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Aus Russland, mit Liebe
Eine Landkarte oder eine Stadtplan ziert die Vorsatzblätter seiner meistens Romane. Die atmosphärisch genaue Evokation von Ort und Zeit ist eines seiner Qualitätsmerkmale. Der 1942 geborene Martin Cruz Smith spielt mit all den Freiheiten eines Schriftstellers, mutet seinen Protagonisten härteste Prüfungen zu, seine ausgefeilten Charaktere aber leben und atmen und handeln stets an fast hyperreal genauen, wirklichen Orten. Das kann ein russischer Fischtrawler in der Arktis sein, der Hafen von Havanna, ein englisches Kohlebergwerk, ein Atombomben-Testgelände in Nevada, die verwüstete Region von Tschernobyl, ein Weltkriegs-Schlachtfeld, Gorki-Park oder der Rote Platz in Moskau.
Vor allem Moskau. Immer wieder Moskau. Und Russland. Die Heimat von Arkadi Renko. Moskauer Polizist und Outcast. Geschundener, Geprügelter. Gerechtigkeitsagent, Philosoph. Liebhaber, Ersatz-Vater. Sohn eines Generals, Veteran und Stoiker. Dieser komplexe russische Charakter betrat die Weltbühne erstmals 1981. Die Romanidee eines amerikanischen Autors, damals mitten im Kalten Krieg einen russischen Polizisten in Moskau zur Hauptfigur zu machen, wurde zuerst abgelehnt, erschien als Marktlücke aber dann so revolutionär und exotisch, dass Smiths Literaturagent bei Random House ein Honorar von einer Million Dollar lockerzumachen vermochte. Knox Burger hieß dieser Agent, zu seinen Klienten zählten auch John Steinbeck, Ray Bradbury, Kurt Vonnegut, Morris West, Louis L’Amour und Donald Westlake.
Der zuvor nicht sonderlich erfolgreiche Journalist und Autor Martin Smith aus
Harrisburg, Pennsylvania, ergänzte nun seinen Namen mit Cruz, dem Namen seiner Großmutter mütterlicherseits. Sie war Indianerin aus der Gegend von Santa Fe. Sein allererster Roman, datiert von 1970, hieß übrigens „The Indians Won“ („Der andere Sieger“) und wird heute teuer im Internet gehandelt. Die Verfilmung von „Gorki-Park“ mit William Hurt als Arkadi und James Coburn als westlichem Bösewicht findet Cruz Smith „verschenkt“, die Figuren zu glatt. „Alles an Doppelbödigkeit aus dem Roman wurde eher glattgebügelt“, sagte er mir. Nie wird in den Romanen beschrieben, wie Arkadi aussieht. Daniel Day-Lewis wäre sein Wunschkandidat, sollte Arkadi in einem Film erneut ein Gesicht bekommen, meint Cruz Smith.
Ein Dialogsatz aus dem Film ist mir in Erinnerung. Arkadi sagt dort:
„Zu viele Menschen verschwinden in unserem Land.“
„Wo?“
„Im Abgrund zwischen Wort und Tat.“
In jedem Renko-Buch gibt es Zustandsbeschreibungen, die Gänsehaut machen, gibt es Szenen und Sätze, die den Atem stocken lassen. Böses, schönes, geschundenes, surreales Russland. Utopie und Verzweiflung, Eigennutz, dumpfe Gewalt, erhellender Alkoholismus, Perestrojka und Glasnost, Tschetschenienkrieg, neuer Reichtum und neue Machteliten, korrupte Polizisten und Geheimdienstler, Schach und Wodka, Gewaltverhältnisse, in denen Menschenleben und Anstand nichts mehr zählen. In „Stalins Geist“ zum Beispiel hat Arkadi es mit Kollegen zu tun, die in der Dienstzeit, mit Diensttelefon und Dienstwaffe ihre Nebenjobs als Auftragskiller erledigen. Seine Ex-Geliebte, die radioaktiv verstrahlte ukrainische Ärztin Eva (aus „Treue Genossen“) gilt als Verräterin, weil sei in Tschetschenien beide Seiten medizinisch versorgt hat. Stalins Geist wird in der U-Bahn gesichtet. Die Vergangenheit ist niemals tot. „Die Geschichte liegt nicht hinter uns“, bekräftigt Cruz Smith.
