Alle Jahre wieder gibt es die Weihnachtsfilme, die Magie und Kommerz im Familienfest versöhnen
Alles, was wir an Weihnachten so lieben und hassen wird Jahr für Jahr auch auf die Leinwand gewuchtet: Sentimentalität und Harmoniesucht, Kaufrausch und Innerlichkeit, Lichterglanz und Heimkatastrophe. Weihnachten ist das perfekte Fest unserer Gesellschaft, die untrennbare Verknüpfung von Erlösungssehnsucht und freier Marktwirtschaft, und das Kino, nachgeordnet Video und Fernsehen haben darin eine wichtige Funktion. Sie erzählen von Weihnachten, und sie sind auch schon Weihnachten. Die Bildermaschine wird alle Jahre wieder angeworfen, damit die drei Aspekte des Weihnachtsfestes, das Familiäre, das Magische und das Kommerzielle, nicht vollends auseinanderbrechen.
Zur Weihnachtszeit ist manches erlaubt, was ansonsten der Kontrolle des guten Geschmacks anheim fallen würde. Dafür ist ja auch genug verboten. Von einem Film erwarten wir nun, dass wir von ihm angerührt sind, damit man sieht, wie gut man es hat, aber zugleich auch, dass alles gut wird. So müssen die Oliver Twists immer wieder ihren Weg machen, und niedliche Tiere auf der Suche nach ihren Eltern neue Freunde finden, so müssen alle Familien wieder zueinander kommen, und muss das Böse nachhaltig vertrieben werden, der Geist von Weihnachten muss immer wieder die Scrooges dieser Welt belehren, und der Weihnachtsmann trotz aller Widrigkeiten zur Stunde Null des abendländischen Familienfesttags vor der Tür stehen. Aber auch an Gaben soll es nie fehlen: Weihnachtsfilme sind Werbefilme für die Menschlichkeit und für den Konsum. Weihnachtsfilme erklären am deutlichsten, dass die freie Marktwirtschaft kein Wirtschaftssystem ist, sondern eine Religion. Und dass Religion erst durch Kapitalismus richtig schön wird.
Der erste große Meister des Weihnachtsfilms war Frank Capra, und wer heute einen Weihnachtsfilm dreht, der muss Capra so sehr studiert haben wie Charles Dickens und Walt Disney. Capras Weihnachtsfilme kommen direkt aus der Krise und zeigen, wie an einem Weihnachtstag der leidende Mensch durch die tätige, nachbarschaftliche Hilfe erlöst wird. Gary Cooper in MEET JOHN DOE (1941) ist ein Mann, der für eine Zeitungskampagne als Volksheld aufgebaut worden ist; obwohl er doch eigentlich genau der ist, für den er ausgegeben wird, bricht mit der Illusion für die Anderen auch sein eigenes Leben zusammen. Am Heiligen Abend will er sich umbringen; der Schnee rieselt und die Glocken läuten. Aber da kommen sie alle, ihn zu retten: das gute Volk, der gute Kapitalist, und die gute Geliebte. Fünf Jahre später behauptet Capra IT’S A WONDERFUL LIFE, und nun muss der Himmel schon selber eingreifen, um den verzweifelten James Stewart zu retten, der drauf und dran ist, am Weihnachtsabend Selbstmord zu begehen: Nach dem Tod des Vaters ist die ererbte kleine Sparkasse, die den kleinen Leuten die Häuser finanziert, dem Untergang geweiht, weil Onkel Billy 8.000 Dollar verloren hat, und der böse Kapitalist und der böse Revisor ihre Chance wittern. Doch um unseren Helden der Alltäglichkeit und sich selbst vor dem Untergang zu bewahren, haben die kleinen Leute gesammelt, George Bailey, seine Familie, die Bank, die Welt sind gerettet. Der Schnee rieselt und die Glocken läuten.
