Es gibt, offensichtlich für jede und jeden, die das Denken noch nicht vollständig eingestellt haben, die Notwendigkeit eines kulinarischen Diskurswechsels. Außer für das Geld und für ein paar Leute, die daran hängen, besteht nämlich kein Sinn darin, dass sich Menschen auf dieser Erde zu Tode fressen und andere verhungern. Dass Tiere gequält, Böden vernichtet, Seuchen verbreitet und Armut erzeugt wird. Dass „unnütze“ Tiere vergast und zerhackt werden. Und wollen wir wirklich, dass die Welt Lidl und McDonald’s gehört, dass Konzerne wie Nestlé und Monsanto über die Essbarkeit der Welt entscheiden und sich ein paar „Spitzenköche“ derweil mit Reklame für Tütendreck eine goldene Nase verdienen? Eher nicht.
Dass man an die Veränderbarkeit des Menschen glauben kann, sieht man daran, dass die Menschen manchmal ihre Essgewohnheiten ändern. Dass sie es meistens aus völlig falschen Gründen tun, und dass es mehr fatale Auswirkungen hat als im ersten fürsorglich-vorsorglich gedachten Ansatz, lässt einen wieder skeptisch werden. Wer den kulinarischen Diskurs führen will und den Bereich eines Levi-Strauss/Foucault/Barthes-Seminarraums verlassen will, hat schlechte Karten. Denn keiner von den beiden dramatischeren Partnern im Spiel, weder die Vertreter der Convenience & Fast Food/ der Industrienahrung/ der globalen Tötungs- und Konsumfabriken/ der Lebensmittelkonzerne/ der Genpatente auf der einen noch die von Bionahrung/ Vegetarismus/ Regional & Gesund-Ernährung/ globalisierungskritisch bewussten Essern spielen ehrlich. Unter anderem, weil es keine verlässlichen Spielregeln gibt. Gefühle sind einfach, Diskurse machen Arbeit.
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Als Homer Simpson erfuhr, dass sein Hot Dog nicht nur
hauptsächlich aus Haut und Knochen getöteter Tiere, sondern
buchstäblich aus Scheiße gemacht sei, zögerte er nur kurz: schmeckt doch.
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Wir müssen offensichtlich vom Zwang (gegessen wird, was auf den Tisch kommt) über den Marktradikalismus (gegessen wird, was es im Supermarkt gibt) und den Ich-Hedonismus (Ich ess’ was mir schmeckt und wo, wegen der Figur, „du darfst“ draufsteht) zu einer neuen Ethik des kulinarischen Diskurses gelangen (gegessen wird, was mir Freude bereitet, ohne anderswo Schmerzen, Zerstörung und Mangel zu erzeugen – leicht gesagt). Problemfelder, die es dabei zu durchqueren gibt, sind reichlich vorhanden. Erinnern wir an einige der wichtigsten: Die Industrialisierung der Nahrungsmittelerzeugung verwandelt die organische Welt in gefährliche Areale der Monokulturen, deren Systeme nur durch chemische Einfügungen geschützt werden können, die ihrerseits Gefahrenherde ausbilden. Am Ende gehen dabei die beiden Grundlagen aller natürlichen Kreisläufe kaputt, die Böden und das Wasser. In der Massentierhaltung und -schlachtung werden im kreatürlichen Leid auch die Keime für bekannte und unbekannte Krankheiten gezüchtet. Die globalisierten und Konzern-hörigen Warenkreisläufe erhöhen weiterhin den Druck auf die Primärproduzenten, im Preiskampf gewinnt nicht die beste Ware, sondern die Ware, die ihre Verdorbenheit am besten kaschiert. Die Verteilungs- und Assemblierungssysteme sind so kompliziert, dass selbst die Hersteller einer Tiefkühlpizza nicht mehr kontrollieren könnten (wenn sie es denn wollten) aus welchen Ländern, aus welchen Laboratorien und aus welchen Abfallhaufen die Zutaten stammen. Epidemisch auftretende Nahrungsmittelvergiftungen und Erkrankungen durch neue Bakterien, die in Windeseile auf der Welt herum ex- und importiert werden, lösen bei den Regierungen selten mehr als ein Achselzucken aus: Sie können und wollen die Bevölkerung nicht wirklich gegen die schleichenden wie gegen die explosiven Vergiftungen durch konzernglobale Nahrung schützen, das wäre ökonomisch unklug. (Und damit wir uns auch schon gar nichts mehr vormachen: Die wenigen Erfolge, die es in der Erforschung der Intoxinationen durch die globalen Sample-Nahrungen gab, verdankten sich vor allem den militärischen Forschungen beim biological warfare in der Zeit nach dem 9/11-Geschehen. Ohne Terror und Gegenterror wüssten wir vermutlich nicht einmal, dass eine Reihe von Kindern in den USA und in Europa an E.coli 0157:H7-Bazillen gestorben sind, die sich in Hamburger-Brätlingen über die Welt verbreiteten, von denen keiner in der weltweiten Firma wissen mochte, wo zum Teufel sie eigentlich herkamen. Man weiß es übrigens immer noch nicht, aber ist das etwa ein Grund, nicht zu McDonald’s zu gehen? Als Homer Simpson erfuhr, dass sein Hot Dog nicht nur hauptsächlich aus Haut und Knochen getöteter Tiere, sondern buchstäblich aus Scheiße gemacht sei, zögerte er nur kurz: Schmeckt doch. Und hörte Homer Simpson auf am größten Sandwich der Welt zu essen, als es von Schimmel überzogen zu zerfallen begann? Weder Information noch Evidenz erreichen die kulinarischen Parallelwelten, und möglicherweise gilt, was für Homer Simpsons Hot Dogs gilt auch für deinen Bio-Laden im Kiez, nur in einer anderen kulinarischen Sprache.) Das Branding, die Werbung und die Verpackung erzeugen eine kulinarische Parallelwelt, in der gleichsam ein Großteil der Nahrung fiktionalisiert ist. Ein „Fruchtzwerg“ ist vor allem eine Bildergeschichte, was in dem Becher wirklich drin ist, hat mit den durch sie geweckten Vorstellungen nicht das geringste zu tun. Gewisse Wurstwaren schmecken nicht nach Fleisch sondern nach schmieriger Fernsehprominenz, und gerade darauf haben wir offensichtlich den größten Appetit. Den regionalen landwirtschaftlichen Märkten werden die Grundlagen entzogen: die Mega-Konzerne wie Nestlé kaufen die Rohstoffmärkte zu Dumpingpreisen leer und schicken Hamburger, Milchpulver, Dosensuppen und Kartoffelchips zurück; was Nestlé verwüstete, das forstet Monsanto wieder auf, als genetisch-juristischen Sklavenpark der Post-Landwirtschaft. Sie holen sich gewissermaßen „Natur“ um sie durch Un-Natur zu ersetzen (und so, zum Beispiel, kommen die einstigen „Wohlstandskrankheiten“, Übergewicht, Diabetes oder Herzinfarkt, in die Zonen der Armut, denn gerade dort, in der Megacity des „unterentwickelten“ Landes wie im Ghetto der Industrienationen, gibt es zur konzernindustriellen Nahrung keine Alternative mehr). Zusatzstoffe und Geschmacksverstärker machen die Nahrung nicht nur immer künstlicher, sondern auch immer unberechenbarer (was davon im einzelnen etwa das Immunsystem angreift – schwer zu sagen). Institute mit wohlklingenden Namen und ansehnlichem Werbeetat erzeugen auch noch eine dritte Erzählung der Nahrung: alles bestens, wohl bekomm’s. Natürlich belastet die Globalisierung auch durch den Transport die Umwelt; Olivenöl, Äpfel und Joghurt werden zwischen den Ländern hin und her transportiert, die sich sehr gut mit Olivenöl, Äpfeln und Joghurt selbst versorgen könnten. Der Markt will es eben so (und die Regierungen wollen Markt und noch mehr Markt und pumpen, Juchhee Wachstum, unser Geld in die fröhlichen europäischen Joghurtfahrten). Schließlich ist auch die Fleisch-Gier der reicheren Länder ein nicht unerheblicher Faktor bei der Zerstörung der Umwelt (besonders gern erwähnt, weil kindliche Drastik ihre Wirkung selten verfehlt: Weide- und Mastkühe, die unsere Atmosphäre kaputt furzen oder rülpsen) und bei der brutalen Verteilung von Mangel und Überfluss (zu recht nennt Jean Ziegler die Tatsache, dass Tag für Tag Kinder verhungern müssen, ganz einfach: Mord).
So weit, so schlecht, und die meisten der erwähnten Menschen, die das Denken noch nicht vollständig eingestellt haben, sind sich zumindest bewusst, dass man um eine gewisse persönliche und kollektive Militanz nicht herum kommt, wenn auch nur das Furchtbarste verhindert werden soll (wir wollen indes nicht unterschlagen, dass die Industrialisierung der Nahrung bei Zeiten und Gelegenheiten auch ein Segen für die Menschen war und Liebigs Fleischextrakt möglicherweise durchaus etwas für die Humanisierung der Zivilisation getan hat), bevor diese Probleme offensichtlich in Sphären aufsteigen, in denen man sie als „unlösbare“ entrückt sieht (was wäre zu machen, wenn Regierungen, Konzerne und Kunden, einander verführend und einander terrorisierend, „am selben Strang zögen“?).
Ab da freilich beginnt sich der kulinarische Diskurs heftig aufzuspalten, und vielleicht gerade weil der politische Ansatz so wenig Aussicht auf Erfolg zu haben scheint (wir sind indessen nicht sicher, ob es dabei nicht auch um vorauseilenden Kleinmut geht), lädt er sich mit moralischen, hysterischen, religiösen (bzw. pseudo-religiösen), sentimentalen, dogmatischen, tugend-terroristischen, bekenntnishaften, kurz mit fiktionalen oder gegen-fiktionalen Elementen auf. (Eines der harmloseren Symptome dabei ist der Umstand, dass Bücher über Ernährungskatastrophen oder kulinarische Diskurswechsel in aller Regel mit dramatischen Geschichten über kindliche Opfer falscher oder vergifteter Ernährung oder mit intimistischen Selbstbekenntnissen beginnen; wissenschaftlichere Bücher zum gleichen Thema, weniger gern gekauft, beginnen statt dessen gern in der Tat bei Adam und Eva, die offensichtlich eher vegetarisch lebten und gerade mal den Wurm im Apfel als Fleischzugabe akzeptierten.) Am Ende stehen sich paradoxerweise zwei kulinarische Parallelwelten gegenüber, die Erzählung von der glücklich machenden und kommunikativen, bequem und sauber zu erhaltenden, der schnellen Zwischendurchmahlzeit und der Hypertechnik in der Küche angepassten Industrie-Nahrung, und der Erzählung der „gesunden“, moralischen, natürlichen und regionalen (möglichst fleischlosen) Nahrung der diesbezüglich „bewussten“ Menschen. Die Guten, die Bösen und die Dummen. Die beiden kulinarischen Grund-Erzählungen sind natürlich konsequent und trickreich aufeinander bezogen. Während sich die eine, die, sagen wir Minderheiten-Erzählung der gesunden und moralischen Ernährung aus der vehementen Ablehnung der ersten entwickelt, klaut der industrielle kulinarische Mainstream skrupellos Labels wie „Natur“, „biologisch“ und „gesund“. (Da haben wir schon einen Grund für diese gelegentlich leicht unangenehme Hysterisierung: die Waffen auf dem Medienmarkt sind ungleich verteilt, der Minderheiten-Diskurs muss in der Aufmerksamkeitsökonomie zu rabiaten Mitteln greifen, und es ist nicht unbedingt der Verstand, wo man die Menschen am leichtesten abholt, daher das Faible für apokalyptische Modelle, Intimität, Splatter-Effekte und Ekelbilder.)
