Kong, und wie er die Welt sah
TRAURIGE BLICKE
Peter Jacksons Remake von „King Kong“ zeigt einen bezeichnenden Wandel im Monster Movie-Genre an
Ein Mythos, sagt man, sei eine „uralte Geschichte“, die sich durch die Zeiten und Kulturen bewege und dabei mit allerlei politischen, sexuellen oder ästhetischen Aktualitäten anreichere. Stirbt der Mythos heute in dieser Form, so wird er morgen in einer anderen wieder geboren, so einfach sei das. Im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit verwandelt sich die uralte Geschichte indes in einen Pop-Mythos.
Das ist vielleicht nichts anderes als die etwas beschleunigte, massenhaft produzierte und von Profitinteressen aufgeheizte Fortsetzung einer solchen „uralten Geschichte“, die sich nun auf dem Medien-Markt ihre Wege sucht. Das Kapital bedient sich des Mythos, der immer zugleich mehr und weniger weiß als die Sprache, die Zollgrenze der Kulturen.
Alle Traumfabriken dieser Welt, nicht bloß die große, selber schon mythische in Hollywood, benutzen den Mythos als Rohmaterial. Aber es steckt noch etwas anderes hinter dem Mythos in seiner Pop-Phase. Die Geschichte verdoppelt sich: Sie will beides zugleich, zurück zum barbarischen, unschuldigen Kern, und zur glänzenden, aktuellen Oberfläche. Sie beginnt zu schwanken zwischen dem Ernst und der Frivolität.
Eine von diesen uralten Geschichten ist die von der Schönheit und dem Biest. Tiermann und Jungfrau. Ungeschlachte Natur und schwache Zivilisation. Störung im Familienroman, kindliche Sexualtheorien, Metaphern der Revolte, Rückkehr der Tiergötter. Schimmerndes Märchen, dunkles Bild. Es gibt nicht zu wenig, es gibt viel zu viele Erklärungen.
Mythen sind nie eindeutig; lustvoll zertrümmern sie den gerade erreichten Kompromiss von Vernunft und Macht. Höchst inspirierend für die Erzähler und für die Forscher. Aber kein Mythos ist je zu Ende erklärt worden. Wir haben einen Verdacht: Am tiefsten Grund des Mythos lauert das Verbotene an sich. Die Schuld. Das Begehren. Die Angst.
Am paradoxen Ende steht der Satz von Sören Kierkegaard: „Das ist die tiefe Heimlichkeit der Unschuld: sie ist zugleich Angst.“ Wer also zur Unschuld will, kann es nur über die Angst, und wer die Angst haben will, weil man ja in der Tat das Fürchten lernen muss, der muss auch von irgendwoher die Unschuld nehmen. Die Angst und ihr Management war das Wesen der monster movies seit jeher, nicht nur das Bild auf der Leinwand, das bei King Kong erscheint, als hätte jemand vorher in Kierkegaards Tagebüchern geblättert und die Hälfte, die er verstanden zu haben glaubte, in Plot und Effekt übersetzt. Siegfried Kracauer argwöhnte schon, dass das Monster auf der Leinwand, stellvertretend für den von ihr bedrängten Mann, der Frau im Zuschauerraum Angst machen sollte. Ein imaginäres Monster auf der Leinwand loslassen, um der Begleiterin Angst zu machen, damit sie nicht zu viel verlange, was das Sexuelle ebenso wie das Soziale anbelangt? Die Strategie im Reich der Wünsche wäre so durchschaubar, dass man rasch die entsprechenden Rollen jenseits der Leinwand gelernt hätte.
Mehr noch scheint das monster movie ein Mittel, die Angst des Mannes im Mythos auf die Frau zu übertragen. In Wahrheit ist die Angst des Mannes viel größer, da brauchen wir gar nicht Mister Bean zuzuschauen, der vor und nach dem Film den Abgebrühten mimt, und sich, kaum erscheinen die Monster, den Popcorn-Eimer über den Kopf stülpt.
So jedenfalls schien das Genre sich erklären zu lassen, in der sexuellen Ökonomie der Traumfabrikation, bis in die siebziger Jahre hinein. Dann kamen die Zombies und die Kettensägen, und sie schienen beim Fleisch, das sie wollten, keinen großen Unterschied mehr zu machen zwischen den Männern und den Frauen.
