Über die Nutzungsrechte von Texten im Internet wird heftig gestritten. Nicht zuletzt die Plagiatsdebatte um Helene Hegemann in diesem Frühjahr hat gezeigt, wie sehr die Maßstäbe sich bereits verschoben haben. Der jungen Generation, die mit der allgegenwärtigen Verfügbarkeit von Texten im Netz aufgewachsen ist, erscheint das bürgerliche Urheberrecht als alter Hut, der nicht mehr so recht passen will. Wenn es keine Originale mehr gibt, sondern nur noch „Echtheit“, wie Hegemann unschuldig versicherte, kann es dann überhaupt noch Plagiate geben? Und wenn die französische Philosophie mit Roland Barthes und Michel Foucault schon vor Jahrzehnten den „Autor“ abgeschafft hat – was ist dann noch „geistiges Eigentum“?
Der Text und das Eigentum. Über die Zukunft des Urheberrechts
O-Ton 1, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Noch vor seiner Zeit im Schloss Bellevue sagte Roman Herzog über die Notwendigkeit des Schutzes geistigen Eigentums: „Erbärmlich ein Eigentumsbegriff, der sich nur auf Sachgüter, Produktionsmittel und Wertpapiere bezieht und die Leistungen des menschlichen Geistes ausklammert! Erbärmlich eine Gesellschaft, die sich einen solchen Eigentumsbegriff leisten wollte!“
SPRECHER: Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger zitierte zu Beginn ihrer „Berliner Rede zum Urheberrecht“ im Juni 2010 Altbundespräsident Roman Herzog. Demnach ist geistiges Eigentum etwas Edleres als das gewöhnliche Eigentum an Sachen, Geld oder Produktionsmitteln. Aber warum ist das so? Oder anders gefragt: Wenn schon die ganze Gesellschaft, in der wir leben, auf der Kategorie des Eigentums beruht, warum empfinden wir das dann als erbärmlich?
SPRECHERIN: Neulich hatte ich einen Alptraum. Jeder, der das Wort „Kinder“ benutzte, musste Tantiemen an einen Süßwarenkonzern zahlen. Beim Märchen von Rotkäppchen und dem Wolf waren für den Begriff „Wolf“ Gebühren an eine Textilmarke fällig. Auch Farben – Magenta zum Beispiel – waren kostenpflichtig. Melodien aus Opern wie Verdis Rigoletto hatten Eigentümer, bei denen man die Nutzungsrechte erwerben musste, bevor man sie achtlos vor sich hinpfeifen durfte. Sogar die Sprache wurde aufgeteilt. Mit dem „T“ fing es an, das einem Telekommunikationskonzern gehörte. Texte, die naturgemäß mit T anfangen, sind dadurch unbezahlbar geworden. Und mein eigener Name gehörte Google, wo er in ein undurchschaubares Ranking eingebaut wurde. Da bin ich schreiend aufgewacht. Gott sei Dank gehörte mir noch der eigene Schrei.
SPRECHER: Es gab einmal eine Zeit, in der man sich nicht vorstellen konnte, dass die Erde, auf der wir leben, sich in Grundbesitz, in Eigentum verwandeln würde.
SPRECHERIN: „Auf den Wellen ist alles Welle, auf dem Meer ist kein Eigentum“, heißt es bei Friedrich Schiller.
SPRECHER: So war es auch mit der Sprache und allem überlieferten Wissen. Kultur bestand aus unteilbaren, nicht besitzbaren Dingen. Die Texte in den Bibliotheken der Klöster gehörten niemandem. Man kannte ja noch nicht einmal ihre Autoren. Mönche schrieben die Bücher immer wieder ab, um sie für die Nachwelt zu erhalten. Das waren Kopisten, und niemand dachte darüber nach, ob das legal sei oder nicht.
SPRECHERIN: Heute aber, wo es Besitzansprüche auf den Mond, den Nordpol und längst auch alle Weltmeere gibt, gehört jeder Text einem Urheber. Jedenfalls besteht der Anspruch darauf. Ohne diesen Eigentumsgedanken und ohne das schützende Urheberrecht könnten Autoren mit ihren Werken kein Geld verdienen. Doch was wird daraus im digitalen Zeitalter? Lässt sich der Besitzanspruch im Datenfluss des Internets aufrecht erhalten? Sind die auf der Idee des „geistigen Eigentums“ basierenden Regelungen noch zeitgemäß und praktikabel?
