Warum es so schwer ist, die „Bild“-Zeitung zu kritisieren. Und warum man es dennoch machen sollte
Niemand liebt die Bild-Zeitung. Von den Verächtern, den Kritikern und den Opfern der knalligsten, auflagenstärksten und mittlerweile sogar „meist zitierten“ deutschen Zeitung ganz abgesehen, sind sich auch die treuesten Leser bewusst, dass ihrer Lektüre etwas moralisch Zwiespältiges, etwas politisch Unkorrektes und etwas geschmacklich höchst Fragwürdiges anhaftet. Aber eine Mischung aus Faszination und Abscheu, Neugier und Gewohnheit, Sensationsgier und Verlässlichkeit bindet das Blatt und seine Leserschaft aneinander.
Niemand liebt die Bild-Zeitung. Aber offensichtlich gibt es so viele gute Gründe, sie trotzdem zu lesen, dass man sich deutsche Politik, deutsche Kultur und deutschen Geschmack nicht wirklich vorstellen kann ohne Bild. Und auch die Produzenten, die Autoren, Fotografen, Redakteure und Marketingleute kokettieren gerne, wenn es um Stichworte wie Medienpopulismus, Schmuddelblatt und Kampagnenjournalismus geht. Bild, das ist eben nichts für Sensibilisten, Ästheten, Aufklärungsgrübler und andere Weicheier. Bild ist das Blatt fürs Grobe, da ist man sich einig. So was muss es auch geben, schauen Sie doch mal in englische Boulevardblätter, dagegen ist Bild ein Zentralblatt fürs Bildungsbürgertum. Niemand wird gezwungen, Bild zu lesen, oder?
Das System Bild funktioniert auf beiden Seiten als das, was man im Angelsächsischen guilty pleasure nennt, also ein Vergnügen, das sich seiner moralischen Fragwürdigkeit sehr wohl bewusst ist. Ein Vergnügen, das sich vielleicht sogar noch ein wenig steigern lässt dadurch, dass es einen Hauch des Verbotenen hat, dass es andere Menschen gibt, die es vor Empörung und Ekel schaudert, ein Vergnügen allerdings auch, bei dem man sich manchmal dabei erwischen kann, dass man sich auch selber ein bisschen schämt. Niemand macht so sarkastische Bemerkungen über die Bild-Zeitung wie ein konsequenter Bild-Leser. Schon deswegen hat es „echte“ Kritik schwer.
Das System Bild funktioniert in einer Strategie, für die es im Angelsächsischen das Wort exploitation gibt, was man zwar mit Ausbeutung übersetzen kann (und, verdammt noch mal, davon steckt in der Tat genügend in diesem Medium), in diesem Zusammenhang aber meint, dass man ein scheinbar aktuelles Thema oder einen Konflikt ausschlachtet, um ganz andere und nicht ganz so sympathische Bedürfnisse zu befriedigen: sex & crime getarnt als aktuelle Berichterstattung. Das Vergnügen am Hass, auch wenn das Opfer keine Chance hat, sich zu verteidigen. Das Vergnügen an intimen Details aus dem Leben anderer Menschen, auch wenn die das gar nicht freiwillig preisgeben. Das Vergnügen daran, dass die Welt aus noch größeren Katastrophen besteht als mein eigenes Leben eine ist. Das Vergnügen am Paradox einer mainstream-konformen Tabu-Übertretung.
Das System Bild funktioniert, weil es Teil eines kulturellen Segments ist, für das es im Angelsächsischen den Begriff trash gibt, was vielleicht eine Kultur aus dem Müll und für den Müll meint, aber auch ein besonderes Vergnügen am Geschmacklosen, Kaputten und Verdorbenen. Trash-Kultur mag etwas durchaus Rebellisches oder Subversives haben, Trash-Kultur kann aber auch, wie wir nicht erst durch das Trash Food, das Trash-Fernsehen und die Trash-Labyrinthe des Internets wissen, zerstörerisch und lähmend wirken. Trash funktioniert nur in einer kulturellen Klassengesellschaft, es ist das Symptom einer doppelten Lüge, ein Kurzschluss zwischen high und low (und nebenbei und ganz direkt gesagt: in diesem semiotischen Müll erstickt der Klassenstolz).