Was die Bücher mit Arkadi Renko so großartig macht und zu etwas Größerem als Kriminalromane und Polit-Thriller gemeinhin oft sind, ist der unerschrockene, poetische und letztlich zutiefst liebevolle Blick auf ein Riesenland im Umbruch, auf Menschen in schwierigen Verhältnissen. „Ein Leben auf dem Prüfstand ist das dort, das spricht mich an“, sagte mir Cruz Smith. „Was man da tut, hat Gewicht und Konsequenzen, das interessiert mich.“ Vieles in Russland, so hat er beobachtet, „funktioniert binär: Hier sind die Regeln – und hier, wie man sie bricht.“ Gut 30 Jahre lebt Cruz Smith nun schon mit Arkadi zusammen. „Ich schätze mich
glücklich und es ist ein Privileg, solch eine Figur durch ihr Leben begleiten zu können“, sagt er. Die ersten Recherchen damals waren konspirativ. Die Sowjetführung war hoch verärgert über den Roman „Gorki-Park“, zwei Jahre Gefängnis standen auf den Besitz eines Exemplars. Als der Eiserne Vorhang fiel, wurde Cruz Smith offiziell nach Russland eingeladen. Heute ist er in der Regel mindestens zweimal für einen neuen Roman auf Recherche im Land, fühlt sich dann stets „noch ein Stück lebendiger“. Was er dabei ausgräbt und zu auch stilistisch begeisternden Romanen formt, kratzt an deutlich mehr als nur der Oberfläche.
Das gilt auch für sein jüngstes Buch „Die goldene Meile“. Der C. Bertelsman Verlag hatte hier weltweit die Nase vorn, der Roman ist zuerst in Deutschland erschienen, vorzüglich übersetzt von Rainer Schmidt. Die goldene Meile, das ist jene Luxusstraße in Moskau „mit Models, so schön und schweigsam wie Geparden“, die als „lada-freie Zone“ gilt. Ihre Schattenseite wird „Die drei Bahnhöfe“ genannt, ein als gefährlichster Teil Moskaus berüchtigter U-Bahnbereich, ein Circus Maximus des Verbrechens und des Elends, wo sich tausende Straßenkinder mit Drogen, Diebstahl und Prostitution durchschlagen. In Cruz Smiths Roman begegnen wir Kinder- und Frauenhandel, Sklaverei, Rohheit und Gier. „Wie die Tiere an einem Wasserloch“, heißt es einmal, versammeln sich die Nachtgestalten in den drei Bahnhöfen. „Die Metro war wie eine grandiose Höhle aus der Stalin-Ära, hundert Meter tief unter der Erde, ein Luftschutzbunker mit Ballsaal-Kronleuchtern und Rolltreppen, die klapperten wie hölzerne Gebisse.“
Auch „Die goldene Meile“ zeichnet ein
großes, grotesk-realistisches Stadt- und Gesellschaftsgemälde, al
ter Meister würdig. Der Mob, das sind nicht die kleinen Kriminellen. „Er besteht aus Millionären. Bauern sind schwer in Wut zu bringen, aber die Reichen haben Erwartungen“, heißt es auf Seite 104. „Hat sich gezeigt, dass wir nicht wissen, wie man den Kapitalismus organisiert. Das war zu erwarten. Aber zufällig weiß überhaupt niemand, wie man den Kapitalismus organisiert. Das ist eine schlimme Überraschung.“
Autor: Alf Mayer
geschrieben Mai 2010
Die Arkadi Renko-Romane:
Die goldene Meile (2010, The Three Stations)
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Stalins Geist (2007, Stalin’s Ghost)
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Treue Genossen (2004, Wolves Eat Dogs)
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Nacht in Havanna (1999, Havanna Bay)
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Das Labyrinth (1991, Red Square)
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Polar Star (1989)
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Gorki-Park (1981, Gorky Park)
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22. Januar 2011 um 21:43 Uhr
Nach Gorky Park als Film und dem Lesen des Originals kann ich der von Alf Mayer geschriebenen Lobeshymne über die Figur Alkady Renko nicht folgen. Die Filmversion erscheint mir gelungener, die Handlungs- und Beziehungsstränge gut unter die Begriffe Freiheit, Wahrheit, Freundschaft inszeniert. Das Buch war zu langatmig, – das einzige was Renko auszeichnete ,Wodka und Rauchen. Irina, die Geliete Renkos gesichtslos, fast ikonisch, ohne Willen, dann mit einem Glasauge, ohne dass Renko sich vergewissert. Die Handlung in New York wirkt klischeehaft: die Figuren agieren nur noch. Auch werden die Resentiments gegen verschiedene Ethnien nicht gelöst, Cruz Smith übernimmt die Ansichten, und noch andere Kritikpunkte. Schade!