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Gewisse Wurstwaren schmecken nicht nach Fleisch, sondern nach schmieriger
Fernsehprominenz, und gerade darauf haben wir offensichtlich den größten Appetit.
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Beginnen wir also einmal anders: Die Welt, sagt das Subjekt im Werden, ist alles was der Happs ist. Und vor die Fragen: Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen? Kommt eine entscheidendere: Was kann, soll, darf ich essen? Die Welt versteht man, indem man lernt, das Essbare vom Nicht-Essbaren zu unterscheiden. Das Schmackhaftere vom Gewöhnlichen, und das gerade noch Erlaubte vom Verbotenen. Und schon ist, neben der Natur, die dir’s eigentlich schon beibringen würde, die Kultur da, die dir sagt, dies darfst du essen und jenes nicht, die Erklärung dafür liegt in merkwürdigen Geschichten von Ahnen, Göttern und Dämonen. Essen ist von vornherein mit Schuld verbunden, wie Sex, nur ganz anders. Kurz und gut: Von Anfang an scheint es da einen doppelten Code zum Essbaren/Nich-Essbaren zu geben, den natürlichen (dieses Kraut zu essen bedeutet Bauchschmerzen) und den kulturellen (dieses Tier zu essen bedeutet eine Beleidigung der Götter). Kleinbürgerliche Vernunfthuber haben immer wieder versucht, das eine als mythische Maskierung des anderen und als „archaisches“ Überbleibsel zu deuten. (Schweinefleisch-Verbot in heißen Gegenden hat was durchaus vernünftiges, heißt es dann.)
Man behauptet, es gebe so etwas wie eine kulinarische Urvernunft, die auch den Menschen nicht ganz verlassen habe, etwa in dem Sinne, dass man nicht isst, was einem selber schadete, aber auch nichts (oder zumindest nicht zuviel) von dem, was der Welt so schadet, dass sie einen wesentlichen Aspekt ihrer Essbarkeit verliert. (Es ist, zum Beispiel, gut, wenn man nicht gezwungen wird, gewisse Tiere so ratzfatz zu fressen, dass sie aussterben oder wenigstens die Region verlassen, und später ist es gut, wenn man nicht gezwungen wird, das Saatgut für’s nächste Jahr aufzuessen.) Und dann wird uns, man kennt die Geschichte mit den Spiegelneuronen, klar, dass man ein Wesen ist, das, um zu überleben, töten muss. Dass das Kaninchen, das ich esse, gern noch ein bisschen weiter gelebt hätte, und dass es Angst und Schmerz erdulden musste, als es in meine Falle ging. (Unklar ist nur, wo diese Fürsorge endet, bei der Krähe, die meine Saat vernichtet oder doch erst bei der Mücke, die ich erschlage, nachdem sie mich gestochen hat.)
So entstehen, nach dem Ur-Modell des kulinarischen Dreiecks, von dem Claude Levi-Strauss berichtete (Das Rohe – Das Gekochte – Das Verdorbene) eine Anzahl weiterer solcher Dreiecke. Das erste:
Das Gefundene – Das Gezüchtete – Das Gejagte
Primär ist es dabei noch gar nicht entscheidend, ob es sich um pflanzliche oder um tierische Nahrung handelt. Beim Gefundenen geht es um einen Überschuss der Natur, Früchte, die ein Baum abgeworfen hat, ein verendetes Tier. Das Gejagte, das Erbeutete, ist dagegen etwas Lebendes, eine Pflanze, die mit Stumpf und Stiel gefressen wird, ein Tier, das vor dem Fressvorgang oder währenddessen getötet wird. Das Gezüchtete schließlich wäre, so wie es ist, gar nicht auf der Welt, wenn es nicht als Pflanze gesät und bewässert, als Tier gefüttert und beschützt würde. Der Sämann und der gute Hirte als Muster positiven Umgangs mit der Natur machen die Welt auf neue Weise essbar, nämlich auf planende und eingreifende. Und ab jetzt tritt der zweite Diskurs in sein Recht: Beim Vorausschauen und Vorrathalten müssen einerseits natürliche Vorgänge gestoppt oder manipuliert werden (man muss etwas trocknen, man muss die Milch der Kühe in Käse verwandeln, um sie haltbar zu machen, man gelangt, wo es die Umwelt nahe legt, vom gekochten Brei zum gebackenen Brot, Salz, Hefe, Gewürze, auch Gärung als kontrollierte Form des Verderbens kommen hinzu). So beginnt ein endloser Vorgang der Transitionen des kulinarischen Codes. Im wesentlichen geht es aber immer um drei Elemente: sich so weit als möglich von den Zyklen der Natur unabhängig machen, im tiefen Winter entweder Vorräte haben oder die entsprechende Bio-Energie in lebende Tiere investiert haben, die man dann, so oder so, anzapfen kann. Der Nahrung eine Ordnung zu geben; wer kocht den Brei, und wer bekommt ihn; jede Gemeinschaft ist eine Gemeinschaft der Essenden. Und zu essen ohne zu vernichten, nicht heute auffressen, was im nächsten Jahr nicht ersetzt werden kann. Fernsehende Industriemenschen bewundern gern „Naturvölker“ dafür, „im Einklang mit der Natur“ zu leben. Man könnte sagen: Wir starren da mit fassungsloser Neugier auf Menschen, die noch nicht so vollständig verblödet sind wie wir. Und dann schicken wir ihnen das Fernsehen und Nestlé.
Erst einmal geht es ums Überleben, dann geht es um die gemeinschaftliche Ordnung, schließlich um die planende Vernunft und am Ende um eine Moral, die aus dem Urgrund dieser Erkenntnis stammt, dass Essen und Töten miteinander verbunden sind. Das ganze freilich ist nicht allein in einer bestimmten Praxis, sondern an sich schlimm, eine Welt in der gegessen werden muss, kann nicht ganz und gar gut sein (in Science Fiction Romanen träumt man hier und dort von einer vollständig künstlichen Nahrung als Voraussetzung des wahren Friedens; aber im derzeitigen Krisenstatus der meisten kulinarischen Diskurse ist das „Künstliche“ beinahe so abgelehnt wie das „Böse“, das heißt die Nahrung ist so schlecht, die aufgrund einer „Schändung“ der Natur entsteht wie jene, die von ihr vollkommen absieht).
