenk, das wissen wir aus der Ethnologie, ist eine ziemlich ambivalente Angelegenheit. Nicht nur weil die Gabe eine Gegengabe verlangt, sondern auch weil man in einem Geschenk ausdrückt, was man voneinander hält und was man voneinander will. Das Geschenk ist also eine Aussage, aber auch eine Frage. Jedes Geschenk hat das Potential einer Schmeichelei und das einer Beleidigung. Es drückt den Rang, den Status, die Klasse und vor allem die Differenz zwischen Beschenktem und Schenkendem aus. Kein Wunder, dass wir jede Menge Geschenkeratgeber und „Schenk-Knigges“ und Kataloge und Fernsehen brauchen. Aber das Geschenk hat im besseren Fall auch materiellen Wert, und es wirkt noch in der bescheidensten Form als „Anerkennung“. Weshalb man sich als Postbote oder taz-Journalist dann eben doch über die „Kleinigkeit“ freut, die man zu Weihnachten bekommt, auch wenn sie vor allem ausdrückt, wo oben und wo unten ist.
Der Potlatsch, der Austausch von Geschenken nach gewissen (meist nicht so unstrengen) Regeln, mag ursprünglich dem Friedensschluss gedient haben, dem Friedensschluss zwischen Völkern oder Familien beispielsweise. Er kann sich aber auch zur Fortsetzung eines Krieges oder Bürgerkrieges mit anderen Mitteln entwickeln. Da das Gegengeschenk immer ein wenig das Geschenk übertreffen soll, an Wert, an Seltenheit, an semiotischer Intensität, zum Beispiel, kann es geschehen, dass eine Gruppe die andere in den Ruin oder in den kulturellen Selbstmord schenkt. Deshalb ist es natürlich eine hohe zivilisatorische Leistung, das Geschenkritual einerseits auf einen Zeitraum und in diesem auf lineare Akte zu beschränken; es geht nicht an, dass ein Beschenkter unter dem Weihnachtsbaum nach dem Gegengeschenk gleich noch ein Gegen-Gegengeschenk aus dem Hut zaubert, das wäre irgendwie unweihnachtlich, auch wenn man der Tante damit vielleicht ganz unverdächtig den entscheidenden Beschämungsschlag versetzen könnte.
Das Kind, denkt man, ist vom Potlatsch-Bürgerkrieg ausgenommen. Es wird beschenkt, und als Gegengeschenk erwartet man eher eine Geste, etwas „Selbstgebasteltes“, „Dankbarkeit“, wohligen Frieden wenigstens heute, oder ein Gema-freies Lied. Der Austausch der Geschenke innerhalb der Familie rekonstruiert die Rollen und Ordnungen, die im Alltag meistens schon perdü sind. Durch das Geschenk wird das Kind noch einmal gesellschaftlich erzeugt (und manche Geschenke unter Erwachsenen erzeugen eine zweite „Kindlichkeit“). Aber natürlich setzt auch das Kind den Geschenk-Bürgerkrieg spätestens am nächsten Tag fort, wenn die Individuen und die Klassen untereinander Geschenke vergleichen. Weihnachten empfängt das Kind Belege seiner Klassenzugehörigkeit, und bei den Ärmeren kann es geschehen, dass die Geschenke, die an den Rand der eigenen Klasse reichen, bitter bezahlt werden müssen. Bankzinsen, Verzichte oder einfach Sorgen sind die Folgen davon, dass man einander „etwas gönnen“ oder den Unterschied zu anderen nicht allzu sichtbar lassen will.
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Kein Austausch von Freude und kleinem Glück
unter den Kulturen und Klassen,
sondern ökonomische und semiotische Kriegserklärung.
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Der Weihnachtspotlatsch besteht in einer Art von Bürgerkrieg der Vielhabenden gegen die Wenighabenden (von den Garnichthabenden wollen wir nicht reden: sie sind es gewöhnt, mit Geschenken gedemütigt zu werden); in den allgemeinen Medien wurde zuvor bestimmt, was akzeptable Geschenke sind, zwischen dem Unverzichtbaren und dem Ersehnten. Für die Wenighabenden ist es eine Weihnachtsidee, den Unterschied zu den Vielhabenden symbolisch ein bisschen zu verringern. Weihnachten ist dann gleichsam ein gespielter Reichtum. Wenigstens benutzt man die gleichen Symbole, man schenkt verwandte Dinge, orientiert sich an den gleichen Marken und sieht zum Fest die gleichen Programme.