Man sprach damals davon, dass die Angst (im Kino) ihren Mythos verloren hatte. Aber so nackt blieb sie nicht lange, und nicht so voller Zorn, dass die Zuschauer vergaßen, „in Angst begehrlich auf die Schuld zu starren und gleichwohl sie fürchten“ (Kierkegaard). Im Gegenteil, die populäre Kultur begann geradezu manisch zu arbeiten an Erinnerung und Wiedergewinnung der Unschuld.
King Kong, der Film aus dem Jahr 1933, funktionierte prächtig nach diesem Modell von Angst und Unschuld, Mythos und Sensation. Eine Pulp Fiction-Fantasy, entstanden unter Mitwirkung der britischen Schreib- und Geldvernichtungsmaschine Edgar Wallace, die mit viel Enthusiasmus realisiert wurde: Eine Filmcrew landet auf einer einsamen Insel, wild tanzende und trommelnde Eingeborene überfallen sie, der Star, die blonde, schöne Frau, wird ausersehen, dem Monster geopfert zu werden, das wie ein König über den Urwald dieser versunkenen Welt herrscht, dem Riesenaffen King Kong. Aber anstatt die schreiende Frau, wie es scheinbar seine Gewohnheit ist, zu verspeisen, zupft Kong neugierig an ihr herum und, ja, er „verliebt“ sich in sie. Nachdem er sie gegen allerlei Saurier und anderes Riesengetier verteidigt hat, fällt Kong der Tücke der Eindringlinge zum Opfer. Er wird chloroformiert, in Ketten geschlagen und nach New York gebracht, um seinen „Besitzern“ Ruhm und Reichtum einzubringen. Apathisch lässt das Biest die Sensationsgeilheit der Menge über sich ergehen. Bis er die weiße Frau wieder sieht. King Kong sprengt alle Ketten, schnappt sich die Geliebte, die Beute und erklimmt das Empire State Building. Bevor er dort von Jagdfliegern getötet wird, setzt der Riesenaffe sanft und zärtlich sein kostbares Opfer ab. Dann stirbt er, und man weiß ganz genau: „Es waren nicht die Flugzeuge, die ihn getötet haben. Es war die Schönheit, die das Tier getötet hat.“
Wer also war Kong, und wer war die weiße Frau? Die uralte Geschichte, einerseits. Die Geschichte von der kaum überwundenen Vergangenheit, die als Monster wiederkehrt, die Geschichte vom großen schmerzhaften Missverständnis zwischen den Geschlechtern, die Geschichte vom Geheimnis, an das besser nicht zu rühren gewesen wäre. Und die metaphorische Anreicherung für eine Gesellschaft, die sich in allen ihren Lebensbereichen zielstrebig in die große Krise manövriert hat.
Der Riesenaffe war, sagte der ökonomische Diskurs, das Bild der Depression, des Börsencrashs und der Lebenskatastrophe der Arbeitslosen, die sich über die zarte, goldige Amerikanerin hermachte. Fay Wraye, die durch ihre Schreie in King Kong unsterblich wurde, und in Wahrheit gar nicht blond war, nicht golden wie die „yellow brick road“ aus dem Zauberer von Oz, die in den Phantasien dieser dreißiger Jahre, im Verbund mit der Unschuld des Mädchens, zur Verbesserung des Kapitalismus führen sollte.
Am Vortag der Erstaufführung von King Kong waren die Banken geschlossen worden. Nichts da, sagte der Diskurs der Reaktion, nicht dem System galt die Angst als vielmehr seiner Gefährdung: Kong, das war vielmehr die ungezähmte Kraft der Massen in der Revolte, die alles verschlingen vor ungezähmter Lust. Das Volk, das verrückt spielt, wenn man ihm zuviel Freiheit lässt, das Monster ist immer ein maskierter Kommunist.
Aber nein, sagt der psychoanalytische Diskurs: Man muss doch nur die Symbole richtig deuten. Kong ist die abgespaltene männliche Sexualität, die durch die Liebe gezähmt werden muss, am Ende aber doch nur – phallisch! Phallisch! Phallisch! – sterben muss.
Schön und gut, hieß es im Diskurs der Rasse, aber natürlich war Kong der Schwarze Mann mit seinem Verlangen nach der weißen Frau, die man ihm nur gewaltsam austreiben kann. Na wenn schon, sagte der schwarze Gegendiskurs, noch mehr ist die Geschichte von King Kong und der weißen Frau ein Bild eurer Angst und eurer Neurosen.