Capras Rezept für den Weihnachtsfilm ist einfach und doch stets nur unvollständig nachgemacht worden. Es ist eine Verbindung aus Sozialmärchen und Satire, die Sentimentalität und das Lachen sind ganz nahe beieinander. Das Utopische in Capras Filmen ist indes fast nie wieder erreicht worden: in seiner Welt gibt es nämlich nicht das, was die Ideologie der Gewinner unabdingbar produzierte, die Verlierer. Was sich geändert hat von IT’S A WONDERFUL LIFE zu HOME ALONE 2 oder THE GRINCH oder BUDDY, DER WEIHNACHTSELF, um nur ein paar Stationen der jüngsten Weihnachtsfilmgeschichte zu erwähnen, ist vor allem der Bewegungsrhythmus, die wie selbstverständliche Grausamkeit im Umgang miteinander und die Allgegenwärtigkeit von Medien und Werbung. Auch zu Weihnachten wollen wir offenbar nicht darauf verzichten, dass jemand was in die Fresse kriegt und irgendwas unter viel Krawall in Brüche geht. Aber sonst blieb alles beim Alten: das Weihnachtsfest, mehr oder minder dezent im Hintergrund, ist das mythische Geschehen, das eine alltägliche Geschichte überstrahlt. In der Familiengeschichte des Sozialmärchens wiederholt sich die „heilige Familie“. Weihnachten muss in einem ordentlichen Weihnachtsfilm immer „gerettet“ werden. Das ist ziemlich raffiniert, denn so kann das Genre immerhin mit dem Gedanken spielen, dass es auch verloren gehen kann.
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Weihnachten ist die große Utopie
und das konkrete Datum zugleich
im ewigen Bilderfluss der populären Kultur.
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Der Weihnachtsfilm est divisus in partes tres. Den großen Mittelteil nimmt der weihnachtliche Blockbuster, möglichst für die ganze Familie, ein. FINDET NEMO, LOONEY TUNES und der dritte Teil der HERR DER RINGE- Saga decken dieses Jahr das Segment einigermaßen perfekt ab, einige kleinere und nationale Produktionen wie DAS SAMS IN GEFAHR komplettieren das Angebot, das für das Alter zwischen Disco und Bausparvertrag mit einigen weihnachtlichen Liebesgeschichten und Feelgood Movies ergänzt wird. Im Weihnachts-Blockbuster muss Weihnachten nicht direkt vorkommen, (obwohl in der Erfolgsmischung eine Spur von weihnachtlichem Geist nicht schaden kann). Er funktioniert am besten wie eine Weihnachtsdekoration mit Plätzchen; Bunt, laut, aufgedreht, pappsüß, geschmacklos und nostalgisch, und die Verpackung ist mindestens ebenso wichtig wie der Inhalt. Worum es geht ist eine dramatisierte Form der Erlösung: Am Ende müssen Familie und Heimat, Wärme und Harmonie gefunden sein, aber vorher ist einiges los. Sie reichen gleichsam von Weihnachten zu Weihnachten: Weihnachten ist, nur zum Beispiel, der Beginn und das gute Ende der Hundeabenteuer in den Disney-Zeichentrickfilmen SUSI UND STROLCH und PONGO UND PERDITA. Was da zwischen Weihnachten und Weihnachten immer auch noch passiert, ist die Geburt eines Kindes. So hat beinahe jedes Genre seine Weihnachtsfilme. In den großen Zeiten des Genres gab es sogar so etwas wie Weihnachtswestern. John Ford hat seine Geschichte von den 3 GODFATHERS gleich zweimal gedreht. Um wie Capra zu zeigen, dass Weihnachten überall ist.
Offen für Ideologie ist der Weihnachtsfilm deshalb auch; wenn es sein muss, kommt ein Schuss Militarismusdazu wie in einem klassischen Modell: In Michael Curtiz‘ WHITE CHRISTMAS (1954), in dem Bing Crosby das meistverkaufte Lied der Welt singt. Das Sozialmärchen Capras (ein Wintersporthotel droht wegen Schneemangels Pleite zu gehen und wird von den Freunden des Besitzers gerettet) wird mit den Sehnsüchten nach dem Militär als wahre Heimat verknüpft. Unnütz zu sagen, dass im deutschen Kriegsfilm der fünfziger und sechziger Jahre „Weihnachten an der Front/Weihnachten in der Heimat“ eine zentrale Rolle spielen, oder dass Zarah Leander ihrem Kind in der Fremde Heimat anhand deutscher Weihnacht erklärt. Und an welchem Tag kommt für DIE TRAPP-FAMILIE IN AMERIKA die Wendung zum Besseren, na?