Doch sind die Geschenke bei den Wenighabenden, da sie ja vor allem symbolisch zu verstehen sind, wesentlich weniger wert als bei den Vielhabenden. Genauer gesagt: Der Austausch von Geschenken unter den Vielhabenden vermehrt deren Reichtum; man akkumuliert dabei schon Werte, neben dem Schmuck, den Uhren, den Möbeln und den neuesten technischen Gerätschaften ist bei den Vielhabenden das Geschenk auch für das Kind schon zugleich Wertanlage und Status-Zeichen. Wohingegen die Wenighabenden Geschenke machen müssen, deren Glanz die Feiertage kaum übersteht. Man schenkt, mit anderen Worten, hauptsächlich etwas, was man höflich eine symbolische Gabe, weniger höflich Ramsch nennen kann. Der Vielhabende gewinnt durch das Schenken, der Wenighabende verliert. Wir hätten es kaum anders erwartet.
Der Gang durch die Shopping Mall zeigt: Das Ramsch-Angebot hat offensichtlich einen neuen Grad an Hysterie angenommen. Das haben wir letztes Jahr auch schon gesagt, und uns gedacht, es könne nicht mehr schlimmer werden. Doch auch hier, unter all den Schoko-Weihnachtsmännern, Schnapsflaschen, Silberkugeln, Beleuchtungen ist das Geschenk, das sich da anbietet, gar nicht mehr inszeniert, wie man es früher kannte: Als müsste die Ware schon vom Glück des Schenkens und Beschenktwerden etwas vorwegnehmen, wenn sie noch im Schaufenster oder in der Vitrine wartet. Oh, beseelt war die heilige Ware einst von ihrem Glück, zum Geschenk werden zu dürfen. Hier, beim Discounter oder im Kettenladen, spricht das Geschenk schon eher von der Verpflichtung, die man loswerden muss. Es herrscht unbarmherzige Quantifizierung. Manche der Einkaufsstraßen sind so vollgestellt, an Besteck und Reiseweckern und Wetterstationen und zusammenklappbaren Schlitten und Zipfelmützen und alledem, dass man gar nicht mehr durchkommt. Welche wundervolle Utopie: Die Weihnachtsware erstickt an sich selbst. Das Schenken erübrigt sich, weil sich die unnützen Dinge nur noch gegenseitig anglotzen können, ein Mensch hat hier keinen Platz mehr.
Haben wir nicht vor Jahren über „Verlegenheitskäufe“ gespottet, diese unnützen Dinge, Vasen, Bilder, „Nippes“, sogar Bücher, die man in letzter Minute hätte kaufen müssen, die Weihnachtslieder-CDs und die Schleifchen und Obstschalen, genauso aber die Verlegenheitskäufe aus dem Eine-Welt-Haus, dem Ökoladen und der Handwerksstube? Die barmherzigen Dinge unserer Einfallslosigkeit. Und da, mit einem Mal, stehen sich der Geschenkekauf-Zombie und der weihnachtliche Konsumkritiker ratlos gegenüber: Es gibt überhaupt nichts mehr anderes als „Verlegenheitskäufe“. Ganz Deutschland ein gewaltiges, wie gesagt beinahe untermenschendichtes Netz von Dingen, die offensichtlich freudlos verschenkt werden wollen, weder schön noch nützlich, die nichts anderes mehr zum Ausdruck bringen als ihre eigene Weihnachtsgeschenkhaftigkeit. Sie sagen weder über den Schenkenden noch über den Beschenkten etwas anderes aus als dass viel herumliegen, ein- und ausgepackt werden soll, was einen direkten Bezug zur allseitigen Regression hat: Warm und bunt und kindisch und süß und laut. Man kann einander, selbst wenn man sich Mühe gibt, und ein Vermögen auf dem „urigen“ und „gemütlichen“ Weihnachtsmarkt lässt, den man sich im Gegensatz zu einem Lidl-Laden wenigstens mit gehörigen Mengen Glühwein schönsaufen kann, gar nichts mehr anderes schenken als unnützen, demütigenden, würdelosen und obendrein ausbeuterischen Scheißdreck.
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Ein Fest, das seinen eigenen Tod noch nicht
bemerkt hat. Unsterbliches, untotes Weihnachten.
