Afrika will sich sehen
Weibliche Stimmen zählen in Afrika nicht allzu viel. Gerade deswegen haben Filmemacherinnen jetzt die Chance, mit ihren Geschichten einen marktfähigen Tabubruch zu begehen.
„Wir müssen unsere Geschichten selbst erzählen. Wir müssen eigene Bilder von unseren Gesellschaften produzieren – das ist der Schlüssel für Afrika.“ Peace Anyiam-Fiberesima, die sich selbst als Tomboy beschreibt, greift in ihrer Eröffnungsrede des ersten Treffens für Filmemacherinnen vom gesamten afrikanischen Kontinent furchtlos in die Kiste der Emotionen.
Peace Anyiam-Fiberesima stammt aus einer reichen Ölpionier-Familie. Sie gründete, als einziges Mädchen und kleinstes von acht Geschwistern, vor etwa zehn Jahren eine heute höchst erfolgreiche Produktionsfirma. Diese produziert Filme mit einem Budget zwischen 10.000 und mittlerweile auch 50.000 Dollar; fünf Produktionstage sind die Regel. Die DVDs kosten rund 3 Dollar. Damit tragen sie dem Umstand Rechnung, dass auf dem Kontinent das Durchschnittsgehalt bei etwa 30 Dollar liegt. Die Filmindustrie in Nigeria, Nollywood genannt, produziert gezielt für den afrikanischen Markt. Afrikaner, sagt Anyiam-Fiberesima, wollen endlich sich selbst gespiegelt sehen, sie wollen Identifikationsfiguren. International sind die Filme kaum erhältlich.
Die Konferenz findet auf Initiative des Goethe-Instituts in Johannesburg statt. „Women in Arts“ soll eine Serie werden: Frauen in der Filmbranche, in der Literatur, in der bildenden Kunst. Aber anfangen wollte man mit der Branche, in der es Frauen womöglich am schwersten haben, sagt die Leiterin des Goethe-Instituts von Südafrika, Katharina von Rucketeschell. Denn Filme zu drehen kostet Geld, viel Geld. Und wer investiert schon gerne in Künstlerinnen?
Dieses Problem kennen Frauen weltweit. Aber in Ländern, in denen es keine Filmförderung und kaum Kinos gibt, in denen die Fernsehsender größtenteils von den Regierungen kontrolliert werden und wo Downloads aus dem Netz sehr lange dauern – in diesen Länder ist es extrem schwierig, Filme zu machen und zu verkaufen. Dennoch sind sich alle Teilnehmerinnen der Konferenz einig: Angesichts der krassen patriarchalen Strukturen in afrikanischen Ländern könnten weibliche Sichtweisen einen marktfähigen Tabubruch darstellen. Women sell – wenn sie sich durchsetzen wie Peace Anyiam-Fiberesima.
Zudem können die geringen Budgets der afrikanischen Filmbranche filmemachenden Frauen entgegenkommen. Kleine Budgets erlauben keine Men-and-Machine-Orgien. Sie erlauben keine Materialschlachten, stattdessen müssen Filmemacher auf die Kraft des Dialogs setzen. Für Regisseurinnen, die Frauen in den Mittelpunkt rücken wollen, kann das von Vorteil sein. „Vergessen wir auch nicht die Spiritualität“, fügt Anyiam-Fiberesima hinzu, „auch wenn sie uns im internationalen Kontext immer ein bisschen peinlich ist, hier hat sie eine große Bedeutung. Wir sollten sie in unseren Geschichten zeigen.“
Zweifellos ist Nollywood eine der wenigen Erfolgsgeschichten im afrikanischen Kino und der Wirtschaft. Heute ist Nollywood der zweitgrößte Arbeitgeber Nigerias. Trotz der Skepsis gegenüber dem Trash-Faktor von Nollywood verbindet die Anwesenden, die in ihren Ländern Pionierinnen des Kinos sind, dass sie Erfahrungen mit westlichem Chauvinismus machen mussten. „Ich ging in den 80ern in London zur Schule und musste mich noch fragen lassen: Ihr lebt zu Hause also noch auf Bäumen?“ Das Publikum lächelt leise, als Anyiam-Fiberesima diese Anekdote erzählt. Der Wunsch, die Hegemonie des westlichen Blicks auf Afrika zu brechen, ist der wichtigste gemeinsame Nenner der Künstlerinnen. Ansonsten arbeiten sie mit sehr unterschiedlichen Anliegen und künstlerischen Mitteln.
Was also tun? Schritt eins: Die wenigen Filmemacherinnen, die trotz der widrigen Bedingungen arbeiten, müssen aufhören, ihre Filme selbst zu produzieren. Zu viel Multitasking geht auf Kosten der Kreativität. Da auf den Aufbau von staatlichen Strukturen zu warten absurd ist, bleibt nur, Netzwerke zu bilden. Dorothee Wenner, Berlinale-Beauftragte für das afrikanische Kino und Chair der Veranstaltung, favorisiert kleine Arbeitseinheiten: Bienenwaben. Dieses Jahr produziere ich deinen Film, nächstes Jahr arbeiten wir an meinem Script. Das hört sich einfach an – doch bislang gibt es keinen Zusammenschluss unter afrikanischen Filmemacherinnen. Die meisten arbeiten nicht nur in ihrem Land, sondern auch in ihrer jeweiligen Stadt für sich, in der Regel unterstützt vor allem durch ihre Familie. Außerdem muss das Marketing verbessert werden. Ökonomisches Wissen ist auch in den afrikanischen Gesellschaften unter Frauen Mangelware. Da helfen nur Workshops – Schritt zwei.
Und wie sieht es mit Feminismus als Verbindungsglied zwischen den Filmemacherinnen aus? Könnten Frauenfilmfestivals eine Möglichkeit sein, den Frauen hinter der Kamera das Leben und Arbeiten zu erleichtern? Eher nicht. Denn die meisten der anwesenden Filmemacherinnen sehen sich nicht als Feministinnen. Zu sehr ist feministische Politik mit dem Besserwissertum von westlichen Frauen assoziiert, zu sehr setze sie auf Konfrontation, ist zu hören: „Ich bin eine heimliche Feministin, aber niemals würde ich ein T-Shirt tragen, auf dem steht: I am feminist.“ Auch Regisseurin Taghreed Elsanhouri ist in London aufgewachsen. „Um von A nach B zu kommen“, sagt sie, „können wir uns so viel Aggression wie die westlichen Feministinnen in den 70ern und 80ern nicht leisten, wir müssen da strategischer, leiser vorgehen.“
Text: Ines Kappert
Text erschienen in: taz, 10.09.2010
- Die „Flüchtlingskrise” ist keine Krise der Ressourcen, sondern eine des Willens. Sie ist inszeniert. Warum bleiben die HelferInnen politikabstinent? - 6. November 2015
- Behörden und Geflüchtete: In diesen Tagen wird die Ineffizienz, Inkompetenz und soziale Verwahrlosung deutscher Behörden deutlich. - 12. August 2015
- Ein schwerverletzter Syrer will sich in Berlin operieren lassen. Nach einem Jahr gewährt das Auswärtige Amt endlich ein Visum. - 4. Juni 2015
Schreibe einen Kommentar