O-Ton 2, Gottfried Honnefelder: Ich halte sie nicht für falsch, aber ob sie praktikabel sind, da zweifle ich sehr. (…) Ich würde mich berufen auf unser Grundgesetz, auf Artikel 14, und da gibt es nun mal neben dem Eigentum, das wir alle kennen, auch das geistige Eigentum, und das soll geschützt werden.Das ist eine sehr natürliche Sache.
SPRECHER: So sieht es Gottfried Honnefelder, der Vorsitzende des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels. Aber so natürlich ist es nicht, geistige Produkte als Eigentum zu betrachten. Erst mit der Aufklärung und der bürgerlichen Revolution setzte sich allmählich der Gedanke durch, dass künstlerische Produkte als „Werke“ der schöpferischen Persönlichkeit zuzuschreiben sind und ihr „dauerhaft zugehören“.
SPRECHERIN: Andererseits ist auch klar, dass alle Erfindungen, Geschichten, alles Wissen und selbst die bloße Form von Romanen oder Lyrik keine Schöpfungen aus dem Nichts sind, sondern immer Antworten auf bereits Vorhandenes. Jeder Autor ist zunächst ein Leser. Er atmet Kultur ein und wieder aus. Warum sollte das, was er ausatmet, ihm also gehören? Die Luft gehört ja auch niemandem. „Inspiration lässt sich definieren als das Inhalieren der Erinnerung an etwas, das man nicht selber erlebt hat“, hat der amerikanische Schriftsteller Jonathan Lethem einmal formuliert. Lethem, der mit dem autobiographisch grundierten Bildungsroman „Die Festung der Einsamkeit“ bekannt geworden ist, behauptet, die innerste Substanz allen menschlichen Ausdrucks sei das Plagiat. Künstler sollten sich deshalb auf ihre Hervorbringungen nicht allzu viel einbilden und vor allem: keine Besitzansprüche stellen. Kultur sei als eine Ökonomie des Schenkens aufzufassen.
SPRECHER: Ganz so weit möchte der deutsche Schriftsteller und Musiker Thomas Meinecke nicht gehen – obwohl auch er Zweifel hat am Konzept des „geistigen Eigentums“. Er ist ein Autor, der mit Pop-Kultur sozialisiert wurde. Die Techniken des Sampelns, Collagierens und Zitierens sind ihm ganz und gar selbstverständlich.
O-Ton 3, Thomas Meinecke: Ich hatte schon bevor es so etwas gab wie das digitale Zeitalter, einen gewissen Argwohn gegen den Gedanken des geistigen Eigentums im Sinne auch einer so geschlossenen, eben dem Geniekult und einem dem 19.Jahrhundert und männlichen Denken angehörenden Komplex, habe da sozusagen Verdachtsmomente gehegt und war dann eher auf der Seite der feministischen Theorie des späten 20. Jahrhunderts, die dieses männliche Subjekt auseinander nahmen und damit auch den Gedanken dieser geschlossenen Autorschaft auseinander nahmen und das zerlegten in seine Einzelteile. Und dann gab es plötzlich Theorien oder Theoreme, die einem doch mehr einleuchteten, die davon redeten, dass es etwas Vordiskursives sowieso gar nicht gibt, und dass wir uns immer in einem Geflecht, einen Rhizom von Verweisen und Vorformuliertem befinden, innerhalb dessen man dann natürlich schon die Frage stellen kann:Was davon gehört mir? Vielleicht nicht im Sinne eines männlichen, autarken Schöpfertums, sondern im Sinne von paar Tantiemen, von denen man seine Miete bezahlen kann. Ich hab’ da ein etwas gespaltenes Verhältnis zwischen Erkenntnis und einem gewissen Interesse an doch so was wie der Rechtewahrnehmung an dem, was ich da mache.
SPRECHER: Thomas Meinecke kann dem Eigentums-Denken im Bereich der Kultur nicht viel abgewinnen, möchte aber verständlicherweise auf Verwertungsmöglichkeiten nicht ganz verzichten. Doch wie lässt sich das Urheberrecht ohne den Rückgriff auf „geistiges Eigentum“ begründen?