Eine Möglichkeit ist es, das Getötete, Pflanze wie Tier, zu respektieren, ihm geschwisterlich zu danken und vor allem: nichts „verschwenden“. Je gründlicher das Getötete verwertet wird (wir haben die Prärie-Indianer und ihre Bison-Kultur im Kopf, die von den weißen Eindringlingen so zielgerichtet vernichtet wurde), desto begrenzter sind die Akte des „notwendigen Tötens“. Sowohl die gejagten als auch die gehegten Tiere müssen nicht fürchten, wie, sagen wir in den ersten Perversionen des kulinarischen Diskurses im europäischen Monarchismus und seinen Karikaturen, um einer „Spezialität“ oder um einer „Trophäe“ willen getötet und am Ende ausgerottet zu werden (weil die kulinarische „Perversion“ den Wert ins Unermessliche steigert). Kluge kulinarische Vorschriften (das Fleisch für das Fest und die Pflanze für den Alltag) sorgen weiter dafür, dass ein Gleichgewicht zwischen dem Genommenen, dem Gegebenen und dem Nachwachsenden besteht.
Eine zweite Möglichkeit ist es, eine nachhaltige Ordnung der Essbarkeit zu errichten, zu schonen und zu warten, nicht alles und zu jeder Zeit für essbar zu erachten und, auch jenseits des konkreten Sinns, Hunger, Appetit und Gier kulturell zu ordnen (Hütet euch vor Menschen, die nicht gern übers Essen sprechen!). Auch die Fiktionalisierung der Nahrung war daher anfänglich ein sehr brauchbarer kultureller Effekt. Primär jedenfalls war die kulturelle Kontrolle des kulinarischen Diskurses wohl auch für die Natur ein wahrer Segen.
Unglücklicherweise aber gibt es diese Geschichte mit den Kirschen in Nachbars Garten, oder einfacher gesagt: Die Mächtigeren fressen den Ohnmächtigeren, die bewaffneteren den unbewaffneteren Gruppen das Beste weg. Wir essen nicht nur miteinander sondern auch gegeneinander. So entstehen neben dem Gefundenen, dem Gezüchteten und dem Gejagten gleich zwei neue Kategorien: Das Geraubte und das Enteignete (wobei das erste sich oft in das zweite verwandelt). Also nächstes Dreieck:
Das Eigene – Das Enteignete – Das Geraubte
Das Eigene ist natürlich ein erstes Enteignetes, nämlich „der Natur“, aber wir denken es uns in der Regel als organische Balance. Das Geraubte ist das, was die Sieger den Verlierern wegnehmen, und weil die Sieger nun über wesentlich mehr verfügen als sie benötigen, machen sie eben das, was vorher sich von selber verbat: Sie wählen das Beste (welcher Code auch immer das bestimmt) und lassen den Rest verderben. Sie erzeugen auf der anderen Seite einen Hunger, der nie wieder in eine kulinarische Harmonie zu bringen ist (es ist der Ärmste der Armen, wie bei Pasolini, der sich buchstäblich zu Tode fressen muss). Und wie sich aus dem gejagten das gezüchtete ergab, so ergibt sich nun aus dem erbeuteten das enteignete Nahrungsmittel. Warum sollten die Gewinner sich damit zufrieden geben, den Verlierern das Essen wegzunehmen (und das nicht benötigte zu vernichten, um die Verlierer nachhaltig zu schwächen), wenn es doch möglich ist, sie zur Erzeugung der besseren Nahrung zu zwingen. Aus der Arbeitsteilung bei der Nahrungsbeschaffung wurden Sklaven, Leibeigene, Hintersassen, Pächter, Lohnarbeiter und so weiter, zunehmend organisiert und technifiziert: Immer geht es darum, das Kulinarische an die Herrschaft zu binden, und der Herrschaft auch eine kulinarische Sprache zu geben. (Übrigens ist es natürlich für die Herrschaft auch von Vorteil, den Vorgang des Tötens auf diese Weise herrschaftlich zu teilen; Herrschaft kann sich als Jagd beweisen, in einem symbolischen Schauspiel der Macht über die Natur, und die sich anschließende Drecksarbeit der Verwandlung des toten Tieres in ansehnliche Nahrung, den Beherrschten überlassen; Herrschaft kann aber auch den ganzen Vorgang dieser Transition aus dem eigenen Lebensbereich verbannen; Herrschaften wohnen nicht in der Nähe des Schlachthofes.) Die Rolle des Subjekts im kulinarischen Diskurs tritt zurück; für „falsches“ Essen, sei’s das Wildern im Wald der Herrschaft, sei’s die Verletzung des Speise-Tabus, kann man getötet oder verbannt werden.
Kurz und gut: Der kulinarische Diskurs ist nicht „dem Menschen“ eigen, sondern dem sozialen Diskurs der Macht unterworfen. Nicht nur in der Makrophysik, Überfluss für die Gewinner, Hunger für die Verlierer, sondern auch in der Mikrophysik der Macht: Essend, vom Affenfelsen zum TV-Programm, beschreibt und behauptet jemand seinen sozialen Ort (auch die bürgerliche Intimisierung und Familialisierung war da keine Alternative sondern im Gegenteil ein sehr präzise eingesetztes kulinarisches Machtmittel gegen oben wie unten). (Und unnütz zu sagen, dass der kulinarische Diskurs hierzulande immer noch die Spuren der Geschlechter- und Generationenunterdrückung eines „Patriarchats“ aufweist. Immer noch sollen bestimmte Speisen männlich und stark machen, andere sanft und gefügig, immer noch gibt es die hierarchische Aneignung besonders symbolischer und besonders obszöner Nahrung; im Gegensatz zu früher machen wir heute den größten Stuss der Nahrungscodes indes freiwillig mit; der Code ist medial verflüssigt, oder anders gesagt: Der Markt regelt den Geschmack, so wie der Geschmack den Markt regelt.)