Kong, sagte der ökologische Diskurs, ist nichts anderes als das Sinnbild der unterdrückten Natur, das sich am Einbruch der Zivilisation und ihrer Korruption so tief verletzt, dass es in der Wildnis nicht weiter leben kann. Und natürlich, tönte es schließlich, ist King Kong eine amour fou par excellence, das Wesen der unglücklichen Liebe schlechthin, zwischen dem Kolonialisten und dem Kolonisierten, zwischen allem, was race, class, gender und generation zu bieten hat. Die Wiederkehr des Vaters murmelten die Jungianer dazwischen, als Archetyp. Und außerdem war das auch als eine Selbstkritik der Traumfabrik zu lesen: Die Schönheit tötet das Biest, das der Film erwachen ließ! In dem besessenen Regisseur, der an dem Schlamassel ursprüngliche Schuld trägt, konnte man Portraits jener Filmemacher, von Griffith bis Stroheim, sehen, die gerade gründlich die Macht in Hollywood verloren hatten.
Mittlerweile ist es Mode geworden, solchen Deutungen und Über-Deutungen eher mit ironischer Distanz zu begegnen. War King Kong nicht einfach genau die Sensation, die Komposition aus Sadismus, Sex und Poesie, aus Bildzauber und Schundphantasie, die vergessen ließ, was draußen auf der Straße, zuhause in der Familie oder drüben in Europa an Katastrophalem los war? King Kong sollte weder wirtschaftspolitische Metapher noch Kriegsgespenst, weder rassistische Projektion noch Sinnbild sexueller Untiefen sein, sondern ein Riesenaffe auf der Leinwand, der in Wahrheit ein Stoff-umwickeltes Bewegungspüppchen war, dem der geniale Willis O´Brien mit seiner Stop-Motion-Technik Leben verlieh. Der Kampf um die Unschuld eines Mythos hat viele Formen, und einige davon sind einigermaßen paradox.
Die Gestalt des verliebten Riesenaffen wurde in der Geschichte der populären Kultur ab da immer wieder aufgegriffen, in offiziellen und inoffiziellen Remakes, in Trickfilm- und Musical-Variationen, Zitaten und Verkleidungen. Die Atombombe in Stanley Kubricks Dr. Strangelove wird von einem Major “King” Kong ausgeklinkt; politische Parteien verwendeten seine Erscheinung als Propaganda-Bild, Hiphop- wie Punk-LPs wurden mit diesem alten Affen Angst geziert. 1976 zeigte ein erstes offizielles Remake den state of the art und die Anpassungsfähigkeit des Mythos. Unter anderem musste nun aus der Filmcrew in der Zeit der ersten “Ölschocks” eine Expedition auf der Suche nach dem schwarzen Gold werden. Sex hieß damals die Kamera auf eine mehr oder minder nackte Darstellerin zu halten; statt auf das Empire State Building kletterte Kong (kurz vor dem Anbruch des digitalen Zeitalters war er noch altmodisch analog animiert und wirkte daher schneller veraltet als sein Vorgänger) auf das World Trade Center, und abgeschossen wurde er von höchsttechnologisierten Düsenjägern. Aber der große Moment, der sich durch Merian C. Coopers und Ernest B. Schoedsacks originalen Film ereignete, konnte sich nicht wiederholen. Und, um es vorweg zu nehmen, er wiederholt sich auch in Peter Jacksons neuem Remake nicht.
Dabei tut Jackson wirklich alles, um an die alte Unschuld anzuknüpfen und allen Fallen der Analysen, Definitionen und Parodien des Affen-Mythos zu entgehen. Er bemüht sich, alle erdenklichen Register der modernen Unterhaltungstechnologie zu ziehen, beeindruckende Bilder der Bedrohung zu erschaffen und bei alledem Sympathie mit dem Monster zu erzeugen. Jedes Haar im Fell des virtuellen Riesenaffen bewegt sich lebendig, der Blick aus seinen Augen ist so berührend wie sein mitgenommenes Gebiss Besorgnis erregt. Aber lange bevor das Monster seinen ersten Auftritt absolviert, hat der Film schon den schwelgenden Blick gefangen, in seinem nostalgischen Look: Er spielt in den dreißiger Jahren, zur Entstehungszeit des ersten King Kong und es sieht aus, als wollte er jedes Detail seines zweiten Traumreiches, das er über der eigentlichen “Urgeschichte” errichtet, ein paar mal küssen. (Wir müssen es ja wissen: Später wird eine Menge davon kaputt gehen.)