Weihnachten ist die große Utopie und das konkrete Datum zugleich im ewigen Bilderfluss der populären Kultur. Was dabei nicht schaden kann, ist, wenn die Angebote schon eine mediale Geschichte haben. Beim „Herrn der Ringe“ kann jeder mitreden, und schon weiß man auch wieder ein Weihnachtsgeschenk, Bugs Bunny und Daffy Duck kennen auch schon ein paar Generationen, und der Plüschtiermarkt brauchte ohnehin dringend einen weihnachtlichen Kaufimpuls: der perfekte Weihnachtsfilm ist das Zentrum einer semiotischen Lawine, die Zeichenware unter den Weihnachtsbaum spült. Den Filmstoff von FREAKY FRIDAY kennen möglicherweise schon die Eltern der weihnachtlichen Filmbesucher (damals spielte Jodie Foster mit), und die Sams-Geschichte ist ohnehin ein deutscher Klassiker und nun auch schon ein Sequel. Ganz einfach gesagt: Ein idealer Weihnachts-Blockbuster ist die Wiederkehr vertrauter Motive, Gestalten und Botschaften in der neuest möglichen Verpackung. Er spricht die unterschiedlichen Menschen in einer Familie an, und er spricht das Familiäre in unterschiedlichen Menschen an. Und obwohl das eine ausgesprochen berechnende Angelegenheit ist, kann man sogar als gewöhnlich skeptischer Kinogänger in den Weihnachts-Blockbustern große Augen bekommen. Einerseits weil sich eben nicht nur die Wünsche der Kinder an der Warenwelt der Traumfabrik anstecken können, sondern auch die industriellen Warenspektakel von einer Sehnsucht nach der kindlichen Unschuld, jetzt hätte ich beinahe geschrieben: beseelt scheinen können (aber man soll es auch nicht übertreiben). Andererseits weil die cineastische Verpackungsindustrie hier immer zugleich in ihren schlechtesten und in ihren besten Aspekten studiert werden kann. Das sind Griffe in die Vollen, so oder so.
Das zweite Segment des Dezember- Weihnachtsangebots ist der Hardcore-Weihnachtsfilm. Was beim weihnachtlichen Blockbuster sozusagen die Form ausmacht, das ist beim Hardcore-Weihnachtsfilm der Inhalt: die Suche nach einer jeweils neuen Balance zwischen Magie und Konsum. Weihnachten kommt in diesen Filmen nicht nur vor; Weihnachten steht, wie man so sagt, auf dem Spiel. Und wenn es gelingt, Weihnachten zu retten, dann gelingt es auch, die Familie zu retten, oder umgekehrt. Das Spannende daran ist, dass beides immer schwieriger wird. Wenn man die Geschichte der Hardcore-Weihnachtsfilme studiert, kann man einem Genre dabei zusehen, wie es immer komplizierter wird: sophisticated christmas movies.
Die ideale Gestalt für einen solchen Hardcore-Weihnachtsfilm ist immer noch der amerikanische Santa Claus, vermutlich wegen seiner persönlich und mythisch robusten Struktur. Das erste Problem des Weihnachtsmanns im amerikanischen Film ist es, dass man seine Echtheit vor lauter nachgemachten Weihnachtsmännern gar nicht mehr erkennen kann. Er mag nicht mehr, er wird krank, er wird sogar entführt, aber im entscheidenden Moment ist er immer zur Stelle. With a little help from his friends: Kinder, Familienväter, Skeptiker, Underdogs, verlorene Seelen, ja sogar die Figuren aus „realen“ Werbespots (wie in ERNEST SAVES CHRISTMAS) müssen ihm helfen oder seinen Job übernehmen. Der (amerikanische) Weihnachtsmann, Santa Claus, trägt schwer an seiner Bürde, beides zugleich zu liefern: ein authentisches Märchen für die Kinderwelt und den Frieden der Familie, und eine beliebig reproduzierbare Ikone der Pop-Kultur mit einem deutlichen Hang zur Förderung von Konsum und Geschäftssinn.