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Im Preiskampf gewinnt nicht die beste Ware, sondern die,
die ihre Verdorbenheit am besten kaschiert.
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Gesellschaften, die sich, wie man so sagt „ausdifferenzieren“ und sich dann am Ende wunders was einbilden, sogar „hochdifferenziert“ zu sein, haben am Ende auch ausdifferenzierte oder gar hochdifferenzierte kulinarische Codes. So gibt es schließlich wesentlich kompliziertere Unterschiede als die zwischen einem bürgerlichen und einem proletarischen Abendmahl (von den Speisen-Schaus der wirklich Mächtigen ganz zu schweigen). Und jetzt übertrifft endgültig ein dritter Diskurs die beiden vorhergehenden, nämlich den „natürlichen“ und den „kulturellen“ Diskurs des Essbaren/Nicht-Essbaren, und zwar der soziale Diskurs. Man isst also nicht nur, was man sich leisten kann, sondern man isst auch, was von einem erwartet wird. Im übrigen pflegt man die Kunst, die Widersprüche zwischen den kulinarischen Diskursen durch Rituale („Komm Herr Jesus, sei unser Gast…“), Manieren („Iss nicht Fisch mit Messer!“) und Ordnungen („Papa schneidet den Truthahn an“) zu lösen. Je prekärer die soziale Situation, desto unheimlicher das Essen. Der Essenstisch ist ein gefährlicher Ort (sprechen wir nicht von Giftanschlägen oder unmanierlichen Ausfällen), weil dort zugleich die Naturphilosophie, der soziale Status und die Balance von Weltläufigkeit und Vertrautheit ausgehandelt wird. Der kulinarische Vertrag ist durch Heikelkeit ebenso wie durch Gefräßigkeit, durch „Gewöhnlichkeit“ ebenso wie durch „Perversion“ gefährdet. Ein Gutteil der kulturellen Energie einer Gesellschaft geht in die Produktion, Überwachung und, gelegentlich, Veränderung des kulinarischen Codes (der nun natürlich, durch „Globalisierung“ seine horizontale Verlässlichkeit verliert und entsprechen vertikal verschärft wird: je weniger eine Küche regional bestimmt ist, desto heftiger ist sie dem Zwang zu einer allgemeineren und subjektiven moralischen Begründung unterworfen).
Ein ernsthaftes Problem indes entsteht, wenn der kulinarische Diskurs der Gesellschaft und der Individuen nicht mehr in der selben Sprache besteht (an die Stelle der Synchronisierung von Geschmack und Macht entsteht der Widerspruch von Interesse und Moral). Man könnte das wohl für den Augenblick so beschreiben: Der kulinarische Diskurs der Gesellschaft ist so gewalttätig, vergiftet und unmoralisch, dass eine wachsende Zahl von Individuen einfach nicht mehr mitmachen wollen und können und einen Gegen-Diskurs entwerfen, der nun eben (möglicherweise) drauf und dran ist, die Sphären von „Privatsache“, „Sektierertum“ oder „Gesundheitsbewegung“ zu überschreiten. Der Erfolg eines Buches wie das von Jonathan Safran Foers, „Eating Animals“, mit seiner durchaus präzisen und durchaus nicht eifernden Schilderung des Massentierbetriebs und seiner Unmenschlichkeit, wird auf diese Weise mainstreamfähig, weil er der allgemeinen Erkenntnis, etwas stimmt nicht mit dem kulinarischen Code und seiner Praxis, Bild und Erzählung gibt. Man könnte es aber auch genau anders herum beschreiben: Der späte Kapitalismus verzichtet im Interesse der Ökonomie darauf sowohl den Menschen als auch die natürlichen Ressourcen zu schützen, halbwegs verlässliche vernünftige und moralische Standards zu setzen und überlässt die kulinarische Sorge für das Subjekt wie für die Welt (wie auch die anderen Formen der Für- und Vorsorge) dem Einzelnen. Gesund, ethisch, nachhaltig und solidarisch isst daher jener, der es sich leisten kann, in einem direkten ökonomischen wie in einem indirekt kulturellen, sozialen, medialen Sinn. Ein entscheidender Schritt dazu, zu sich selbst und zur Welt etwas besser zu sein, mag der Verzicht auf den Verzehr von Fleisch getöteter Tiere sein. Und auch das entspricht wieder einem spannungsvollen Dreieck:
Gesundheit – Spiritualität – Ethische Vernunft
Im Vegetarismus treffen sich also Impulse, die sich an anderen Orten als heftige Widersprüche gegenüberstehen zu einem vergleichsweise stabilen (manchmal auch: geschlossenen) System des kulinarischen Codes, der gerade deswegen belastbar ist, weil sich die Eckpunkte individuell bewerten lassen (Gesundheitsapostel, Ökofreak und Esoteriker, um in der Gegen-Sprache zu bleiben); im mehr oder weniger asketischen Verzischt treffen sich zur Belohnung Ich, Natur und Gesellschaft, die ansonsten kaum noch etwas miteinander gemein haben. Das hat Geschichte.