O-Ton 4, Thomas Meinecke: Man kann zum Beispiel einfach darauf pochen, dass ein Buch, das man geschrieben hat, nicht eins zu eins von jemand anderem quasi faksimiliert wird und auch in den Handel gegeben wird. Diese ganz klar messbaren Dinge wie der Raubdruck, der Bootleg auch von Tonträgern – also ich bin auch Musiker – der kann einem manchmal bei aller Ehre, die einem dabei auchzu Teil wird, wenn Leute sich die Mühe machen, das zu kopieren und zu vertreiben, manchmal ein bisschen aufstoßen. Also da fand ich mich jetzt manchmal schon auf der sozusagen spießigen Seite wieder, in den Diskussionen über diese Rechte, die teilweise geknackt werden, auch von Leuten, die mir aber auch irgendwie sympathisch sind in ihrer Art das zu knacken. Das sind ja schließlich oft auch Fans, das sind ja keine eiskalten Geschäftsleute, die mit so schrulligen Sachen wie ich sie fabriziere dann hausieren gehen. Aber da war ich jetzt doch oft altmodisch und wollte gerne die Abrechnung und das Geld, das wenige, das da reinkommt, selber haben.
SPRECHER: Einen ähnlichen Zwiespalt formuliert auch Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger, auch wenn der Gegensatz zwischen Rechtsschutz und der Selbstbedienungsmentalität im Netz bei ihr weniger versöhnlich erscheint:
O-Ton 5, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Wenn man sich anschaut, wie über das Urheberrecht in der digitalen Welt gestritten wird, dann stelle ich fest, dass die Debatte leider von zwei Extremen bestimmt wird: Die einen beschwören die Geltung des Urheberrechts und haben in Wahrheit doch viel zu häufig nur den Erhalt ihrer überholten Geschäftsmodelle im Sinn; und die anderen stimmen den Abgesang auf das Urheberrecht an und wollen sich auf diese Weise die Leistung anderer kostenlos aneignen.
SPRECHER: Im Streit um das Urheberrecht im Internet sieht Leutheusser-Schnarrenberger auf der einen Seite die alten Besitzstandswahrer, die das allgemeine Downloaden und Kopieren von Daten als „Raub“ bezeichnen und kriminalisieren. Auf der anderen Seite stehen die „Digital Natives“, die „Piraten“ der digitalen Weltmeere, für die der freie Zugriff auf Texte, Bilder und Musik selbstverständlich ist und die keinen Gedanken daran verschwenden, dass Künstler und Urheber irgendwie auch bezahlt werden müssen.
O-Ton 6, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Mit diesem schroffen Gegensatzpaar – Besitzstandswahrung hier und totale Ablehnung dort – können wir die Herausforderungen, mit denen wir im Urheberrecht konfrontiert sind, nicht bestehen.
SPRECHERIN: Vielleicht wäre es hilfreich, einmal zurückzuschauen in die alte, analoge Welt des Buchdrucks. In der Zeit Goethes gab es schon einmal die selben Probleme wie heute im Netz: Raubdrucker kopierten die Bücher, bis Autoren und Verleger sich gegen diese Praxis zur Wehr setzten. Die Debatte ums Urheberrecht begann in Deutschland 1785 mit Immanuel Kants Schrift „Von der Unrechtmäßigkeit des Büchernachdrucks“.
SPRECHER 1: „Wer ein Geschäft eines andern in dessen Namen und dennoch wider den Willen desselben treibt, ist gehalten, diesem oder seinem Bevollmächtigten allen Nutzen, der ihm daraus erwachsen möchte, abzutreten und allen Schaden zu vergüten, der jenem oder diesem daraus entspringt. Nun ist der Nachdrucker ein solcher, der ein Geschäft eines andern (des Autors) u.s.w. Also ist er gehalten, diesem oder seinem Bevollmächtigten (dem Verleger) u.s.w.
SPRECHERIN: Kant macht sich dann nach Philosophenart daran, Satz und Untersatz umständlich zu beweisen. Das klingt skurril, in der Sache unterschiedet es sich aber nicht von den Debatten der Gegenwart.