Seit dem Beginn der dreißiger Jahre prangt Santa Claus in jedem Winter von den Plakaten des „Nationalgetränks“ Coca Cola. Er gehört zur Ausstattung jeden Kaufhauses in der Vorweihnachtszeit und muss für alle möglichen wohltätigen Zwecke sammeln. Und seit 1947 ist er ein Filmstar, der immer wieder zugleich eigene Identitätskrisen bewältigen muss und die Identitätskrisen amerikanischer Menschen bewältigen hilft. Alle Jahre wieder, so scheint es, muss er dabei neue Strategien entwickeln und zugleich die alte Mythologie restaurieren. Aber auf das klassische Modell ist dabei Verlass: Santa Claus alias Kris Kringle (Edmund Gwenn) in MIRACLE ON 34TH STREET (Das Wunder von Manhattan) ist schon reichlich deprimiert; man hat ihn gleichsam aus dem eigenen Job verjagt und so streift er durch New York, wo es an Weihnachtsmännern wahrlich keinen Mangel gibt, und gelangt zum Kaufhaus Macy’s, wo er eine seiner unzähligen Imitationen vertreibt, dessen Stelle annimmt und durch echte Wunder auf sich aufmerksam macht. Die Personalchefin Doris Walker (Maureen O’Hara) glaubt nicht an solche Mätzchen, und sie hat auch ihre Tochter Susan (Natalie Wood) im Sinne solcher Vernünftigkeit erzogen. Aber Doris‘ Verlobter Fred (John Payne) ist romantisch genug, um an Wunder und an den Weihnachtsmann zu glauben. So kommt der neue Pakt zustande: das Mädchen und der Stiefvater, der Kinderglaube und das Kaufhausmanagement, Bigotterie und Pragmatismus. Bei der 20th Century Fox hielt man im übrigen von dem Projekt nicht viel, es wurde mit einem geringen Budget von einem der vertraglichen Routiniers, George Seaton, gedreht und mitten im Sommer gestartet. Aber das amerikanische Publikum liebte den Film, und schließlich war er in der Weihnachtszeit immer noch im Einsatz. Seitdem glaubt Hollywood an das Wunder des Weihnachtsfilms. Und seither gibt es das Genre des Santa Claus-Films als ewig variierte Geschichte vom müden alten Wundermann, den der Glaube der Kinder und das populistische Gewissen der Ökonomie wieder auf den Schlitten hievt.
Seatons Film ist ein „Neues Testament“ zwischen dem Mythos und dem Weihnachtsrummel: der echte Weihnachtsmann reinkarniert sich in einem ganz gewöhnlichen Kaufhausweihnachtsmann und erklärt seinen Geist damit als allgegenwärtig; in jedem falschen muss etwas vom echten Weihnachtsmann stecken. Dass die Sache zwischen dem heiligen Original und seinem kommerziellen Abbild immer komplizierter wird, kann man auch daran sehen, dass pure Remakes von MIRACLE ON 34TH STREET nicht unbedingt mehr funktionieren, auch wenn Sir Richard Attenborough in die Rolle des echten, falschen Weihnachtsmannes schlüpft, und dass nur äußerliche Modernisierungen eher zu unfreiwilliger Komik führen. In SANTA CLAUS CONQUERS THE MARTIANS (1964) wird der mehr oder weniger heilige Mann auf den Mars entführt, um dort einmal erziehungsmäßig richtig zu zulangen. SANTA CLAUS: THE MOVIE (Santa Claus – der Geist von Weihnachten, 1983 – Regie: Jeannot Szwarc) erzählt die „wahre Geschichte“ des Weihnachtsmannes: ein einfacher Holzfäller, der von einem Zwergenvolk zum Anführer bei ihrer schweren Aufgabe der Spielzeugherstellung erkoren wird. So kommt Santa Claus (dem der Wunsch nach eigenem Kind versagt blieb) auf der Erde herum und trifft auch auf Kinder mit sehr problematischem Leben, wie den Waisenjungen und Herumtreiber Joe oder das Mädchen Cornelia, das den Tod der Eltern nicht verwinden kann, und nun bei ihrem hartherzigen Vormund leben muss. Aber zur gleichen Zeit ist auch im Reich des Weihnachtsmannes nicht alles in Ordnung: Einer der Zwerge, der intrigante Patch, neidet Claus die Stellung und will Weihnachtsmann