Aus sehr spezifischen Speisevorschriften entwickelte sich wohl zuerst im Griechenland des sechsten vorchristlichen Jahrhunderts eine religiöse Linie, die „Orphiker“, die den Verzehr alles „Beseelten“ verbot, und vermutlich ebenfalls zum ersten Mal ging es dabei um Askese, Verzicht und Reinheit. Es ging also keineswegs um das Nicht-Begehren von Fleisch getöteter Tiere, sondern im Gegenteil um das „Bezwingen“ dieses Begehrens. Schlechter Start für den Vegetarismus. (Und noch in das Soja-Fleisch-Imitat ist dieser schlechte Start gegenwärtig, wie in der Variation der Süßigkeiten: Als müsse man sich über einen Verzicht trösten.) Seitdem ziehen sich vegetarische Linien durch nahezu alle Religionen und Philosophien, natürlich am konsequentesten dort, wo man an die Wiedergeburt glaubt und daran, dass in jedem Tier ein Mensch der Vergangenheit oder der Zukunft steckt. Wenn man von einem temporären oder allgemeinen Verzicht zugunsten von Reinheit und Askese absieht, so ist Vegetarismus offensichtlich eine umgekehrte Bestimmung dessen, was als „beseelt“ angesehen wird und was nicht. (Menschen werden offensichtlich nicht als Steckrüben wiedergeboren, und Kartoffeln haben keine Seele. Umgekehrt haben brachial-christliche Interpretationen die Welt, die man sich gefälligst Untertan gemacht hat, zum Fressen gern, weil die Seele sowieso erst beim getauften Christenmenschen anfängt; daher die allfällige Furch vor dem Kannibalen.) Der moderne Vegetarismus, der in seinen Ursprüngen bei der Lebensreformbewegung genauer gesagt eher so etwas wie ein anti-moderner Impuls war, säkularisiert diese Seelentheorie höchstens an den Rändern, durch eben den Diskurs der Gesundheit (die Probleme des Ich sollen gelöst werden) und den der sozialen und historischen Vernunft (die Probleme der Welt sollen gelöst werden). Es ist eine gelebte Ordnung der Beziehung zwischen Ich und Welt, oder, um es mit den Worten des Handbuchs für „Alternative Ernährungsformen“ zu sagen: „Der Vegetarismus ist heute weitaus mehr als nur eine Ernährungsweise – er wird als Weltanschauung verstanden und gelebt“.
Wenn das zutrifft (in großen Zügen immerhin, denn es gibt sicher eine Anzahl von Menschen, die ihre Ernährungsweise eben gerade nicht zur Weltanschauung machen wollen), so wird verständlich, warum es zwischen dem Nachdenken über den kulinarischen Diskurs und dem bekennenden und theorie-gestützten Vegetarismus so wenig kreative Berührungspunkte gibt. Weltanschauungen haben einige sehr unangenehme, manchmal ausgesprochen aggressive und der Aufklärung und Selbst-Aufklärung nicht eben zuträgliche Eigenschaften. Von der Mutation von Religion und Kultur zu Weltanschauung gewinnt auch der Vegetarismus einen Zuwachs an Impulsen des Totalen: Das Ganz oder Garnicht, der Wechsel zwischen Missionseifer und sektiererischem Abschotten, die bedenkenlose Vermischung aller „nützlichen“ Diskurse und das gekonnte Ausblenden anderer, die Vermengung zum Beispiel des Naturwissenschaftlich-Medizinischen mit dem Spirituellen, die Drastik der eigenen Erzählungen („Leichenfetzen“, „Tiermörder“) und die Heilserwartung (mir geht es besser; ich bin besser), die Abgrenzungskämpfe innerhalb der eigenen Bewegung („Pudding-Vegetarier“, die tierische Produkte in verarbeiteter Form tolerieren, haben einen ganz schlechten Ruf in der Szene, und die Milchprodukte verzehrenden Lakto-Vegetarier, gar eierspeisende Ovo-Vegetarier sind höchstens auf halbem Weg). „Zutiefst überzeugte“ Vegetarier (und nicht einfach Leute, die es für sich und den Rest der Welt aus einer Anzahl von Gründen besser finden, keine Tiere zu essen, solange es nicht unbedingt erforderlich ist, wie, sagen wir, bei einem Eskimo im ewigen Eis) sind für die Behandlung des kulinarischen Diskurses so verloren wie es Homer Simpson ist. Es kommt noch schlimmer. Einem konzernindustriellen System der Zwangsernährung ersteht da als einziger ernst zu nehmender Konkurrent (sieht man vom „bewussten“ touristischen Luxusfressen der Besserverdienenden ab) ein manichäischer Speise-Rigorismus, der sich von seinen religiösen Wurzeln nicht recht trennen kann und sich daher entweder als Verzicht genießt oder aber unentwegt „Ersatz“ erzeugt.
Nicht unbedingt als Praxis, wohl aber als kulturelles Phänomen scheint der Vegetarismus in Wellenbewegungen aufzutreten, und dabei ist es natürlich kein Wunder, dass er die jeweiligen Medien benutzt; von der Agora zur Piazza, auf der der charismatische Lehrer seine Methoden der Reinigung und seine Seelenordnungen verkündet, über die endlosen Vereinsgründungen und Vereinsspaltungen, Vereinsorgane und Vereinsgründer im neunzehnten Jahrhundert bis zur medialen Präsenz von Promis, Pop-Verkündigungen und Bestseller-Hypes unserer Tage. So viel Presse hat der Verzicht aufs Tiere essen nach Jonathan Safran Froers Buch selten gehabt. So eine Weltanschauung weiß schon, wie man sich verbreitet. Und es ist klar, dass diese Wellen in Zusammenhang stehen mit Explosionen und Katastrophen des bewusstlosen Quantitätsfressens. Im übrigen scheint es auch kein Zufall, dass in Europa der Vegetarismus als Weltanschauung, soweit er sich mit den üblichen statistischen Mitteln erfassen lässt, mit Abstand in jenen beiden Ländern am meisten verbreitet ist, die gern Schreckbilder der Fleischgier erzeugen, nämlich Deutschland und England. (Wir sagen nur Leberkäse und Nierenpudding, um leichte Anfälle von Brechreiz zu erzeugen.)
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Und dann wird uns klar, dass man nur ein Wesen ist,
das, um zu überleben, töten muss.