O-Ton 7, Eckhard Höffner: Das Urheberrecht ist ursprünglich als reines Wirtschaftsrecht entstanden. Der Schutz der Schöpferpersönlichkeit wurde im 19. Jahrhundert vor allem von den Juristen dem Recht aufgepfropft. Das Eigentum selbst ist eine juristische Unterscheidung zwischen Mein und Dein. Da geht es um das Prinzip. Wer sein neuestes Werk für sich behalten will, der soll es halt nicht veröffentlichen. Dann bleibt es auch seins. Aber mit der Veröffentlichung teilt man sein Werk mit den anderen, dann steht es nicht mehr dem Urheber ausschließlich zu. Das ist ja der Sinn von solchen Werken. Und die tragen die Bestimmung in sich, mit anderen geteilt zu werden. Das geistige Eigentum betrifft ja eigentlich gar nicht das Werk oder die sogenannte Schöpferpersönlichkeit, das Werk ist ja nicht das Objekt des Schutzes, das Werk soll ja so weit wie möglich verbreitet werden, so viel wie möglich Hörer die Musik, so viel wie möglich Leser das Buch haben. Der wesentliche Anwendungsbereich von diesem geistigen Eigentum liegt ja darin, dass man mit dem Werk Geld verdienen möchte. Dagegen ist eigentlich nichts einzuwenden. Insofern hat es mit dem digitalen oder mit dem körperlichen Recht meiner Meinung nach gar nicht so viel zu tun.
SPRECHER: Eckhard Höffner ist Wirtschaftsjurist. Er hat gerade eine groß angelegte Studie über „Geschichte und Wesen des Urheberrechts“ veröffentlicht. Darin vergleicht er die Entwicklung in England, wo es seit 1710 eine Urheberrecht gab, mit der in Deutschland, wo eine ähnliche Regelung erst 1837 eingeführt wurde. Höffner kommt zu erstaunlichen Resultaten: Während in England der Buchmarkt vor sich hin dümpelte, entwickelte sich Deutschland ohne Urheberrecht zur führenden Buchnation und zum Volk der „Dichter und Denker“. Mit der Einführung des Urheberechts aber sank die Menge der Neuerscheinungen ebenso wie die Autorenhonorare. Motor der dynamischen Entwicklung in Deutschland waren demnach ausgerechnet die Nachdrucker.
O-Ton 8, Eckhard Höffner: Den Nachdruckern ging es genauso um die hohen Gewinne der Verleger. Die haben genau das gleiche gemacht, was die Verleger gemacht haben, das heißt, sie haben die Bücher gedruckt und auf den Markt gebracht, aber eben zu günstigeren Preisen. Auf die Art haben sie eine andere Kundschaft erreicht. Sie haben im Prinzip einen neuen Absatzmarkt geschaffen und eine Marktlücke geschlossen, indem sie Bücher für den damaligen Mittelstand anboten, also Bücher, die in das Budget der Akademiker, Gewerbetreibenden, höheren Beamten und Studenten hineinpassten. Das gab es in England alles überhaupt nicht. Da haben sich die Professoren beschwert, dass die Studenten überhaupt nicht in der Lage wären, die Bücher zu kaufen, dass selbst die Kollegen nicht in der Lage wären, die Bücher zu kaufen. Dieser Markt wurde von den Nachdruckern erst mal bedient. Aber dann haben die führenden Verleger in Deutschland wiederum darauf reagiert und brachten die Bücher eben auch auf den Markt, die der Nachdrucker auf den Markt brachte. D.h. der Nachdrucker bringt ja nur ein Buch auf den Markt, wenn er davon ausgeht, dass er damit Gewinn macht. Man kann zwar irgendwelche aufklärerischen Motive unterstellen, aber ohne Gewinn hätten sie es nicht auf den Markt gebracht. Aber wenn der Nachdrucker es mit Gewinn auf den Markt bringen kann, dann konnten es die Großverleger erst recht.
SPRECHER: Weil es diesen breiten Markt gab, haben Autoren in Deutschland dann auch ganz gut verdient.
SPRECHERIN: Und mit der Einführung des Urheberechts war es damit vorbei?