anstelle des Weihnachtmannes werden. So verbündet er sich mit dem Spielzeugfabrikanten B.Z., der nebenbei ein „Heiligabend Nr. 2″ plant, für den er einen Wunderlutscher konstruiert, und der im Fernsehen verkünden lässt, Santa Claus habe seinen Rückzug erklärt. Die Katastrophe scheint unabwendbar, als der neue „Zauberlutscher“ des Fabrikanten, der eine tödliche Substanz enthält, unter die Kinder gebracht wird. SANTA CLAUS: THE MOVIE ist wohl der schwärzeste unter den amerikanischen Filmen, die vom Weihnachtswunder und von der Wirklichkeit zugleich erzählen wollen. Wirklich heil, so scheint es, kann diese Welt der Magie nicht mehr werden, so heillos ist auch sie von Konkurrenz und Verrat durchdrungen. Von da an musste gerettet werden, was zu retten war. Es ist nicht so sehr der Weihnachtsmann, der ab nun die Welt der Kinder rettet, es sind die Kinder, die den Weihnachtsmann retten müssen. In IT NEARLY WASN’T CHRISTMAS (Jeanny und der Weihnachtsmann – 1989) zeigt der Weihnachtsmann deutliche Burn-Out-Merkmale. Santa hat die Nase voll von der Konsumgeilheit und Übersättigung der Menschen und will seinen Job aufgeben, als ihn ein kleines Mädchen davon überzeugen kann, dass er noch gebraucht wird. IN THE NICK OF TIME (Ein Weihnachtstraum, 1991 – Regie: George Miller) erzählt vom Weihnachtsmann, der nach 300 Jahren in den Ruhestand treten will und innerhalb von einer Woche einen Nachfolger in New York finden muss. Kein leichter Job; mal werden seine Rentiere angeschossen wie in PRANCER (Jessica und das Rentier, 1989 – Regie: John Hancock), das andere mal verliert er sein Personal und muss wie in BUDDY, DER WEIHNACHTSELF in eine einigermaßen heillose Welt sehen. THE SANTA CLAUSE (Santa Clause – Eine schöne Bescherung, 1994 – Regie: John Pasquin) schließlich hat die Geschichte vom Wunder von Manhattan auf den Kopf gestellt: Jeder kann der „echte“ Weihnachtsmann werden, sogar ein scheinbar cooler Werbemann mit kaputter Familie, der schon ein Heiliger (oder auch nur die „Mischung aus Superman und Kaminkehrer“) werden muss, um die Zuneigung seines Sohnes zu zurück zugewinnen. 2002 wurde ein Sequel produziert: In SANTA CLAUSE 2: THE MRS. CLAUSE (Santa Clause 2 – Regie: Michael Lembeck) hat Scott Calvin alias Tim Allen immer noch den Job als Weihnachtsmann und muss ganz nebenbei den Sohn davor bewahren, auf die schiefe Bahn zu geraten, er bekommt Konkurrenz durch einen geklonten Doppelgänger und außerdem muss er vor dem Weihnachtstag heiraten, wenn er seinen Beruf behalten will. Auch in den Zwickmühlen von Familienzerfall und neoliberaler Brutalität hilft nur die Mischung aus Magie und Pragmatismus, die nur der amerikanische Weihnachtsfilm produzieren kann.
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Der erfolgreiche Weihnachtsfilm:
Action und Spaß für die Kids, Inside Jokes
und Bildungserlebnis für die Erwachsenen.
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Die zweite Variante ist die Geschichte von der gefährdeten Produktion oder Distribution der Weihnachtsgeschenke, deren Matrixist sind die verschiedenen Versionen der Victor-Herbert-Operette BABES IN TOYLAND. Irgendeine Revolte in der Werkstatt des Weihnachtsmannes muss da immer abgewendet werden, Kapitalismus und familiäre Struktur stehen nämlich auch hier auf dem Spiel. Glücklich wenn Laurel & Hardy dabei das Spielzeugland aufmischen, weniger glücklich, in der deutsch-amerikanischer Coproduktion 1987 bei ABENTEUER IM SPIELZEUGLAND. Die Traumgeschichte führt ein Mädchen am Weihnachtsabend in ein Spielzeugland, wo sie die Hochzeit ihrer älteren Schwester mit einem wahren Monstrum von Mann verhindern muss.
