Das ist schon eine eigenartige Konstellation: Da ist Ingeborg Bachmanns (einziger) Roman, ein trotziges Dokument zur Absurdität der Weiblichkeit in unserer Welt, dargestellt in einem langen, quälenden Prozeß der buchstäblich entflammenden Folge von Tod und Wiedergeburt bis zur endgültigen Selbstauflösung. Da ist Elfriede Jelineks Drehbuch, der Autorin von „Lust“: „Ich glaube, dass Frauen Kunstproduktion buchstäblich mit ihrem Leben bezahlen“. Da ist Werner Schroeter, eines der bizarreren Talente des deutschen Films, ein unbescheidener Inszenator von Emotionsopern, Passionsgeschichten von Menschen, die scheitern, wenn sie ihr Recht auf Leben über das Todesmaß des „Normalen“ einfordern. Alle drei nicht gerade everybody’s darling, ein bisschen egoman, ein bißchen genial, ein bißchen unsympathisch sogar. Aus ihrem Zusammentreffen ist ein Film für die Schauspielerin Isabelle Huppert entstanden, bei deren Präsenz der ehrfürchtige Schauer noch die hinterste Kinoreihe erreicht.
MALINA ist ein erstaunlich disziplinierter, deutlicher, ab und an fast schon konventioneller Film geworden. Die Frau – sie hat wie im Roman auch im Film keinen Namen – ist Schriftstellerin. Sie lebt in Wien mit einem Mann namens Malina zusammen, der ihr Halt und Alltagsvernunft gibt. So richtig wirklich ist dieses Gespenst männlicher Lebensordnung nicht. Eines Tages trifft die Frau auf Ivan und stürzt in eine maßlose, ausschließliche Liebe, an der sie nur zerbrechen kann. Während sie immer deutlicher erfährt, dass der Mann solche radikalen Gefühle nicht erwidern kann, wird sie immer mehr Gefangene ihrer Träume, ihrer Wohnung in Wien, in der sie ständig Briefe und Manuskripte in Flammen setzt. Am Ende ist Malina nicht mehr ihr Beschützer, sondern vielleicht ihr Mörder.
Im Grunde mag das nicht viel anderes sein als das Dreieck des „klassischen“ Melodrams mit den Spitzen Vernunft und Tugend, Lust und Freiheit und Liebe und Moral. Aber die Autoren, Bachmann, Jelinek, Schroeter und Huppert, mit allen Widersprüchen untereinander, betreiben die Auflösung dieses Dreiecks und seiner fatalen Ideologie, verweigern die Lösungen, an die wir uns gewöhnt haben. Uns wird auch nicht das Gegenteil des Melodrams, eine Beziehungsklamotte oder eine Emanzipationsmetapher geboten. Die Selbstverbrennung der Frau nebst der „Ermordung“ durch Malina, dieser toten männlichen Seele, ist weder eine Sache des Schicksals, noch ließe sie sich einfach „der Gesellschaft“ anlasten. Hinter der weiblichen Passion, die einerseits aus dem Widerspruch zwischen kreativer Autonomie und der „vollständigen“ (Leben und Tod umfassenden) Liebe entsteht, andrerseits in der Absurdität des weiblichen Begehrens (absurd, weil der Mann sich der Verletzung entzieht, die jedes Begehren bewirkt) beschlossen liegt, offenbart sich als weitere Metapher noch einmal der Widerspruch zwischen Kunst (die ja nur ein Modell ist, für eine Art, mit der Welt umzugehen) und dem Leben (das nur ein fast zufälliges Medium für die Impulse der Lust, der Arbeit und des Todes ist). Daß das Verschwinden die eigentliche Aufgabe der Frau in der Liebe sei, meint Elfriede Jelinek, und die Frau in MALINA lebt und zeigt den Schrecken und den Schmerz dieses Verschwindens. Ihre männliche Seele, selbst von verschüttetem, abgestorbenem Begehren geprägt, protestiert gegen das Verschwinden und befördert es zugleich. „Der Andere“, schreibt Roland Barthes in „Fragmente einer Sprache der Liebe“, „taucht da auf, wo ich ihn erwarte, da, wo ich ihn bereits geschaffen habe. Und wenn er nicht kommt, halluziniere ich ihn: die Erwartung ist ein Wahnzustand“. Deshalb ist es ebenso gleichgültig, ob Ivan von irgend etwas weiß, was die Frau betrifft. Das Feuer entzündet sich jenseits der zivilisatorischen Konvention von Schuld.