O-Ton 9, Eckhard Höffner: Die deutschen Autoren waren die ersten Verlierer vom Urheberrecht. Gekauft wurden dann halt die billigen Übersetzungen, und da haben sich dann auch die ganzen Literaturkritiker beschwert, wie das noch etwas werden soll mit dem deutschen Roman, wenn das Buch 5 Taler kostet, während man sich dafür eine halbe Bibliothek mit Übersetzungen kaufen kann. Die ganzen Autoren haben dann nur noch fünf-, sechs-, siebenhundert Stück abgesetzt im Lauf von Jahren, auch Keller, Storm, Meyer, also diese ganzen relativ guten Autoren waren wirklich drauf angewiesen dann, über Zeitungen zu veröffentlichen. Im Buchhandel waren keine Gewinne mehr da, das hat erst wieder angefangen um 1890, als die Industrialisierung sich ganz stark ausgebreitet hat.
SPRECHERIN: Wenn das so ist, dann schaffen wir das Urheberrecht doch einfach wieder ab!
SPRECHER: So einfach ist es aber nicht, weil die Verhältnisse von damals sich nicht auf unsere Produktionsbedingungen übertragen lassen. Oder wären Autoren auch heute ohne die Fesseln des Urheberrechts besser gestellt?
O-Ton 10, Eckhard Höffner: Ganz ohne Urheberrecht heute gewiss nicht. Das liegt aber daran, dass der Buchmarkt damals … Der Druck kostete Geld, und bis das Buch verteilt war, vertrieben war, das dauerte eine gewisse Zeit, bis der Nachdrucker kam, und da konnte der Originalverleger relativ schnell den Markt zuschütten sozusagen mit den Büchern, und für den Nachdrucker blieb kein Platz mehr. Heute mit den digitalen Kopiermöglichkeiten würde das so nicht mehr funktionieren.
SPRECHERIN: Aber wie kann es funktionieren? Gibt es überhaupt Ansätze, um über das Urheberrecht noch einmal vorbehaltlos nachzudenken und dabei auch das so Selbstverständliche, das „geistige Eigentum“ in Frage zu stellen? Oder sind wir gar nicht mehr dazu in der Lage, in anderen Formen als in denen des Eigentums zu denken?
O-Ton 11, Andreas Rötzer: Die Allmenden zum Beispiel, die gemeinsam Anbauflächen waren, die verwaisen heute alle, die werden nicht mehr abgeerntet und gepflegt. Es wird nur das, was wirklich jemandem gehört, auch gepflegt. Also selbst das Kostenlose wird nicht in Anspruch genommen, wenn es nicht jemandem gehört. Das ist eigentlich ganz interessant, finde ich. Also viel zum Eigentumsgedanken. Der ist glaube ich so stark verankert in der Mentalität, das kann man kurzfristig gar nicht in Frage stellen. Das müsste eine langfristige Entwicklung sein.
SPRECHER: Andreas Rötzer ist Verleger. Er leitet den Verlag Matthes & Seitz in Berlin.
O-Ton 12, Andreas Rötzer: Das Urheberecht in der bestehenden Form ist, glaube ich, sehr stark gebunden an die Materialität des Produkts. Das heißt: Nur dann, wenn man geistige Schöpfungen auf ein Material bannen kann, das man nicht leicht kopieren kann, kann man glaube ich Urheberrecht überhaupt langfristig garantieren.
SPRECHER: Das würde bedeuten, dass das Urheberrecht zwar für Bücher praktikabel bleibt, nicht aber für digitale Produkte im Netz. Der Verlag Matthes & Seitz hat, wie andere Verlage auch, mit E-Books experimentiert und dabei festgestellt, dass das Verschenken nicht unbedingt schlecht ist fürs Geschäft:
O-Ton 13, Andreas Rötzer: Wir haben ja auch schon Inhalte ins Netz gestellt zur freien Verfügung, schon ein ganzes Buch zum freien Download zur Verfügung gestellt und sehen, dass das überhaupt nicht kollidiert mit den Verkäufen, dass es im Gegenteil sogar förderlich sein kann, weil man bei der Produktion des Buches eben verstärkt auf … oder wir versuchen verstärkt auf die materialhafte Qualität des Buches Wert zu legen und da immer kostbarer zu werden um das als Habenwollen-Produkt zu machen. (…) Wir haben auch schon experimentiert mit einer Koppelung von einem Buch und einem E-Book, das heißt, dass man das E-Book gratis bekommt, wenn man ein Buch kauft, als klassisches Zweitbuch, das man dann vielleicht zum Reisen mitnimmt als E-Book, aber man hat das Buch selbst zu Hause. Das finde ich eigentlich nach wie vor einen schönen Gedanken.