Der dritte Erzählstrang des klassischen Weihnachtsmärchens ist die Geschichte des bekehrten Weihnachtshasser und des bezwungenen Weihnachtszerstörers. Charles Dickens‘ alle paar Jahre neu erzähltes „Christmas Carrol“. SCROOGE (Eine Weihnachtsgeschichte – 1951 – Regie: Brian Desmond Hurst) erzählt die Dickens-Geschichte, in der der harte Geizhals Scrooge (Alastair Sim) zum Menschenfreund geläutert wird, noch auf eine fast traditionelle Art. Dann wird sie für jede Generation neu variiert, zum Beispiel 1984 von Clive Donner (Charles Dickens‘ Weihnachtsgeschichte – 1984), immerhin mit George C.Scott in der Rolle des verhärmten Geizkragens. SCROOGED (Die Geister, die ich rief… – 1988 – Regie: Richard Donner) hat einen skrupellosen TV-Produzenten zum Gegenstand, dem die drei Geister des Weihnachtsfests gründlich einheizen, bevor er sich zum liebenden Menschen entwickeln kann: Das mediale Weihnachtsmärchen im Stadium postmoderner Selbstreflexion. Ein All-Time-Classic des Hardcore-Weihnachtsfilms! 1992 entstand unter der Regie von Brian Henson A MUPPETS CHRISTMAS CAROL (Die Muppets Weihnachtsgeschichte), eine eher uninspirierte Version von Dickens‘ Stoff mit den bekannten Figuren der Muppet-Show. In MS. SCROOGE (Ms. Scrooge – Ein wundervoller Engel – 1997 – Regie: John Korty) ist die Rolle des berühmten Geizhalses vorhersehbarerweise weiblich besetzt, und überdies mit einer Afroamerikanerin: Weihnachtliche Mythenbasteleien, die eher eine Sehnsucht nach einer originalgetreuen Fassung schürten: 1999 entstand eine neue Version von A CHRISTMAS CAROL mit Enterprise-Star Patrick Stewart als Scrooge. Gefolgt von den neueren Varianten von LITTLE MISS MARKER, der nicht minder manisch und weihnachtlich erzählten Geschichte vom kleinen Mädchen, das das Herz eines harten, alten und reichen Mannes rührt, ist die SCROOGE-Linie des Weihnachtsfilms das Beispiel für eine geschlossene Form des Weihnachtsmärchens. Eine Geschichte, die wir immer wieder sehen wollen.
Die dritte Sektion des Weihnachtsfilms schließlich wird von den Weihnachtssatiren und in der extremsten Version, von den Weihnachtshasser-Filmen gebildet. Richtige Weihnachtshasser-Filme gibt es eher selten, und die meisten Weihnachtssatiren enden dann nach viel familiärem Chaos und einer kleinen Portion Gesellschaftskritik doch irgendwie im Glück unterm Weihnachtsbaum. Allerdings: Es gibt schon Filme, die in ihren Weihnachtsszenen besonders böse sind. Aber meistens werden sie dann gar nicht zu Weihnachten aufgeführt. Sabine Sinjen, die sich in Schamonis ES vor dem Spiegel mit Weihnachtsgirlanden behängt, welch ein Fest, und welcher Liebe gilt es? Oder die schwangere Anna Magnani, die Marlon Brando in Sidney Lumets THE FUGITIVE KIND (1960) bittet, sie mit Christbaumschmuck zu behängen: So schlechter guter Hoffnung kann man nur in einer Tennessee-Williams-Verfilmungs sein. Filme in denen Weihnachten nur deutlich macht, dass sowieso nichts zu retten ist, wie in Danny de Vitos THE WAR OF THE ROSES. Dicke Kinder und gehässige Eltern zwingen einander zum Ritual unterm zu groß geratenen Lichterbaum. So wie Weihnachten das Fest der Feste ist, so ist es auch die Fassade der Fassaden. Auch hier gibt es ein klassisches Modell LE MONTE-CHARGE (Im Fahrstuhl fuhr der Tod – 1962 – Regie: Marcel Bluwal). Da richtet eine Frau in zwei Stockwerken eines Hauses zwei Zimmer vollständig identisch ein; in einem davon ermordet sie ihren Mann, im anderen feiert sie, um das Alibi aller Alibis zu haben, vor Zeugen Weihnachten. Mörderische Weihnachtsmänner gibt es in Daryl Dukes SILENT PARTNER und in der Trash-Version BLACK CHRISTMAS, wo ein als Weihnachtsmann verkleideter Psychopath die Schülerinnen eines abgelegnen Internats niedermetzelt. Weihnachtsmänner sind die Nemesis der Liebenden in Derek Jarmans THE GARDEN (1987). Und George Tabori lässt in FROHES FEST (1981) die konsumistische deutsche Spießerweihnacht Revue passieren: „Dies ist ein Film, den Chattanooga Kid über Weihnachten gemacht hat. Wir haben noch nie etwas von Chattanooga Kid gehört. Ebensowenig hat er von Weihnachten gehört“. Entsprechend rätselhaft bleibt das Ganze.
