Endspiel mit Adolf und Eva
Verzeihung, aber dies hier ist wirklich ein sehr seltsamer Film. Ich will deshalb auch gar nicht erst behaupten, ich hätte von seinen Intentionen oder seiner Methode allzuviel verstanden. Aber das muss ja wohl auch nicht immer sein.
Am Anfang sehen wir ziemlich lange eine nackte Frau , die auf dem Gemäuer des finsteren »Adlerhorst« vom Obersalzberg herumturnt, offenkundig in vollem Bewusstsein, dass jemand sie durch ein Fernrohr beobachtet. Es ist Eva Braun, die ihren Geliebten erwartet, Adolf Hitler, der mit seiner Entourage eintrifft: Martin Borman, Dr. Josef Goebbels und Gemahlin. Man diniert gemeinsam, es gibt banale, lauernde, absurde Tischgespräche, ein Picnic in der Felsenlandschaft, Eva, die einzige, die sich getraut, dem »Führer« zu widersprechen, will mit ihm schlafen, der fühlt sich zwischendurch nicht besonders, am Abend sieht man Wochenschauen und hört Beethoven-Symphonien, und dann reisen Adolf Hitler, Martin Borman, Josef und Magda Goebbels wieder ab, und Eva Braun bleibt allein zurück. Da war auch noch ein Gespräch mit einem Priester, ein kurzes Erschrecken, als jemand Auschwitz erwähnte, Hitler in Unterhosen, Blicke durch Zielfernrohre auf die nackte Eva und den kackenden Führer, ein ungelenkes Tänzchen und Nebel über den Bergen.
Mit »Moloch« wollte Sokurow, erklärt er in Cannes den Journalisten, den Personenkult, die Verherrlichung der Mächtigen demontieren. Menschen an der Macht seien auch nur gewöhnliche Menschen, und Politik eigentlich tägliche harte Arbeit, die nichts Bewunderungswürdiges an sich habe. Es sei nur die unbegründete Bewunderung und die Demagogie, die die Mächtigen zu besonderen Personen mache. Wenn uns der Film wirklich nicht mehr zu sagen hat, dann ist er entschieden zu »schön«, zu lang und zu seltsam. Was, zum Beispiel, hat die eigenwillige Farb-Choreographie zu bedeuten, mit diesem zwanghaften Grün im Zentrum, warum hört Josef Goebbels sofort zu hinken auf, wenn seine Frau sein Gebrechen imitiert, wieso sind die NS-Wachen im Adlerhorst immer wieder in einer Art verzerrtem Cinemascope aufgenommen, und wovon zum Teufel reden diese Traumtänzer des Nichts?
Sokourovs Film sei zwar irgendwie merkwürdig schön, aber einfach zu russisch, um ihn zu verstehen, behauptet jemand im Internet. Das wiederum ist ziemlich amerikanisch gedacht, aber etwas Besseres fiel niemandem auf der Film-Diskussionsseite ein. Hitler jedenfalls ist hier weder dämonisiert noch vermenschlicht, weder Abbild noch Allegorie. Er ist vielleicht ein Beinahe-Nichts, der blinde Fleck in der Choreographie des Grauens: ein Kreisen um den Führer gibt es da (jeder Schritt, jede Kamerabewegung ein kleines Kunststück für sich), immer bedacht, bei ihm nicht in Ungnade zu fallen, ihm zu gefallen, und zugleich die eigene Person zu erhöhen. Nur Eva will ihren Adi als Mensch und Mann; das geht genauso ins Leere wie der Versuch der anderen, seine Macht zu mythisieren und seine Trivialität nicht zur Kenntnis zu nehmen; es misslingt ihr auch mit der Pistole im Badezimmer. Nicht einmal zu einem König Ubu taugt dieser Hitler im Adlerhorst. Aber tut ihm nicht noch dieses Entfremdungs-Stück in einsamen Höhen zuviel der Ehre an?
Sokourovs Film scheint von nirgendwoher zu kommen und nirgendwo hinzuführen. Er ist weder eine schrille Groteske auf das Sterben der faschistischen Macht, noch gibt er vor, in die Psyche seiner Protagonisten zu tauchen. Er verweist weder auf die Banalität des Bösen noch auf die schaurige Diskrepanz zwischen dem großen Verbrechen und den kleinbürgerlichen Menschen, die es begehen. Er steckt voller Befremdung und Fremdheit, ein absurdes Ballett, das uns vielleicht gerade deshalb so anrührt, weil es nichts zu erzählen und schon gar nichts zu erklären hat. Bilder, die nicht passen. Bewegungen, die nichts vorwärtsbringen. Worte, die nichts bezeichnen. Leere. Vielleicht kommt das der Wahrheit näher als Filme, die man schon versteht, bevor man sie gesehen hat.
Autor: Georg Seeßlen
Text geschrieben 2000
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