SPRECHERIN: Das E-Book verhält sich also zum gedruckten Buch so wie eine MP3-Datei oder die CD zur Langspielplatte. Die digitale Welt taugt als Speicher für die Informationen. Doch die materiellen, körperlichen Dinge bieten einem Käufer mehr als nur den Datensatz.
O-Ton 14, Thomas Meinecke: Schon jetzt hat ja das Vinyl die CD überlebt, weil das Haptische, das Schöne, das Bibliophile eines Doppelalbums mehr wert ist als einfach nur die Daten-CD, mit der man im Alltag ständig zu tun hat, so ist es ja auch bei Büchern. Wahrscheinlich splittet sich das so. Ich habe mir jetzt das neue Album von Moritz von Oswald gekauft, das ist nur schwere dicke Pappe mit zwei fetten Vinylscheiben drin, und wenn man die rauszieht, kullert noch so eine CD raus, die einfach gratis dabeiliegt, auf der das auch drauf ist. Also insofern denke ich mir, wird es wahrscheinlich verschiedene Formen geben.
SPRECHERIN: Das allerdings würde bedeuten, im digitalen Bereich tatsächlich auf das Eigentum an geistigen Produkten zu verzichten und sie eher als ein Geschenk aufzufassen. Für Thomas Meinecke wäre die Vorstellung, ohne Urheberrechts-Schutz existieren zu müssen, weniger erschreckend als man vermuten könnte.
O-Ton 15, Thomas Meinecke: Ich bin ein Autor, der lebt überwiegend davon, dass diese Produkte, seien es jetzt Tonträger oder Bücher, existieren, aber nicht vom Verkauf, von den Verkaufszahlen dieser Produkte. In meinem Fall sind die relativ niedrig. Aber ich habe ein ganz gutes Auskommen und lebe auch vom Schreiben durch das ganze Umfeld. Das würde auch überhaupt nicht wegfallen, wenn alles nur noch digital wäre, nämlich diskursive Geschichten, ich sitze auf Podien, ich lese aus meinen Büchern, ich lege Platten in Clubs auf. Das ist sozusagen ein gewisser Mehrwert, der so um diese Produkte herum schimmert. Und davon lebe ich in erster Linie, und insofern wäre ich nicht so sehr getroffen dadurch, dass die Produkte sozusagen frei flotieren und einfach so herunterladbar wären. Aber: Der Verlag, der das als haptisch fassbares Produkt noch herstellt, oder das Plattenlabel, der würde natürlich getroffen, weil man mit mir natürlich sowieso nicht viel Geld verdienen kann. Ich habe mehr so ein Komplizenverhältnis. Ich denke mir, ich schreib schwierige Texte, die bringen die schwierigen Texte in die Geschäfte, und es ist schön, wenn man so ein Buch auch in die Hand nehmen und kaufen kann.
SPRECHER: Der Wirtschaftsjurist Eckhard Höffner schlägt als Ergebnis seiner historischen Studie vor, das Urheberecht massiv zu verkürzen. Die sehr langen Schutzzeiten von 70 Jahren nach dem Tod des Autors hält er für schädlich. Er plädiert für mehr Wettbewerb schon bei den Neuerscheinungen, so wie das ja auch bei Klassikerausgaben der Fall ist. Wenn verschiedene Ausgaben miteinander konkurrieren, würden Bücher billiger, die Ausstattung besser. Statt künstlicher Monopole für 70 und mehr Jahre gäbe es eine belebende Konkurrenz. Doch würde es sich für die Verlage überhaupt noch lohnen, bei einer Schutzfrist von nur sechs Monaten Bücher zu übersetzen, zu lektorieren und herzustellen?