Weihnachtshass-Filme sind in ihrer sauertöpfischen Besserwisserei oder ihrem Stolz auf das eigene Tabuschlachten oft so schwer erträglich, wie die sentimentalsten Weihnachtsfilme à la A CHRISTMAS REUNION oder ALL I WANT FOR CHRISTMAS, in denen immer wieder Kindern der sehnliche Wunsch nach dem intakten Elternhaus erfüllt wird. Besser funktionieren da doch Filme, die die dunkle Seite, die Welten der Verlierer und der Alpträume nicht unterdrücken, wie Ron Howards HOW THE GRINCH STOLE CHRISTMAS oder Tim Burtons NIGHTMARE BEFORE CHRISTMAS.
Der erfolgreiche Weihnachtsfilm zeichnet sich dadurch aus, dass er nicht nur die Familie von einem gewissen wundersamen Glanz bestrahlen lässt, wo immer der herkommen mag, aus dem Weltall oder aus der Nachbarschaft, sondern dass er auch auf mehreren Ebenen funktioniert: Action und Spaß für die Kids, Inside Jokes und Bildungserlebnis für die Erwachsenen. Man muss nur darauf achten, dass sich die verschiedenen Ebenen nicht gegenseitig ins Gehege kommen.
Weihnachten ist das Fest, in dem die Familie sich träumt, und nur merkwürdige Fundamentalisten glauben, sie könnten das auch ohne mediale Unterstützung schaffen (andrerseits ist natürlich auch ein vollständig medialisiertes Weihnachtsfest die schiere Hölle). Das ideale Weihnachtsfest ist ein Bruch mit dem Alltag, dessen Sinn-Löcher und Konflikt-Fallgruben so gut es nur geht mit Wärme (einschließlich gewisser weihnachtlicher Drogen, wie Zuckerzeug, Kalorienbomben und festlich veredeltem Alkohol) und Medien aufgefüllt werden. Und das Wünschen hilft nur, wenn es in drei Richtungen zugleich geht: In das Reich der ewigen Kindheit, die Zeit vor dem Beginn der Enttäuschungen (genauer gesagt: der Weihnachtsfilm führt genau in die ersten Vorahnungen der Enttäuschung). Ins Utopische, eine Zeit des Glücks in neu gefundener Freiheit (die niedlichen Tiere und Weihnachtselfe, die Kinder auf der Suche nach dem Weihnachtsmann und dem verschwundenen Vater haben allesamt am Ende zugleich die verlorene Familie wieder gefunden und ein Stück Selbständigkeit gewonnen). Und schließlich ins Alltäglich-Ökonomische: Zu Weihnachten bekommt der eine seine verlorene Mutter zurück, und die andere darf sich freuen, dass der Vater wieder einen Job hat. Und alle freuen sich, dass Weihnachten nicht nur jenseits der Warenwelt und Spielzeuglawinen liegt, sondern mittendrin.
Autor: Georg Seesslen
geschrieben 2003
Bild (Ausschnitt): How the Grinch Stole Christmas, Universal
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19. Dezember 2010 um 15:01 Uhr
Egal ob Kitsch oder Konsum – ich liebe Weihnachtsfilme! =) Wenn man Sing- und Tanzfilme mag ist „White Christmas“ super.