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Da lacht er, der gutmenschliche Weihnachtsverächter. Aber zu früh. Denn die politische Ökonomie des alljährlichen Potlatsch bestand ja bislang in einer wenn auch ziemlich prekären und manchmal vergifteten Stiftung des sozialen Friedens. Sie bestand darin, wenn auch illusorisch (aber was da brüchig war, reparierten Weihnachtsfilme, Weihnachtsprogramme und Weihnachtstexte) eine „Mitte“, eine friedliche Zone in der bürgerkriegerischen Auseinandersetzung um Waren, Geld und Arbeit zu schaffen. Keine Pause vom Kapitalismus, wohl aber eine Pause im Kapitalismus.
Das Schenken stellte Beziehungen dar, die noch von einer zweiten Bedeutung des Geschenks geprägt waren, noch vor dem Potlatsch und seinen ruinösen Folgen: nämlich einen sozialen Ausgleich. Das Geschenk, insofern es in Würde und unvergiftet überreicht wird, sollte den materiellen Unterschied zwischen Haben und Nichthaben ein wenig verringern (natürlich nur so weit es den Schenkenden nicht schmerzt). Und so war ja auch einmal das Weihnachtsgeld, der Weihnachtsausflug, die Weihnachtsgratifikation etc. nicht bloß erstrittenes Recht, sondern eine gesellschaftliche Verabredung dazu, dass die Vielhabenden den Wenighabenden etwas abgeben. Eine sozialisierte Form des Geschenks. Warum haben die „Arbeitgeber“ dazu keine Lust mehr? Zu Weihnachten, in der Hierarchie der Geschenkwaren ahnen wir es: Der Potlatsch ist keine gesamtgesellschaftliche Einrichtung mehr, die Klassen bleiben nun auch geschenkmäßig fundamental unter sich. Und auch Weihnachten wird ein System zur Erzeugung und Isolation der neuen Unterschicht. Postboten und taz-Journalisten bekommen übrigens auch immer weniger Geschenke von besseren Herrschaften.
Herr Sloterdijk müsste sich nur einmal in der Drei-Klassen-Gesellschaft der Geschenk-Erbeutung umsehen, den Discounter-Straßen für die Unterschicht, den Weihnachtsmärkten (das Pendant zur Landhaus-Mode) und „Galerias“ für die Mittelschicht, und die Luxuswaren mit dem Echtheitszertifikat für die Besserverdienenden, um zu begreifen, dass die Gabe diese Gesellschaft verlassen hat. Das Geschenk ist Waffe im Bürgerkrieg geworden, und die einzige allerdings möglicherweise durchaus breitenwirksame Waffe der Unterschicht ist: schlechter Geschmack. Die Besserverdienenden ihrerseits scheinen nicht einmal mehr bereit, den anderen Klassen Krümel von ihrem Gabentisch zu überlassen. Zurück zu Charles Dickens! Die Gema verlangt selbst von Weihnachtslieder singenden Waisenhauskindern Gebühren. Und auf dem Weihnachtsmarkt ist Betteln verboten. Der Potlatsch freilich hat damit auch als symbolische Friedensstiftung seinen Sinn verloren; die Semiotik der Geschenke berührt sich zwischen den drei Klassen gerade noch in den unverzichtbaren Kinder-Objekten; die Differenz wird da innerhalb von Lego, Playmobil und Barbieland ausgehandelt.
Weihnachten kann, durch die Geschenke einerseits, durch die Riten andrerseits und durch die Bilder und Narrative drittens die Mitte der Gesellschaft nicht mehr erzeugen. Es ist daher keine Pause mehr im Kapitalismus, sondern eine besinnungslose, eine Zombie-Beschleunigung. Kein Austausch von Freude und kleinem Glück unter den Kulturen und Klassen, sondern ökonomische und semiotische Kriegserklärung. Deshalb auch muss der Weihnachtskitsch so militant nach außen getragen werden. Es kommt nicht mehr auf die Lichter im inneren der familialen Schenkrituals an, sondern auf die weihnachtliche Außenbeleuchtung. Soll niemand zweifeln, an unserem Weihnachten!
Wir können in Wahrheit aber deswegen nichts mehr schenken, weil wir nichts mehr gebrauchen können. Keines der Geschenke, die der Markt anbietet, wäre in der Lage, die Illusion von Ausgleich und Kommunikation noch zu erzeugen. Keines das kleine Wunder erzeugen. So zerfällt das Geschenk in zwei andere fundamentale, belebte Dinge: das Opfer und die Beute.
Nach dem spirituellen und dem kulturellen ist also auch der soziale Wert des Geschenks dahin. Was bleibt? Weihnachten für Zombies. Ein Fest, das seinen eigenen Tod noch nicht bemerkt hat. Unsterbliches, untotes Weihnachten.
Text: Georg Seeßlen
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