O-Ton 16, Eckhard Höffner: Die kurze Frist reicht vollständig aus. Der erste Verleger benötigt eine gewisse Schutzfrist, um seine besonderen Kosten zu decken, aber viel mehr braucht er nicht. Das war damals ja in Deutschland genauso, dass die kurze Frist reichte. Die meisten Filme laufen ja auch nur zwei bis vier Wochen im Kino, das sieht man ja überall, die erste Nachfrage bringt am meisten Geld ein, und die reicht vollkommen aus, wenn man das besondere Risiko und die besonderen Kosten, die man als Erstverleger hat, honorieren will. Aber danach soll wie in allen anderen Branchen Wettbewerb herrschen. Die kurze Schutzfrist wäre vor allen Dingen für die Autoren von Vorteil. Die Autoren könnten bereits bei der ersten Veröffentlichung höhere Entgelte vereinbaren, weil die Verleger sich ja mehr um die Autoren kümmern müssten. Wenn sie schlecht handeln, dann wechselt der Autor zu einem anderen Verleger nach relativ kurzer Zeit. Da sind die Autoren allein Monopolist und haben die viel stärkere Position, währenddessen die der Verleger geschwächt wird. Das ist das Hauptproblem der meisten Künstler heute, ob im Verlag- oder Musikbereich, dass sie in einer ganz schlechten Position stehen, weil die Verleger relativ geringen Bedarf an neuen Werken haben, oder bzw. sie haben eine große Auswahl an neuen Werken, und keines verspricht besonderen Erfolg.
SPRECHERIN: Für einen Verlag wie Matthes und Seitz und Verleger Andreas Rötzer ist diese Vorstellung durchaus verlockend:
O-Ton 17, Andreas Rötzer: Das wäre natürlich besonders für kleinere Verlage sehr attraktiv, weil dann ja jeder einen Bestseller nachdrucken könnte. (…) Andererseits, mit einer anderen Ausgabe, mit der wir Erfolg hatten, Schalamow beispielsweise, dann wenn wir nur kurze Zeit das Urheberrecht hätten, dann hätte jetzt sehr schnell, hätte es viele Nachdrucke gegeben und wir wären auf unseren Übersetzungskosten, Produktionskosten vermutlich hängen geblieben. Also wenn man es so betrachtet, ist das Urheberrecht schon notwendig, um eine Refinanzierung des eingesetzten Geldes zu garantieren oder zumindest weiter zu ermöglichen.
SPRECHERIN: Gerade die kleineren Verlage, die sich keinen großen Vertriebsapparat leisten können, wären dann benachteiligt. Sie können eben nicht in großer Geschwindigkeit große Buchmengen verkaufen und den nötigen Umsatz erzielen. Sie brauchen dazu mehr Zeit, denn sie sind keine Industrie, sondern eher so etwas wie bibliophile Produzenten.
SPRECHER: Wenn es darum geht, im Internet Bezahlformen zu etablieren, dann stößt man immer wieder auf die Idee einer „Kulturflatrate“. Die Anhänger dieser Idee schlagen vor, dass jeder Nutzer eines Breitbandanschlusses monatlich eine Gebühr von ein paar Euro bezahlt. Diese Einnahmen sollen dann nach einem bestimmten Schlüssel an die Urheber ausgeschüttet werden. Diese Idee ist zäh und taucht immer wieder auf. Dabei scheint es jedoch kaum jemanden zu geben, der sie attraktiv findet. Auch die Justizministerin nicht:
O-Ton 18, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Aber was wäre die Konsequenz davon? Dies wäre eine Zwangskollektivierung der Rechte, die einen gewaltigen Verteilungskampf der Urheber um die Einnahmen zur Folge hätte. (…) Das Defizit der Kulturflatrate liegt auch darin, dass es das Urheberrecht auf den bloßen Vergütungsanspruch reduziert. Die Ausschließlichkeitsrechte, die das Urheberrecht gewährt, sind aber eben weit mehr als das. Sie geben dem Urheber die Hoheit, darüber zu entscheiden, zu welchen Bedingungen und in welcher Weise sein Werk genutzt werden soll. Zum Beispiel dürften viele Kreative durchaus etwas dagegen haben, wenn ihr Werk auf einmal auf der Homepage von Rechtsradikalen auftauchen würde.