Werner Schroeter hat den Roman von Ingeborg Bachmann eher vereinfacht, manches, was in der Vorlage wichtig ist, taucht im Film nur noch als Fragment auf (wie die Beziehung der Protagonistin zu den Eltern), anderes erscheint notgedrungen eindeutiger oder, wenn man so will, „objektiver“. Und ebenso notgedrungen ist er ein männlicher Versuch, auf einen weiblichen Aufruhr zu reagieren. Als Konstruktion funktioniert er wie ein auf den Kopf (oder auf die Füße, je nachdem) gestelltes „Werthers Leiden“: Hier wie dort ist es nicht das Objekt der Begierde, das sich bewegt, Lotte oder Ivan, sondern ihr Subjekt. Im Gegensatz zur traditionellen Liebesgeschichte, in der sich der Gegenstand der Begierde entfernt, um in der Klage der Sehnsucht, dem Lied, der Legende neu und rein erschaffen zu werden, ist diese Konstellation geradezu unendlich suggestiv. Sie entbehrt jeder Eindeutigkeit. Und es scheint, als hätten Jelinek, Schroeter und Huppert so etwas wie einen Diskurs über Ingeborg Bachmanns Roman veranstaltet, in dem jeder seine Ideen äußert, ohne sich über das gegenseitige Verständnis zu versichern. Daher versucht der Film nicht, dasselbe wie der Roman zu sagen, auch nicht auf andere Art. Er sagt etwas anderes, vieles andere.
In der Inszenierung dieses Feuers, das Zentren und Peripherien des Lebensraums ebenso ergreift wie die Gegenstände der Kommunikation, das Telephon und die Schreibmaschine, und dieser Wiener Großbürgerwohnung, die den Raum und die Distanz als „großzügig“ darzustellen meint, um nicht erst, als sie an allen Ecken zu brennen beginnt, ihren Charakter als Gefängnis zu zeigen, erweist sich vielleicht mehr als in den „Traum“-Sequenzen der Filmverstand von Schroeter und seinen Mitarbeitern: Dieses Feuer ist eine Metapher, gewiß, aber es ist auch eine höllisch sinnliche Wahrnehmung (und umso beeindruckender das Spiel der Darsteller, die es nicht wahrzunehmen scheinen).
Schroeters Kamera (geführt von der bewundernswerten Elfi Mikesch) greift unnachsichtig und nicht ohne Todesgeilheit auf das Verfallen eines menschlichen Wesens, das durch den absoluten Anspruch des Gefühls auf eine ebenso absolute Einsamkeit zurückgeworfen wird. Sie solle lernen, das Leben wie ein Spiel zu nehmen, rät ihr Ivan. Sie solle Ivan töten, meint Malina (Matthieu Carriere in einer Rolle, die erscheint, als könne sie nur für ihn erfunden worden sein). Beides ist für die Frau undenkbar. Ihr bleibt bloß ein Verschwinden, das nur der Tod sein kann.
Vermutlich konnte nur Isabelle Huppert dieser Kamera und dieser Geschichte standhalten. Sie ist das Paradox einer Schauspielerin, die sich vollständig hingeben kann, ohne etwas zu verlieren. Sie bringt es fertig, weder um Mitleid zu bitten, noch eine Provokation zu veranstalten, wenn sie ihre Figur völlig weggetreten in die eigene Handtasche kotzen lässt. Und sie macht spürbar, daß es nicht um jemanden geht, der sich mit Nikotin, Tabletten und Alkohol ruiniert, auch wenn das ein Medium des Ruins ist, das Malina kontrollieren zu wollen vorgibt. „Verschwinden“ und Wiedergeburt sind bei Huppert Techniken der Darstellung. Sie ist weder expressiv noch natürlich, weder ein Star noch eine Schöpfung; sie macht sich die Kamera zur heimlichen Freundin und sich selbst zum Thema.
So ergibt dieses Aufeinandertreffen eine durchaus geglückte Symbiose zwischen Präsenz und Exaltiertheit, Vision und Intimität, Seele und Kunst; ein besseres Stück europäischen Kinos, das die Sinne der gebildeten Stände kitzelt und auch nicht weiter weiß. Es ist ein Film über die Liebe. Das ist etwas anderes als das gewohnte, nämlich Filme über Zeichen der Liebe, und viel mehr als das allergewohnteste, Filme über das Sprechen über Zeichen der Liebe. Schön fremd in unserer Filmkultur.
Autor: Georg Seeßlen
Textveröffentlicht in epd Film 2/91
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