Vielleicht funktioniert das System Bild als guilty pleasure, als exploitation und als trash auch deshalb so perfekt, weil es hierzulande nicht einmal die Begriffe gibt, es zu beschreiben, geschweige denn ein gesellschaftliches Projekt, einem Presseerzeugnis, das sozusagen offiziell als Fehlentwicklung gekennzeichnet ist, Kontrolle, Beschränkung und Aufklärung entgegen zu setzen. Der Bild-Zeitung ist es gelungen, von trash und exploitation zum Mainstream zu werden – schon wieder ein Begriff der angelsächsischen Sprache. Es klingt vielleicht noch etwas heftiger, wenn man es auf Deutsch sagt: Mit der Bild-Zeitung ist ein Medium, dass man eigentlich nur klammheimlich, mit schlechtem Gewissen und an eher anrüchigen Orten Wo auch immer Sie Ihre blackjack online und was Abstecken Methode Sie verwenden Sie bitte nie spielen wahlen, immer Spa? haben mit Geld, das Sie nicht schaffen konnen, um zu verlieren. konsumieren würde, durch einen politischen und kulturellen Konsens in die Mitte der Gesellschaft gerückt und zum anerkannten, verbindlichen und allseits (beinahe) geschätzten „Leitmedium“ geworden. Das heißt am Ende: Es gibt keine Kritik der Bild-Zeitung ohne Kritik der Kultur, der Gesellschaft, der Politik und des Staates. Anders gesagt: Bild-Kritik ist radikal, oder man kann sie gleich vergessen.
Gleichzeitig aber „weiß“ diese Kultur, diese Gesellschaft, diese Politik und dieser Staat, dass man von Bild befallen ist wie von einem Virus. Man muss kein Kulturpessimist sein, um diesen Vorgang des „Mainstreaming“ des Bild-Trash als eine kulturelle Katastrophe zu begreifen. Die Empörung unter den aufrechten Demokraten, so es sie noch gibt, den verbliebenen Verfechtern einer moralischen Kultur der Medien, den versprengten Aufklärern, Sprach- und Bildkritikern, den Vertretern von Persönlichkeitsrecht und Menschenwürde ist verständlicherweise groß. Auf einen Beistand der Parteien, der Stars der Unterhaltungsbranche, der großen kulturellen Institutionen, der Gewerkschaften und der Kirchen gegen das System Bild sollte niemand zählen. Man hat sich, so scheint es, arrangiert, man benutzt einander, man schaut gar nicht mehr genauer hin. Das System Bild, wir brauchen dazu nur die Plakate mit den Prominenten anzusehen, die für es Reklame machen, ist nicht nur ein System der Korrumpierung, sondern auch ein System der vollendeten moralischen Korruption.
Paradoxerweise hat in den neunziger Jahren das konservative Print-Medium Bild am ehesten davon profitiert, dass sich die elektronische Medienlandschaft so stark ausdifferenziert hat. Längst haben wir am Montagmorgen nicht mehr alle von der gleichen Fernsehsendung zu erzählen, auf unseren DVD-Spielern und auf den Webseiten tun sich sehr unterschiedliche Dinge, und viele davon wollen wir dem Kollegen gar nicht unbedingt mitteilen. Bleibt als letztes großes Medium von Einigung und Einklang: die Bild-Zeitung. Das manufacturing of consense in der Bundesrepublik ist auf dieses Medium angewiesen.
Kann man also die Bild-Zeitung überhaupt noch kritisieren, dieses Medium, das mittlerweile ganz buchstäblich die Mitte der Gesellschaft besetzt und dem sich kaum noch jemand öffentlich verweigert? Oder ist es zum Teil unserer medialen Alltagsrealität geworden, hinzunehmen wie Herbststürme, wie die erbärmliche Musik im Fernsehen, oder die gebrochenen Wahlversprechen der Parteien?
