Als wir jung waren, sahen wir »Herkules im Reich der Amazonen« oder »Tarzan und das Leopardenweib«. Erste Annäherungen an die Dramen der Sexualität; Frauenbilder der stilisierten, nur aus Oberfläche bestehenden und zugleich möglichst mehrfach „gefesselten“ Weiblichkeit für mich und das Bild einer mühsam, aber verläßlich gezügelten männlichen Kraft, die die Fesseln löst, ohne davon böse Vorteile zu ziehen, für das Mädchen rechts von mir.
»Gwendoline« funktioniert nicht viel anders, nur zickiger, gespreizter, berauscht von der Unerhörtheit und Trivialität seiner Motive. Jetzt wird geworben mit „Die endgültige erotische Erfahrung“, mit dem Image des »Emmanuelle«- und »Histoire d’O«- Regisseurs Just Jaeckin und natürlich mit der Vorlage für den Film, John Willies genialischem, fetischistischem Comic strip „Sweet Gwendoline“ aus den vierziger Jahren.
Daß Jaeckin mit seinem erotischen Kinderfilm auf Erwachsene spekuliert, widerspiegelt eine ganze Bewegung unserer populären Kultur, nämlich den Transport anarchischer und archaischer Bilder aus der Kinder- in die Erwachsenenkultur und im Gegenzug den Transport von Bildern des deplazierten Lebenshasses, einer Äshetik der Zerknirschung, aus der Erwachsenen- in die Kinderkultur. Da ist, unter anderem, Verrat im Spiel.
Just Jaeckin hat den ersten „Schinken““ unter den Trashfilmen gedreht. Nicht nur wegen der 5 Millionen Dollar Produktionskosten, der gepflegten Bauten und einer „intelligenten“ Regie, die immer durchblicken läßt, wie formbewußt sie ist, ganz so, wie man in den sechziger Jahren erotische Comics in sündhaft teuren überformatigen Leinenbänden zu verkaufen pflegte.
Die Heldin Gwendoline ist eine Zusammenfassung all dieser verfolgten Unschuldsengel in den Klauen sadistischer Systeme und fetischistischer Männer, „Epoxy“, „Phoebe Zeit-Geist“, „Little Annie Fanny“ und wie sie alle heißen. Natürlich muß sie am Anfang aus einem Kloster fliehen, um ihren Vater zu suchen, der bei der Suche nach einem Schmetterling am Ende der Welt verschollen ist. Zusammen mit ihrer Zofe Beth gelangt sie als blinder Passagier irgendwo in das indonesische Abenteuergebiet der dreißiger Jahre. In diesem mythischen Raum spielen eine Reihe von Abenteuercomics, „Terry and the Pirates“, „Phantom“, „Steve Canyon“ und zu einem Teil auch „Corto Maltese“. Und wie eine Mischung aus diesem letzteren und Humphrey Bogart soll dann wohl auch der Matrose Willard wirken, der nun ein wirklich komisch hartgesottener Typ ist und sich für rein gar nichts als seinen Vorteil interessiert. Jaeckin hat vergessen, ihm jenen Hauch von Melancholie zu geben, ohne den jeder Abenteurer nur wie ein aufgeblasener Angeber wirkt. Er verwechselt die Klarheit der Zeichen im Comic mit jener Reduktion, die allenfalls für Werbeaussagen sinnvoll ist.
Beth und Gwendoline tricksen ihn – wir haben inzwischen ein Zehntel Kung-Fu-Film und einen Spritzer »Morocco« mitbekommen – immer wieder dazu, ihnen zu helfen, und über einen Kick von »African Queen« gelangen wir in eine Seifenblase von »König Salomons Diamanten«, Durch die Wüste gelangt man schließlich, einer Gruppe Wilder aus »Am Anfang war das Feuer« gerade entkommen, in ein unterirdisches Amazonenreich, wo endlich der Rekurs auf Willie stattfindet. Unter den Augen der manchmal großartig und manchmal schwer daneben geschminkten Bernadette Lafont wird dann ein bißchen gekämpft, ein bißchen gefesselt, ein bißchen gefoltert und eine Menge in Lederkostümen herumgefummelt. Am Ende steht natürlich die Flucht und die Aussicht auf Heirat.
Den Bezug auf Willie muß man nicht allzu ernst nehmen. Es gibt ein paar Bilder, die Jaeckin direkt übernimmt, etwa ein Rennen mit von Frauen gezogenen Wagen, ein paar raffinierte Foltermaschinen, und die Figur D’Arcy (im Comic ein selbstironisches Portrait des Autors) ist hier ein komisches Männerwrack, ein Opfer geworden. Aber auf die Besessenheit, die krause Linguistik des erotischen Diskurses läßt sich Jaeckin keinen Augenblick ein.
Doch einen Film wie einen Comic zu erzählen ist ihm an manchen Stellen doch ganz gut gelungen; gelegentlich kann man die grob, aber wirksam komponierten Bilder wie Paneels „lesen“. Tiefe, und gar, was an mehr oder weniger Zufälligem darin zu entdecken wäre, gibt es nicht.
Was für ein göttlicher Film hätte daraus werden können, wenn ihn der Super-8-Filmclub Berlin Gropiusstadt gedreht hätte. So ist es nur ein Schinken geworden, aber die sind ja auch nicht um jeden Preis zu verachten. Der Film kommt gleichzeitig im Kino und auf Video heraus. Erst im Kino entdeckt man sowohl die Schinken- als auch die Comic-Haftigkeit der »Gwendoline«. In einem Riesenbild geschieht immer nur eine Sache, die aber ganz konzentriert, ungeachtet des starren, sogar leeren Rahmens. Eine neue Art des Sehens. Und natürlich des Nicht-Sehens.
Autor: Georg Seeßlen
Text veröffentlicht in epd Film 9/84
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