Unser Mann in Manhattan

Woody Allen wird 75, aber das ändert nichts

Einmal, er war noch ein Junge, zogen die Eltern aufs Land. Stille und Wiesen, nichts als Harmonie und Gras. Es war die Hölle. Nach zwei Monaten ließen sie Woody Allen zurück nach New York. Seither erzählt er von den wunderbaren Qualen, die er erleidet in diesem höllischen Paradîes Manhattan. New York, das ist für Woody Allen der Name der Neurose, es ist für den kleinen Mann, das, was die Mutter Erde für den Titanen Atlas war: Die Quelle der Kraft. Ohne New York gäbe es den Woody Allen nicht, den wir kennen. Und ohne Woody Allen gäbe es, natürlich, New York, doch wüssten wir etwas weniger darüber, wie die neurotische Seele dieser Stadt beschaffen ist. Und ein klitzkleines bisschen erzählen diese Filme auch etwas über uns.

Denn der große Künstler, der heute 75 Jahre alt wird, verlängert, die Großeltern kamen aus Russland und Wien, die traurige Innerlichkeit europäischer Intellektueller nach Amerika, doch erzählt er, der als Allan Stewart Konigsberg geboren wurde, die Melancholie in der Manier jüdischer Witze, vermengt mit der fiebernden Dynamik, die New York treibt. So bleibt, wenn nichts mehr blieb, doch immer noch ein trauriges Lächeln. Und eine kalte Stadt, die ihnen dennoch das Herz erwärmt.

Diese Filme und Figuren sind ein getreuer Spiegel unserer Zivilisation. Sie reflektieren die Fähigkeit, unsere Unzulänglichkeiten zu ironisieren und die Unfähigkeit, uns zu ändern. Das ist, recht bedacht, kein sonderlich ehrender Zustand, und dennoch lieben wir diesen Mann. Denn er verwandelt unsere Neurosen in Schönheit, er gönnt uns den sanften Spiegel seiner milden Kunst, wiewohl wir Anstände nähmen, von unseresgleichen anders denn im Tenor des tiefsten Zweifels und der kritischsten Distanz zu sprechen. Und weil wir von dieser wundersamen Handauflegung nicht genug bekommen können, unternimmt er erst gar nicht den Versuch, etwas anderes zu erzählen. Deshalb ist die wesentliche Information über einen Woody-Allen-Film die, es handele sich um einen Woody-Allen-Film.

Es gibt wohl kaum einen anderen Regisseur und Schauspieler, der so wenig Luft lässt zwischen sich und seinen Figuren, es gibt, neben Clint Eastwood, kaum einen anderen, der seine Geschichten mit solcher Kontinuität fortschreibt. Woody Allen ist Kult und Kult meint einen Wert an sich, in relativer Unabhängigkeit von tatsächlicher Qualität. Denn natürlich findet sich in dieser neurotischen Endlosschleife, neben vier Oscars, auch manch hübsche Belanglosigkeit.

Vielleicht, dass er eine Manhattan-Melancholie zu viel erzählt hatte. Die Reihe seiner europäischen Filme, die nicht in New York handeln, wurde 2005 eröffnet mit „Match Point“, einen wunderbaren Film über die Philosophie des Zufalls, der das Leben bestimmt. „Vicki, Christina Barcelona“ war eine gut gespielte Geschichte, doch schien sie eine kühle Konstruktion. Sein 41. Film, „Ich sehe den Mann deiner Träume“, der morgen in den deutschen Kinos startet, einen Tag nach dem Geburtstag, wurde in wiederum in London gedreht, und der 42. Film wird „Midnight in Paris“ sein. Mag sein, dass er, neben den praktischen Finanzierungsfragen, eine Zeitlang an der europäischen Quelle arbeiten wollte, doch eines Tages wird er zurückkehren nach New York.

Eine seiner frühen Bühnenshows eröffnete Woody Allen mit dem Satz „Ich möchte Ihnen von ein paar Besonderheiten meines Privatlebens erzählen und sie ins rechte Licht rücken.“ Er tut nichts anderes seither: Er bleibt unser Mann in Manhattan.


Text: Henryk Goldberg

Bild: © lucholuna via toonpool

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