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Signifikant natürlich (und nicht unerheblich daran beteiligt, dass uns Vegetarismus gelegentlich als hoch komische Angelegenheit erscheint), ist der Umstand, dass die Bewegung zum natürlichen und schließlich zum fleischlosen Nahrungsmittel vorwiegend aus dem dynamisch-prekären Kleinbürgertum und aus dem tertiären Sektor kommt. Man könnte daher durchaus diesen Diskurs in eine Art von Klassenkampf, zumindest in einen Kampf um kulturelle Hegemonie und Deutungshoheiten stellen. Wir wissen nur zu gut: Armut macht dick, Riesenfleischportionen und das Leben als endlose Grillparty sind „Unterschichtphänomene“, und wir wissen, wenn es gar nicht mehr anders geht, auch von unseren Fernsehköchen: Das ist nicht, wie es auf den ersten Blick erscheint, eine Frage des Geldes. Die (relativ) Armen ernähren sich nicht deswegen so falsch (und „unmoralisch“), weil sie sich nichts anderes leisten könnten, sondern deshalb, weil sie im Nahrungsmittelangebot des Discounters fälschlicherweise einen Anteil am Reichtum vermuten. (Ein gewisser Typus von blasiertem Mensch im Bioladen tut allerdings schon auch das seinige im Klassenmampf.)
Im klassischen Bürgertum war der Vegetarismus oft eine Waffe im Generationenkonflikt, eine moralische Verweigerung gegenüber einem kulinarischen Code, der in der Tat Ausbeutung und Gewalt nicht nur voraussetzt, sondern auch ausdrückt (ein bisschen arg freudianisch könnte man wohl für die bürgerliche Gesellschaft die Verweigerung von Fleisch mit der Verweigerung des Vaters gleich setzen); mittlerweile indes geht es auch um Abgrenzungen innerhalb der Mittelschichten. Vegetarismus als Weltanschauung, liest man nur die gerade marktbestimmenden Bücher zum Thema etwas genauer, hat sich mit einer Erfolgsgeschichte verbunden, erzählt, neben Gesundheit und Gewissen, von Leistungsfähigkeit, Ausdauer und sozialer Akzeptanz, von positivem Denken. Wie könnte es auch anders sein: In der Spannung zwischen Ich und Welt, die, unter vielem anderen, durch eine zur Weltanschauung gewordene Ernährungsordnung behoben werden soll, spielt das Ich nun die wesentliche Rolle. (In der Regel geht es also um die Aneignung und „Erarbeitung“ eines kulinarischen Codes und nicht mehr um die Unterwerfung unter dogmatische Speisevorschriften. Bravo!) Die bewusste Entscheidung für einen kulinarischen Code mit einer Philosophie (oder etwas ähnlichem) im Zentrum, stärkt zweifellos das Individuum im Kampf mit der Regierung und dem Markt: Der vegetarisch lebende Mensch zeigt, dass er sich weder von den Illusionsbildern der Werbung noch von den Preismanipulationen der politischen Ökonomie den kulinarischen Code diktieren lässt. So hat Vegetarismus als soziale Bewegung einen durchaus politischen Charakter, hier und da versteht er sich wohl auch als „antikapitalistische“ Geste. Und keine Sorge, die Tatsache, dass ein paar wirkliche Monster der Weltgeschichte, mit Adolf Hitler angefangen, Vegetarier waren, belegt so gut wie gar nichts (interessant immerhin an der faschistischen Erzählung: Hitler musste vegetarisch sein, seine Entourage durfte es keinesfalls sein).
Statt vom Verein und seiner Organisation hängt der Erfolg des Vegetarismus nun von der medialen Selbstdarstellung der Vegetarier ab; schaffen sie’s im Fernsehen, dann schaffen sie es überall. Rockstars und Promis sind derzeit die besten „Botschafter“ der fleischlosen Kost; es scheint eine hervorragende Rückbindung aus der Plastik- an die wirkliche Welt. Und die Zeit dafür ist günstig, denn solche allgemeinen Reinigungszeremonien pflegen dann ihr Werk zu tun, wenn sich die politische Ohnmacht wieder einmal besonders deutlich zeigt. Können wir also nicht durch eine dringliche Veränderung des kulinarischen Codes unseren Teil dazu beitragen, die Welt zu verändern? Eine Welt mit mehr vegetarischer Ernährung hätte zweifellos das Zeug dazu, friedlicher, gerechter, nachhaltiger und harmonischer zu sein. (Allerdings scheint die Hoffnung, dass sich Menschen, die sich auf rein pflanzlicher Basis ernähren, als Subjekte weniger mörderisch verhalten, nicht zu erfüllen, was uns ein Blick auf Massaker in sehr fernen Ländern und auf das Sozialverhalten der vegetarischen Nachbarin lehren können, die im Namen sehr seltsamer Organisationen sehr seltsame Faxe versendet und dabei vor unverhohlen sadistischen Drohungen nicht zurückschreckt.)
Tückischerweise wird die moralisch, politisch und, nur leicht im Hintergrund, auch sexuelle Aufladung des kulinarischen Codes dabei allzu leicht zum Ausdruck des gekränkten Narzissmus. Die Reinheit, mit der da das Ich der Welt gegenübertreten will, ist eine Schimäre und drückt sich entsprechend in einem großen Ekel gegenüber dem Fleischfressen und den Fleischfressern aus, der sich zum Weltekel, zum Ekel vor dem Lebendigen, dem Beseelten, dem Verletzlichen und dem Schmutzigen ausweitet (oder verhält es sich gerade umgekehrt?). Neben Religion, Moral, Gesundheit und Ökologie tritt schließlich ein weiterer Diskurs, der im Mainstream nur klammheimlich (aber dafür um so bösartiger) behandelt wird, der Diskurs der Neurose. Nein, nicht um die Neurose des Vegetariers geht es dabei in erster Linie, sondern um das neurotische Verhältnis zwischen ihm und der Tiere essenden Mehrheit. Es geht um Ausgrenzung, um verdrängte Schuld und Isolation: Man versteht sich gegenseitig als „krank“.