SPRECHER: Auch Gottfried Honnefelder, Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels ist vehement gegen die Kulturflatrate:
O-Ton 19, Gottfried Honnefelder: Ich habe diesem Gedanken überhaupt nichts abgerungen, denn genau diese Flatrate verwässert das, was wir bedenken müssen, dass es einzelne Urheber sind, denen wir gerecht werden wollen. Ne Flatrate ist wie ne Steuer, eine soziale Abgabe. Das geht nicht dem Gedanken nach, vor dem wir stehen. Ich meine, es gibt doch eine simple Vorstellung. Es gibt Autoren und Schriftsteller, die von dem Einkommen, das sie durch das Erdichten eines Romans haben, leben müssen. Das muss man mal zur Kenntnis nehmen. Sind wir so frei, dass wir sagen, das interessiert uns nicht, der soll bitte umsonst dichten? Der Homer hat doch auch gesungen?
SPRECHERIN: Ungelöst ist vor allem die Frage, wie die Einnahmen einer Flatrate verteilt werden sollten. Darauf weist Verleger Andreas Rötzer hin:
O-Ton 20, Andreas Rötzer: Das ist erst mal ne angenehme Vorstellung. Aber was man dann nur sehr schwer lösen könnte oder nur mit großen Konflikten, das ist der Verteilungsschlüssel. Also wer bekommt dann wie viel von diesen Flatrate-Einnahmen. Dann würden vermutlich die Verlage von sehr populären Büchern, von Bestellern, würden am meisten von der Flatrate abbekommen, genauso wie die populärste Musik am meisten Flatrate abbekommen würde. Es sei denn es ist ein Qualitätsgremium dahinter, eine Art Jury, aber welche Jury soll das sein und wie soll die arbeiten?
SPRECHERIN: Und wo läge das Problem, wenn die Anzahl der Klicks über die Einnahmen entscheiden würden?
O-Ton 21, Thomas Meinecke: Das Problem sehe ich dabei, dass ich in jedem Buchtitel sozusagen das Wort Sex haben müsste, damit ich diese Klicks kriege. Also einen merkwürdigen Populismus, den ich da dämmern sehe in dieser Menge der Nullen und Einsen, die da rumfloaten.
SPRECHERIN: Die Lage bleibt also unübersichtlich. Und sie ist wenig befriedigend für alle, die sich nach Sicherheit und geordneten Verhältnissen sehnen. Künstler werden auch in Zukunft einige Dinge verkaufen, andere aber gratis hergeben. Und vielleicht wird das Netz der Raum sein, in dem Kultur endlich als die „Geschenk-Ökonomie“, von der Jonathan Lethem sprach, zur Geltung kommt.
SPRECHER: Allerdings sollten die Künstler schon selbst darüber entscheiden können, was sie verschenken wollen und wem. Das meinte ja auch die Justizministerin, wenn sie darauf hinweist, dass kein Künstler ungefragt auf der Homepage von Rechtsradikalen landen möchte.
O-Ton 22, Thomas Meinecke: Ich habe ein sehr kollegiales oder freundschaftliches Verhältnis zu meinem Verlag. Wenn ich mal Texte von mir freigeben möchte, irgendwelchen Dritten auch für Nix überlassen möchte, was immer wieder vorkommt, weil sich irgendwelche Zeitschriften, die gar kein Budget haben, melden, dann kann ich einfach meinem Verlag sagen: Übrigens da und da möchte ich, dass die das einfach so kriegen, die brauchen nichts zu bezahlen, und dann ist das mit meinem Verlag eigentlich immer okay gegangen. Ich habe nicht das Gefühl, das mein Verlag mit mir sozusagen Geld macht und mir nicht die Zuständigkeit noch immer irgendwie obliegt, auch selber darüber zu entscheiden, wer kriegt Texte von mir umsonst, wer sollte dafür auch ein bisschen was geben oder auch den Regelsatz zahlen.
SPRECHER: Auch dann, wenn das Urheberecht kein geistiges Eigentum mehr sichern kann, muss es zumindest das Verfügungsrecht der Autoren sichern. Dabei ist es ganz egal, ob es sich um Druckerzeugnisse, Musik oder digitale Dateien handelt. Diese Freiheit steht jedem Urheber zu. Wir müssen uns aber vielleicht daran gewöhnen, dass Freiheit andere Formen als nur die des Besitzens annimmt.
Text: Jörg Magenau
Manuskript der Sendung: „Der Text und das Eigentum. Über die Zukunft des Urheberrechts“
Deutschlandradio Kultur: Kultur und Gesellschaft; Reihe: Literatur 19.30 (21.09.2010)
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