Im neuen King Kong stellt die Traumfabrik noch einmal ihren Reichtum aus, in seltsamer Melancholie bei genauerem Hinsehen. Die Besetzung, Naomi Watts als weiße Frau, Jack Black als leicht übergewichtiger besessener Filmemacher (portraitiert er den auch nicht unbesessenen Regisseur Peter Jackson? Nicht wirklich) und Adrien Brody als New Yorker Autor lässt nicht ans Klischee denken. Nicht nur weil sie wirklich spielen können und in diesem Drei-Stunden-Film auch Gelegenheit haben, es zu zeigen, sondern auch, weil alle drei schon ihre Erzählungen aus anderen Teilen der populären Mythologie mitbringen. Einige ironische und sogar mehr oder weniger tiefgründige Schlenker dürfen nicht fehlen (Conrads Herz der Finsternis als Reiselektüre eines jungen Matrosen; der Autor, der zum Schreiben in einen Affenkäfig gesperrt wird, der eitle Schauspieler, der die Verschandelung seines Plakats sogleich als Anregung für die Kreation einer neuen Pose seiner Männlichkeit nimmt usw.). Der neue King Kong enthält überdies ein paar tatsächlich poetische Momente, zum Beispiel in dem Augenblick der Ruhe, da Kong, die weiße Frau zu seinen Füßen, von seinem Bergthron aus weit über das Meer hinausblickt, oder in der Szene, in der sich, kurz bevor das dramatische Ende nicht mehr aufzuhalten ist, King Kong und seine Freundin wie Kinder auf einem zugefrorenen See im Park vergnügen, der vom Glanz der weihnachtlich geschmückten Bäume erleuchtet ist. Der neue King Kong besteht aus lauter gelungenen Momenten der Pop-Kultur. Und trotzdem funktioniert der Mythos nicht mehr. Oder auch gerade deswegen.
Aber wie “funktioniert” denn ein Mythos – oder ein Pop-Mythos, um genauer zu sein? Genau weiß das natürlich niemand, sonst wäre es ja ohnehin aus mit ihm. Aber es gibt offensichtlich Regeln der Konsistenz und der Erhabenheit. Es sind Imaginationen, die, während sie das Blaue vom Himmel lügen, in sich stimmen müssen. Und Pop-Mythen müssen wohl Unschuld und Angst in sehr genauer Balance erhalten. Und in all dem stimmt hier etwas nicht.
Die Liebe zwischen King Kong und der weißen Frau ist in Peter Jacksons Film ganz ohne Obszönität gezeichnet, und an die Gewalt glaubt man nicht sehr lange. Das Riesentier ist nicht nach einem Märchenbild des Äffischen im Computer zusammengerechnet, sondern nach dem direkten Abbild eines Gorilla, wie aus dem Lehrbuch von Anatomie und Behaviorismus. Was wohl Kong mit den Vorgängerinnen dieses Opfers angestellt hat? Das kannibalistische, polymorph perverse, sexuelle Begehren, dass uns im Original so ungeniert suggeriert wurde, scheint in dieser Beziehung jedenfalls nicht mehr auf. Die weiße Frau tanzt und clownt vor ihm herum, ermuntert zur vorsprachlichen Kommunikation, wie es eine Gorillaforscherin machen würde, oder eben das spielende Kind: Schon von der Szene am Beginn, als die arbeitslose Schauspielerin lieber einen Apfel stehlen möchte als in einer zweifelhaften Vaudeville-Show aufzutreten, erinnert Naomi Watts auch an Chaplins “wildes Mädchen”, an Paulette Goddard (und der Blick des Gorilla, zwischen Melancholie, Zärtlichkeit und kindlichem Überschwang erinnert an den Blick des Tramps). Kurzum: dieser King Kong ist vielleicht stark und kampflustig, aber er ist nicht böse. Der Opferkult für ihn scheint auf einem großen Missverständnis zu beruhen.
Eine andere Interpretation, immerhin, legt Jackson im Nebenhinein nahe: Kongs schöner Platz der Erhabenheit, weit über dem Wald und dem Meer, ist zugleich ein Ort der Gebeine, ein Sterbeplatz. Kong ist der letzte seiner Art. Dem Sterben eher zugewandt als dem Töten.