Wir haben am Ende eine Reihe von Möglichkeiten der Kritik: die diskursive Kritik, die dort einsetzen kann, wo eine Zeitung die Wirklichkeit nachweisbar verfälscht, die juristische Kritik im Einzelfall, die sich gegen die Behandlung von konkreten Menschen in ungesetzlicher Weise wehrt, die politische Kritik, die dem Medium sein Funktionieren in einem Zusammenhang der politischen Ökonomie nachweist, die moralische Kritik, die eine Grenze für Obszönität, Beleidigung und Regression zieht, und auch eine ästhetische Kritik (ist die Welt, neben vielem anderen, nicht einfach auch zu schön, um sie der Bild zu überlassen?). Die Kritik des Systems Bild, die wir vorschlagen, ersetzt diese Formen der Kritik keineswegs, sie setzt sie vielmehr zusammen.
Aber wie kann man sich gegen ein System zur Wehr setzen, noch dazu eines, das eingestandenermaßen (Helmut Schmidt: „Wer sich als Politiker mit Bild anlegt, hat schon verloren“) über mehr soziale und ökonomische Macht verfügt als die Regierung? Umgekehrt: Wie viel davon wollen wir uns eigentlich gefallen lassen, als Geschmacksverstärker in der Müllkultur, als medienpopulistische Aufweichung der parlamentarischen Demokratie, als Organ, das sich seine Opfer sucht, und in seinen Stories öffentlich zerstört, als groteske Parallelwelt von Prominenten und Halbprominenten, die nach dramaturgischen Regeln aufgebaut und wieder hinunter gestoßen werden, als bunte Mischung von Bigotterie und Prostitution?
Das System Bild funktioniert nicht allein, weil es eine Zeitung gibt, die uns mit schuldhaftem Vergnügen, mit kulturellem Abfall und mit der Ausbeutung von Menschenschicksalen unterhält. Das System Bild funktioniert, weil so viele Menschen, so viele Institutionen, so viele Interessen mitspielen. Weil so viele Menschen in Deutschland glauben, der Zweck heilige das Medium; das Medium sei zu mächtig, um sich ihm zu verweigern, und wenn man dann in die Mühlen des Bild-Journalismus gekommen ist, kann man ja immer noch lamentieren und sich vor der Zeitung ekeln, die man gerade noch beliefert hat. Es geht nicht nur um die Heuchelei dieser Zeitung, es geht um die Heuchelei der deutschen Kultur gegenüber ihr.
Die Gefahr, die Bild-Zeitung und ihr Umfeld als System zu verstehen, das sich nur seine Opfer sucht, liegt auf der Hand. Dann nämlich scheint dieses System unbezwingbar und unveränderbar und könnte nur an sich selbst zugrunde gehen. Aber das System zu kritisieren in Sinne eines höheren Wertes, sagen wir der speziellen Ethik einer bürgerlichen Gesellschaft, der politischen Moral einer Demokratie oder, global, im Sinne eines umfassenden Menschenrechtes, das unter anderem lautet: Der Mensch hat das Recht, Rechte zu haben, die ihm weder vom Staat, noch vom nächsten, noch von einem „Medium“ genommen werden können – das ist nur das eine. Das andere ist es zu erkennen, dass ein System wie das von Bild diametral dem Interesse des Individuums, auch desjenigen, das „abhängig“ ist, ja, gerade diesem, entgegen steht. In einer Welt, in der das System Bild existiert, kann niemand wirklich glücklich sein, es frisst sogar die Utopie des Glücks. Daher ist es letzten Endes eine Frage des Lebens selber, zu lernen, wie man sich, individuell und gemeinsam, praktisch und theoretisch, gegen das System Bild zur Wehr setzen kann.
Autor(en): Georg Seesslen, Markus Metz
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