Daher wohl die Notwendigkeit einer Erzählung wie der von Jonathan Safran Foer, die endlich den Pakt zwischen Vegetarismus und Feuilleton zu schließen scheint. Was das Buch „Tiere Essen“ von anderen Pamphleten unterscheidet (ein Pamphlet ist es aber immer noch), ist, dass es auf Erfahrung aufbaut, dass es nicht ohne Beobachtung urteilt, und dass es am Ende den Diskurs öffnet über eine, wenn auch entscheidende Zwischen-Entscheidung, nämlich keine Tiere mehr zu essen, hinaus. Was wir in „Tiere essen“ über Massentierhaltung erfahren, ist höchstens in einigen Aspekten neu, auch wenn man die Recherche-Arbeit einschließlich der persönlichen Risiken darin, wahrlich respektieren kann; wer es wollte, konnte es immer schon wissen, wie dort Barbarei, Macht und Elend zusammen kommen. Aber darum ging es ihm auch nicht, bekannte Foer, sondern vor allem musste er die Schwierigkeit meistern, „den richtigen Ton zu treffen“. Tatsächlich kommen wir dabei zu einem grundlegenden Problem: „Etwas stimmt nicht mit der Welt“.
Die wesentliche Voraussetzung für eine Änderung des kulinarischen Diskurses ist die Erkenntnis, dass es in der Natur (der Welt jenseits dessen, was wir gemacht haben) keine „Dinge“ gibt. Tiere wie Dinge zu behandeln ist ein kulturelles Verbrechen, aber noch verbrecherischer ist es, das Lebendig-Sein und das Ding-Sein berechnend miteinander zu verbinden, so wie es Foer beschreibt: „Massentierbetriebe berechnen genau, wie dicht am Tode sie die Tiere halten können, ohne sie umzubringen. Wie rasant man ihr Wachstum beschleunigen, wie eng man sie packen kann, wie viel oder wenig sie fressen, wie krank sie sein können, ohne zu sterben“. Die Wesen in Massentierbetrieben sind zu einer kurzen untoten Daseinsweise verurteilt, sie dürfen nicht leben und sie sollen nicht sterben (nicht dass das Sterben einer bestimmten Prozentzahl nicht einkalkuliert werden würde); ihre Lebendigkeit und ihr Tod ist ausschließlich Ausdruck von Konzernherrschaft und Profitdruck (gewiss: neben der Gleichgültigkeit des Verbrauchers). Das „Lebende Ding“, das in Nahrung und Profit aufgespalten werden soll, ist in der Tat Ausdruck von etwas, das in dieser Welt nicht stimmen kann. Eine Gesellschaft, die sich menschlich nennen will, kann so etwas nicht zulassen.
Doch nicht weniger schlimm sind die Verwandlungen ganzer Lebensräume in untote Landstriche; in früheren Zeiten war durchaus nicht klar, ob es der Ackerbauer oder der Viehzüchter war, der mehr kaputt gemacht oder mehr erhalten hat von dem, was wir nun Natur nennen. Und längst geht es nicht mehr allein darum, mit allen Mitteln dieser Natur die größtmögliche Fressbarkeit abzunötigen, sondern der Eingriff erfolgt tiefer: Auf das wilde, das gehegte, das gezüchtete und schließlich das genmanipulierte folgt die künstliche Pflanze, das künstliche Tier, etwas, das gleichsam untot erzeugt wird, für sich selber kein Leben hat und doch leiden muss. Die Massentierhaltung unserer Tage, so furchtbar sie ist, ist nur eine Durchgangsstation zu den Biofabrikationen der Zukunft (bei denen übrigens, was in beiden kulinarischen Parallelwelten Vor-Zeichnungen hat, zwischen dem Tier und der Pflanze kaum noch unterschieden werden kann, am Ende sind, auch das ist schon ein wenig mehr als Horror-Science Fiction, durchaus „menschliches“ in die Biofabrikation der Ernährung der Zukunft eingehen kann – Nahrungsketten-Kannibalismus ist ein Dreck dagegen). Wenn es nach den Monsantos und Nestlés geht, so ist Natur nur ein lästiges Hindernis auf dem Weg einer geschlossenen Bioproduktion, in der das Geld als einziges beseeltes Wesen übrig bleibt, das einzige, was man nicht essen darf. (Captain Beefheart wusste warum er es tat!)
Der Verdacht, ein Buch wie das von Jonathan Safran Foer entwickele sich vor allem deswegen zum internationalen Bestseller, weil es die Probleme, die es beschreibt, einer dankenswerten Komplexitätsreduzierung unterziehe, und zu den Herzen seiner Leser nur weit offene Türen benutze, ist zwar persönlich gewiss nicht gerechtfertigt, wohl aber in Bezug auf den kulinarischen Diskurswechsel. Die Sache ist verflixt komplizierter, und weniger durch eine einzelne moralische Entscheidung als durch ein ständiges kritisches Nachdenken voranzutreiben. Man hat nicht ein für allemal recht, nicht einmal als Vegetarier.
Vegetarismus ist ein Ausweg, aber keine Lösung. Denn einerseits wird auch eine Vervielfältigung des Vegetarier-Anteils an der Bevölkerung die Verhältnisse kaum ändern, wie Foer durchaus anmerkt, (zumal, wenn die Konzerne in die „Marktlücke“ stoßen oder die Homer Simpsons dieser Welt nur um so bockiger an ihrer Fleischnahrung festhalten und so absurderweise den Klassenmampf verstärken) und andrerseits bleibt die Definition der Beseelung willkürlich (gibt es denn nicht Pflanzen, die uns mehr Seele zuzuwenden scheinen als etliche Tiere? Ist Beseelung das Schauspiel „vermenschlichter“ Natur?). Vor allem aber: Ein kulinarischer Diskurswechsel mit nachhaltigen Folgen ist nur politisch zu haben. Das große Leiden der Kreaturen entsteht nicht aus ihrer Essbarkeit, es entsteht aus ihrer Profitabilität.
Text: Georg Seeßlen
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