Das Elend der Depressionszeit bringt zwar die Geschichte in Gang, Jackson scheut da auch vor etwas drastischeren Bildern nicht zurückt, verschwindet dann aber aus der Welt der Reklamelichter, Hochhäuser und Automobile, als wäre während unserer Abwesenheit der Sprung vom Börsencrash zum New Deal geschafft. So ist auch die soziale Angst, die Metapher für die materielle Krise und die Verachtung des Menschen darin, rasch aus dem Mythos herausgekürzt. Der Natur- und Zivilisationsgegensatz wird durch eine simple Szenen-Analogie aufgelöst: Die Sonne über New York ist genau so schön wie die Sonne über dem Meer von Skull Island. Der Widerspruch zwischen ungezähmter Natur und über-geordneter Zivilisation löst sich also ebenfalls auf.
Alles was Angst war in King Kong wird in dem neuen Film ganz nach unten verwiesen, in die Welt der Würmer und Insekten, in die Welt der urtümlich-irrealen Saurier: Darwins Alptraum, die Evolutionsgeschichte will sich rückwärts erzählen. Aber das wissen wir schon von Aristoteles, dass die Angst nicht nur von den unteren Stufen der Entwicklung kommt, sondern von den Seitenzweigen seines “Baums der Erkenntnis”. Während er dem Mythos, bei aller Anstrengung, ihn rein und unschuldig zu erhalten, die Angst austreibt, schafft Peter Jackson einen anderen, den Mythos, den er bereits im Herrn der Ringe perfekt zu entwickeln wusste, nämlich den Mythos der Versöhnung zwischen Natur und menschlicher Zivilisation. Das Hochhaus in der Stadt ist die Fortsetzung und Wiederholung des erhabenen Ortes auf Skull Island, an dem King Kong und die weiße Frau für kurze Zeit glücklich waren. Hier wird das Sterben des Monsters, das keines mehr ist, vollzogen, das auf seiner Insel bereits begonnen hat. Statt dem Entsetzen über das nie sich vollständig Erklärende, das ewige Kreisen von Angst und Schuld im Mythos, stellt sich in Peter Jacksons Film, neben der Bewunderung für die Imaginationskraft der Traumfabrik, allenfalls eine gewisse Melancholie über die Folgerichtigkeit dieses langen Sterbens aus. Man kann es noch trauriger sagen: In diesem Film sehen wir dem Mythos beim Sterben zu.
Vielleicht ist das ein humaner Fortschritt, wenn es nicht ein kalkuliertes Spiel mit den Mechanismen des Marktes, einschließlich der Freigabe für die Kinder sein mag. Es ist nichts Böses mehr in diesem beast, und das trifft auch die Schönheit tief im Kern. Sie wird so “nett”, wie es Naomi Watts´ Charakter in David Lynchs Mulholland Drive als Medienrolle nur träumt. Und warum Adrien Brody immer so traurig schauen muss, wie nur er es kann, das liegt wohl auch außerhalb des Mythos, denn weder hat er Grund, auf Kong eifersüchtig zu sein, noch müsste er wirklich um seine Geliebte bangen. “Es ist der Wahn der Aufklärung”, schreibt Theodor W. Adorno, “von den Menschen die Furcht zu nehmen, indem sie in den Bannkreis der Tatsachen eingeschlossen werden. Über das, was draußen und anders ist, ergeht ein universales Tabu. Vorm Anderen hat Aufklärung mythische Angst”. Und das, was aus der Aufklärung geworden ist, auf dem globalisierten Markt der Bilder, das schließt den Menschen in den Bannkreis der virtuellen Natur, der Machbarkeit und des Marktes.
Wir lieben den alten Knaben Kong, diesen vegetarischen Zen-Knuffel und väterlichen Freund einer jungen Frau in allerlei Krisen. Er gibt uns einen Kinderblick zurück, drei Stunden lang. Aber mit Unschuld hat diese künstlich erzeugte Naivität so wenig zu tun, wie Aufregung mit Angst. Das Märchen hat seine Seele verloren. Das ist nicht Peter Jacksons Verschulden. Er macht nur das Beste daraus. Da wir in unserem Traum-Rechner alles machen können, gibt es nichts Anderes mehr, vor dem wir mythische Angst haben können. Vielleicht versteht man doch, warum in diesem Film so ausgiebig traurig geschaut wird.
Autor: Georg Seeßlen
Bild: Universal
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