Endspurt

Eines ist hier in Cottbus, beim 20. Festival des osteuropäischen Films, genau so, wie wohl auf allen Filmfestivals der Welt, bei denen am Ende Preise vergeben werden: Zum Endspurt schießen die Spekulationen ins Kraut, welche Filme mit Preisen nach Hause fahren werden. Naturgemäß stehen dabei die abendfüllenden Spielfilme besonders im Fokus.

„Beli, beli svet“, „Weiße, weiße Welt“, von Regisseur Oleg Novkovic, eine serbisch-deutsch-schwedische Gemeinschaftsproduktion wird heiß gehandelt. Das mit reichem Pathos überraschende Drama über das nicht gerade attraktive Thema Arbeitslosigkeit und deren Folgen hat viele stark beeindruckt.

Aber auch „Mutter Theresa der Katzen“ hat wohl große Chancen. Spielfilm-Regie-Debütant Pawel Sala aus Polen beleuchtet die Geschichte eines Verbrechens auf formal ungewöhnliche Weise: Mit der Tat beginnend, erzählt er deren Vorgeschichte rückwärts.

Oft genannt wird daneben der ungarische Wettbewerbsbeitrag „Pál Adrienn“ von Regisseurin Agnes Kocsis. Sie beleuchtet originell und einfühlsam den Prozess der Selbstfindung einer übergewichtigen Krankenschwester. Diese Piroska wird hinreißend von Eva Gabor verkörpert.

Diese drei Filme eint inhaltlich, dass hier anhand von Einzelschicksalen Befunde der Gesellschaft erstellt werden. Formal sind sie überwiegend dem Kammerspiel verpflichtet und leicht zu verstehen.

Originell wäre die Auszeichnung von „Die Versuchung des Hl. Tony“ aus Estland. Regisseur Veiko Öunpuu reflektiert in kraftvoller visueller Gestaltung, die oft an Pasolini denken lässt, das öde Leben eines Mittelstands-Managers. Das ist eine bildgewaltige Ballade voller Rätsel und Geheimnisssen, und bei allem Düsteren des Geschehens – der Anti-Held verliert alles – von wunderbar skurrilem Humor geprägt. Der in Schwarz/Weiß gedrehte Film ist nicht im Handumdrehen zu entschlüsseln. Liebhaber des Ungewöhnlichen aber schätzen ja genau das.

Vier von gerade mal zehn Beiträgen im Spielfilm-Wettbewerb als Kandidaten für den Hauptpreis. Das macht eine Kandidaten-Quote von 40 Prozent. Davon träumen andere, größere Filmfestivals seit Jahrzehnten vergeblich. Somit ist dieses Festival selbst in jedem Fall ein Gewinner. Hoffen wir, dass mutige Verleiher dies zur Kenntnis nehmen und die Filme auch außerhalb Osteuropas bekannt machen.

Peter Claus

Pál Adrienn (Regie: Ágnes Kocsis, Ungarn 2010)